Forschung

Personalisierte virtuelle Gehirne: Big data – big theory

Das Gehirn ist ein anpassungsfähiges und hochkomplexes System. Wie die einzelnen Komponenten zusammenwirken und zu geistigen Leistungen gelangen, darüber ist allerdings nach wie vor wenig bekannt. Ein Forscherteam um Privatdozentin Dr. Petra Ritter an der Charité – Universitätsmedizin Berlin setzt daher auf personalisierte Simulationen, um Zusammenhänge innerhalb des Gehirns aufzudecken. Der Europäische Forschungsrat (ERC) fördert die Arbeiten in den kommenden fünf Jahren mit 1,87 Millionen Euro.

Virtuelle Bildgebung: Das personalisierte Gehirnmodell simuliert...
Virtuelle Bildgebung: Das personalisierte Gehirnmodell simuliert Gehirnaktivität.
Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Biologisch realistische Computermodelle entschlüsseln, wie neurologische...
Biologisch realistische Computermodelle entschlüsseln, wie neurologische Krankheiten entstehen.
Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Gehirnfunktionen können auf vielen verschiedenen Ebenen untersucht werden. So ist es möglich, Daten von einzelnen Nervenzellen, kleinen neuronalen Netzwerken und dem gesamten Gehirn zu messen. Jedoch gibt es bislang keine Methode, die gleichzeitig Daten auf den verschiedenen zeitlichen und räumlichen Skalen erheben kann. Daher ist sehr wenig darüber bekannt, wie die verschiedenen Ebenen in der Gesamtheit zusammenwirken. Zelluläre Vorgänge mit konkretem Wahrnehmen, Verstehen und Verhalten in Verbindung zu verbinden, ist noch immer schwierig. „Ziel des aktuellen Projektes ist es daher, ein theoretisches Gerüst zu erstellen, das die verschiedenen Ebenen miteinander verbindet und quantifiziert“, so Dr. Ritter, Privatdozentin an der Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie der Charité.

Die personalisierte Gehirnsimulation beschäftigt Dr. Ritter bereits seit mehreren Jahren. Die Vision der Forscherin: „Wir wollen sichtbar machen, wie Informationen im Gehirn fließen, um neurologische Prozesse und Krankheitsbilder aufschlüsseln zu können“, so Dr. Ritter. Dazu sollen individuell erhobene Daten in Simulationen des Gehirns einfließen. Derzeit sind funktionelle bildgebende Verfahren nur begrenzt für den einzelnen Patienten nutzbar, individuelle Vorhersagen können meist nicht getroffen werden. „Das gilt es zu ändern und eine Art ‚mathematisches Mikroskop‘ für das Gehirn zu entwickeln“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Ziel soll sein, dass Computersimulationen in Kombination mit Bildgebung die verschiedenen zeitlichen und räumlichen Skalen im Gehirn verknüpfen.“

Elektroenzephalographie, funktionelle Magnetresonanztomographie und Diffusionstensor-Bildgebung sind Teil des methodischen Repertoires, mit dem das interdisziplinäre Team um Dr. Ritter die Struktur und Funktion von Gehirnen vermisst. Es handelt sich um Methoden, die sehr große Datensätze produzieren. Die Herausforderung besteht darin, alle diese Daten in eine zusammenhängende Theorie und am Ende in einem Modell des Gehirns zusammenzufügen. Gemeinsam mit internationalen Kooperationspartnern haben die Forscher eine Plattform mit dem Titel ‚The Virtual Brain’ entwickelt. Mathematische Gehirnmodelle von einzelnen Personen können hier standardisiert und reproduzierbar berechnet werden. Die Open-Source-Plattform ermöglicht nicht nur die Zusammenarbeit vieler Forscherteams weltweit, sondern regt auch zum Austausch an. Denn beides ist für das Vorhaben entscheidend: möglichst viele Daten und übergreifende Theorien.

Die aufwändigen und detaillierten Simulationen werden auf Supercomputern gerechnet und tragen dazu bei, die Gehirnaktivität, insbesondere mit Blick auf mögliche Fehlfunktion, besser zu verstehen: „Anhand dieser Avatare wollen wir in der Zukunft Vorhersagen für Erkrankungen und mögliche Verläufe treffen können. Dabei geben unsere Methoden Aufschluss über die Wirkweisen anatomischer und pharmakologischer Interventionen, ebenso können sie Schlüssel zur Entdeckung neuer Biomarker und Therapien sein“, so Dr. Ritter. Im Rahmen des ERC-Projektes sollen beispielsweise aus den nichtinvasiven Bildgebungsdaten von gesunden Erwachsenen Rückschlüsse auf Mechanismen sich verändernder Hirnfunktionen während des Alterns geschlossen werden.

Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin

03.08.2016

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