Interview • Kampf gegen COVID-19
Den Weg für mehr Tests aus der ganzen Welt freimachen
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie gehen viele medizinische Berufsgruppen momentan an den äußersten Rand ihrer Belastungsgrenze. Eine davon ist die Gruppe der Laborärzte.
Interview: Sonja Buske
Mehr als 300.000 Tests auf das Virus SARS-CoV2 oder COVID-19, wie es auch genannt wird, werden aktuell pro Woche in deutschen Laboren durchgeführt. Und der Testbedarf steigt weiter an. So liegt die Befürchtung nahe, dass der Bedarf das Angebot bald übersteigen könnte. Wir sprachen mit Dr. Martin Walger, Geschäftsführer des Verbandes der Diagnostica-Industrie (VDGH), über die Herstellung und Durchführung von Coronatests sowie über die richtige Teststrategie.
HiE: Dr. Walger, fast täglich liest man derzeit über neue Labortests zur Identifikation von COVID-19. Dennoch befürchten einige Experten, dass der Bedarf das Angebot übersteigen wird. Worin liegt die Herausforderung bei der Testherstellung?
Dr. Walger: Tests zum Direktnachweis des Coronavirus sind komplex. Benötigt werden Abstrichtupfer, Extraktionskits, Testassays und Laborgeräte. Verschiedene Grundstoffe und Chemikalien sind erforderlich, ferner Plastik- und Elektronikkomponenten. Die Industrie fährt ihre Kapazitäten derzeit hoch und arbeitet im 24/7-Modus. Es gibt Hersteller, die Komplettlösungen anbieten, andere Hersteller liefern Tests, die auf verschiedenen Geräten laufen, sogenannte offene Systeme. Viele Unternehmen produzieren in Deutschland, aber auch in den USA, Frankreich und Südkorea. Dabei sind sie auf Zulieferer angewiesen, die ebenfalls auf der ganzen Welt produzieren. Der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Personen, die Aufrechterhaltung ausreichender Frachtkapazitäten auf allen Transportwegen und der Verzicht auf nationale Egoismen sind entscheidend für das Funktionieren der Versorgung. Und schließlich sehen sich die Testhersteller nicht nur einem steigenden Testaufkommen in Deutschland gegenüber. Der Bedarf an Coronavirus-Tests explodiert weltweit.
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Der VDGH hat an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn appelliert, sich für eine sofortige wechselseitige Anerkennung nationaler Sonder- und Notfallzulassungen stark zu machen, um weitere Kapazitäten zu schaffen. Warum ist die Zulassung mancher Anbieter bisher nicht möglich? Welche Bedingungen müssten geschaffen werden, damit mehr Tests produziert werden können?
Das derzeitige Prüfverfahren in Deutschland für eine Sonderzulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist ein aufwändiger Prozess. Dabei gibt es Tests, die bereits in den USA oder in europäischen Staaten erfolgreich Prüfverfahren durchlaufen haben und für den Markt freigegeben sind. Der VDGH plädiert daher für eine sofortige gegenseitige Anerkennung nationaler Zulassungen. Denn auf diese Weise könnten die Labore mit Tests von weiteren Anbietern beliefert werden.
Nicht für die Akutdiagnostik, sondern zur Abklärung der Immunantwort des Körpers nach erfolgter Infektion werden künftig auch sogenannte Antikörper-Nachweise erheblich an Bedeutung gewinnen
Martin Walger
Inzwischen haben erste Hersteller auch Point-of-Care-Diagnostik für das Coronavirus entwickelt. Solche Kartuschensysteme ermöglichen Akutdiagnostik ohne aufwändige Probenvorbereitung und ohne den kompletten Background eines Labors.
Nicht für die Akutdiagnostik, sondern zur Abklärung der Immunantwort des Körpers nach erfolgter Infektion werden künftig auch sogenannte Antikörper-Nachweise erheblich an Bedeutung gewinnen. Sie liefern Entscheidungshilfen, ob Quarantänemaßnahmen für einzelne Personen aufgehoben werden oder ob infizierte Personen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. Der VDGH setzt sich dafür ein, dass für Antikörpertests Vergütungsziffern in den ärztlichen Gebührenordnungssystemen geschaffen werden.
Haben die Labore in Deutschland denn überhaupt noch Kapazitäten frei, um noch mehr Tests durchzuführen? Viele arbeiten ja bereits 24 Stunden am Tag…
Das ist völlig richtig. Es geht nicht nur um die Materialkapazitäten, sondern auch um den Einsatz des Faktor Mensch. In den ärztlichen Laboren wird mit Hochdruck und mit bewundernswertem Einsatz gearbeitet. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) ist eine Kapazität von 100.000 Tests pro Tag möglich. Machbar wird das, indem nicht so dringende Arzt- und OP-Termine momentan verschoben werden und damit auch die Anforderungen für die Routine-Diagnostik – beispielsweise das kleine oder große Blutbild etc. – um bis zu 50 Prozent zurückgehen. Das schafft zusätzliche Kapazitäten in den Laboren.
Welche Teststrategie ist aus Ihrer Sicht die sinnvollste?
Eine strategische Testung, wie sie bislang in Deutschland durchgeführt wird, ist aus unserer Sicht in der aktuellen Situation die richtige Vorgehensweise. Es ist Aufgabe der Gesundheitspolitik, eine expertenbasierte Strategie für die Akutdiagnostik vorzugeben. Dies ist auch unter den Laborärzten Konsens. Bis zum 30. März wurden laut Angaben der KBV in Deutschland rund 800.000 Tests durchgeführt. Damit steht Deutschland im internationalen Vergleich bei der Testquote bezogen auf die Bevölkerung sehr gut da. Das ermöglichen leistungsfähige ärztliche Labore und eine starke Industrie in partnerschaftlicher Zusammenarbeit.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Profil:
Dr. Martin Walger ist Geschäftsführer des Verbandes der Diagnostica-Industrie (VDGH). Zuvor war er als Geschäftsführer für die Bereiche Personalwesen und Krankenhausorganisation der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) tätig.
07.04.2020