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Artikel • Bekämpfung der COVID-19-Pandemie
Reduzierte Vergütung gefährdet erfolgreiche Teststrategie
Drei Millionen PCR-Tests und 250.000 Antikörpertests wurden seit Beginn der Corona-Pandemie bis Mitte Mai in Deutschland durchgeführt. Eine beeindruckende Zahl, findet der Verband der Diagnostica-Industrie e. V. (VDGH). „Die frühe, umfangreiche Testung ist der Grund, warum wir in Deutschland so signifikant besser dastehen bei der Bewältigung der Krise als viele andere europäische Länder“, sagt der VDGH-Vorstandsvorsitzende Ulrich Schmid.
Bericht: Sonja Buske
Begrüßenswert findet Schmid die kürzlich beschlossene Ausweitung der Tests auf asymptomatische Kontaktpersonen. Dazu gehören Mitarbeiter, Bewohner und Patienten zum Beispiel in Pflegeheimen oder Krankenhäusern sowie alle Personen, die in einem neu entstandenen Hot-Spot leben. Sie können nun von einer vorbeugenden Reihenuntersuchung Gebrauch machen. Finanziert werden die Tests aus Mitteln des Gesundheitsfonds, und zwar auch für Mitglieder der privaten Krankenkassen. Die Kostenübernahme gilt allerdings derzeit nur für PCR-, nicht für Antikörper-Tests. Zwar darf jedes Bundesland selbst entscheiden, ob es auch flächendeckende Antikörper-Tests durchführen möchte, bezahlt werden muss das dann jedoch aus eigenen Mitteln. Aktuell werden in Deutschland wöchentlich 75.000 Antikörper-Tests durchgeführt. Dabei wird auf eine überstandene oder laufende Infektion getestet, die Funktionsweise ist ähnlich wie beim Schwangerschaftstest. Im Gegensatz zu Schwangerschaftstests sind allerdings Antikörpertests und PCR- Schnelltests aus der Apotheke nicht für die Eigenanwendung gedacht, auch wenn man im Internet manchmal anders lautende Angebote findet. „In Deutschland sind derartige Tests zur Eigenanwendung verboten und auch nicht sicher“, erklärt Dr. Thorsten Hilbich, stellvertretender Vorsitzender des VDGH. Dass die Zahl der Antikörper-Tests vergleichsweise niedrig ist, führt er auf das erfolgreiche Pandemiemanagement zurück. „Es wurden einfach nicht so viele Menschen infiziert, wie wir anfangs befürchtet hatten.“
Produktionsanstieg um 1.800 Prozent
Das symptomfreie Testen als präventive Maßnahme wird zwangsläufig eine Ausweitung der Testvolumina nach sich ziehen. Dazu Schmid: „Darauf sind wir vorbereitet und können 850.000-900.000 Tests pro Woche zur Verfügung stellen.“ Wie ist es nun aber möglich gewesen, innerhalb kürzester Zeit eine derart große Anzahl an Test-Kits zur Verfügung zu stellen? „Die Industrie hat sofort reagiert und die Produktion von Februar bis Juni um 1.800 Prozent hochgefahren“, weiß Schmid. Nicht nur der reine Corona-Test, sondern alle Corona-assoziierten Produkte wie Reagenzien, Proteine, Geräte oder Pipettenspitzen wurden mit Hochdruck produziert. Eine leistungsstarke Industrie sowie effiziente Laborstrukturen mit einer 24-Stunden-Bereitschaft und einer flächendeckenden Versorgung durch fachärztliche Labore waren dabei der Schlüssel zum Erfolg.
Kürzung der finanziellen Mittel um 30 Prozent
Nun gerät dieser Erfolg allerdings in Gefahr, denn die Krankenkassen wollen die bisherige Vergütung für einen Test von 59 Euro auf 39,40 Euro reduzieren. „Ein verheerendes Signal“, findet Schmid, und sein Kollege Hilbich ergänzt: „Diese Kürzung stellt die Labore vor große Probleme und karikiert die Empfehlung der Bundesregierung, großflächiger zu testen. Wie sollen die hohe Qualität und die enorme Schnelligkeit inklusive der unverzüglichen Meldung an das Robert-Koch-Institut bei einer Kürzung von 30 Prozent noch gewährleistet werden können?“ VDGH-Geschäftsführer Dr. Martin Walger hat dazu eine klare Meinung: „Das ist ein unverantwortliches Vorgehen. In anderen Ländern ist die Vergütung bei Weitem besser als in Deutschland. Ich denke nicht, dass es mit dieser Vergütung weiterhin machbar sein wird.“
Zumal die Arbeit der Labore nach der Pandemie nicht vorüber sein wird. Die Rückkehr zur „neuen“ Normalität wird von der Kontrolle des Infektionsgeschehens begleitet sein. Walger: „Das Virus ist noch in der Bevölkerung, auch wenn es sich gut versteckt hat, und viele überhaupt nicht krank werden.“ Die frühzeitige Erkennung und Unterbrechung von Infektionsketten wird alle Beteiligten weiterhin beschäftigen.
Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Antikörpertests zu, denn eine überschießende Antikörperproduktion, so die Studien, weisen auf einen schweren Verlauf der Krankheit hin. Hier gilt es, rechtzeitig therapeutisch einzugreifen, um die Überlebenschancen zu erhöhen.
Profile:
Ulrich Schmid ist Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Diagnostica-Industrie (VDGH) und Geschäftsführer der A. Menarini Diagnostics Deutschland. Der studierte Pädagoge hat einen MBA in Gesundheitsökonomie und lebt in Berlin.
Dr. Thorsten Hilbich ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Diagnostica-Industrie (VDGH) und Senior Director D A CH & PL-Region Commercial der DiaSorin Deutschland GmbH. Der studierte Chemiker hat am Institut für Klinische Radiologie der Uniklinik Münster promoviert.
Dr. Martin Walger ist Geschäftsführer des Verbandes der Diagnostica-Industrie (VDGH). Zuvor war er als Geschäftsführer für die Bereiche Personalwesen und Krankenhausorganisation der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) tätig.
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17.06.2020