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News • Interview zum Krankenhauszukunftsgesetz

Notfall Digitalisierung?! – Das verspricht das KHZG

Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) verspricht, Notfallstrukturen zu optimieren und zu stärken. Die Fördergelder, die das KHZG bereithält (immerhin 3 Mrd. Euro seitens des Bundes plus Investitionsmittel der Länder in Höhe von 1,3 Mrd. Euro), erlauben es Krankenhäusern unter anderem, in ihre digitale Infrastruktur zu investieren.

So unterstützt eine kluge Vernetzung zwischen Leitstellen und Notarzt- bzw. Rettungswagen beispielweise bei der Entscheidung, welches Fahrzeug in welche Klinik fahren soll. Auch könnten schon aus dem Rettungswagen heraus die wichtigsten Vitaldaten der Patienten an das Krankenhaus gesendet werden, damit dort alles vorbereitet werden kann. Doch hält das KHZG an jeder Stelle, was es verspricht? Darüber spricht PD Dr. Jörg Christian Brokmann, Leiter der Notaufnahme an der Uniklinik RWTH Aachen, mit dem Zentrum für Telematik und Telemedizin (ZTG-NRW). Brokmann ist ein glühender Verfechter der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung. Aktuell leitet er als Konsortialführer das Innovationsfondsprojekt „Optimal@NRW“*, in dem unter anderem 25 Pflegeheime gemeinsam mit Kliniken und niedergelassenen Ärzten enger zusammenarbeiten.

ZTG: Herr Dr. Brokmann, können Sie konkrete Problemfelder im Rahmen der Notfallmedizin skizzieren, die vom Einsatz digitaler Anwendungen profitieren?

portrait of christian brokmann
PD Dr. Jörg Christian Brokmann ist Leiter der Notaufnahme an der Uniklinik RWTH Aachen

© UKA

Brokmann: Notfallmedizin ist die zeitkritische Versorgung von schwer Erkrankten und Schwerverletzten. Um diese zu gewährleisten, müssen Rettungsmittel und Krankenhäuser eng verknüpft miteinander arbeiten. Leider sind die hier zuständigen Akteure zurzeit nicht überall digital miteinander verbunden. Es ist verwunderlich, dass es in Deutschland immer noch nicht gängige Praxis ist, Bilder und Informationen von der Einsatzstelle und/oder aus den Rettungsmitteln direkt in den Schockraum zu senden. Sicher, an einigen, wenigen Stellen wird das heute schon umgesetzt. Jedoch halten datenschutzrechtliche Bedenken durch die sektorale Trennung, Probleme in der Datenübertragung durch das schlechte digitale Netz oder die unzureichende Ausstattung der Rettungsmittel mit digitalen Devices verantwortliche Akteurinnen und Akteure von der Umsetzung ab. Wir wissen, dass wir heute zwischen dem Eintreffen an der Einsatzstelle bis zur Verbringung des Patienten im Schockraum mehr als eine Stunde benötigen. Die Länge dieser Zeitspanne hat maßgeblichen Einfluss auf den Versorgungserfolg für den Patienten. Auch wissen wir, dass wir durch den Einsatz von Technologie an der einen oder anderen Stelle einen Zeitvorteil gewinnen würden. Und das nutzen wir nicht aus, obwohl wir es wissen und könnten.

Das heißt konkret: Die Post, jedes Logistikunternehmen und jede Spedition arbeiten in dieser Hinsicht professioneller als der Rettungsdienst in Deutschland. Das muss man einfach mal so sagen. Eine digitale Vernetzung von Rettungsdienst und Krankenhaus ist im Grunde fast nicht existent. Ein Blick in die Niederlande zeigt ein anderes Bild: Hier gehört es zum Standard, dass die Rettungskräfte aus dem Rettungswagen sowohl das Krankenhaus als auch die Leistelle digital vorinformieren. Sie können Informationen mit dem Haus austauschen und bei Ankunft das Tor aus dem Wagen heraus öffnen. Das ist hier nur rudimentär vorhanden.

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Häufig fehlt es nicht an guten Ideen, sondern an deren Umsetzung. Welche Stolpersteine sehen Sie für die Praxis der Notfallversorgung?

Bedenkenträger. Also nicht falsch verstehen, aber das ist so eine typisch deutsche Frage. Ja, Bedenkenträger sind die, die solche Prozesse noch verlangsamen und verhindern. Denn: Die Lösungen sind ja da! Ein Beispiel: 2006 sollte noch vor der Weltmeisterschaft der Digitalfunk in Deutschland für Rettungsdienst und Polizei eingesetzt werden. Und es gibt ihn bis heute nicht flächendeckend in Deutschland.

Es ist schon so, dass man aufgrund von föderalistischen Strukturen ins Stolpern gerät. Es gibt Bundesländer, da werden solche Dinge innerhalb des Bundeslandes einheitlich umgesetzt. Ein Beispiel ist hier zum Beispiel die digitale Voranmeldung von Rettungsmitteln, die in Bayern und Niedersachsen flächendeckend durchgesetzt wurde. Aber Unterstrukturen, wie sie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen zu finden sind, hemmen die Vernetzung und das kollaborative Arbeiten immens. Und beides ist einfach notwendig.

Wird mit dem KHZG nun ein richtiger Weg eingeschlagen?

Definitiv, ja – Sowohl von den Förderrichtlinien als auch von den Förderinhalten her. Und angesichts der Menge an Geld, die in die Förderung mit einfließen, kann man sagen, dass alles, was in Krankenhäusern gebraucht wird, finanziell realisierbar wird. Dadurch, dass die Notfallmedizin hier so stark bedacht wurde, wird noch einmal deutlich, wie groß das Nachholpotenzial ist.

Hat das KHZG auch Auswirkungen auf Ihr Projekt Optimal@NRW*?

Als Innovationsfondsprojekt werden wir direkt vom Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert. Durch das KHZG erfahren wir daher innerhalb unseres Projektes erst einmal keine Verbesserung. Gegebenenfalls kommt es uns aber zugute, wenn wir uns im Prozess der Ausrollung befinden. Ich hoffe wirklich, dass die Milliardenförderung aus dem KHZG bis dahin zielgerichtet verwendet wird und dort hinfließt, wo sie gebraucht wird.

Wo besteht seitens der Entscheidungsträger noch Handlungsbedarf?

Was man im KHZG nicht bedacht hat, ist ein intersektoraler Ansatz

Jörg Christian Brokmann

Ich wünsche mir eine besser funktionierende Prozesskette im Bereich der Notfallmedizin, die keine Sektorengrenzen mehr kennt. Momentan entstehen durch verschiedene Refinanzierungsregelungen in den einzelnen Sektoren Brüche und der gesamte Prozess hakt. Das fällt beispielsweise auch beim KHZG auf: Krankenhäuser können sich hier ein Voranmeldungs-System für Rettungswagen finanzieren lassen, also ein Board, das den Beschäftigten in der Notaufnahme zeigt, welcher Rettungswagen demnächst ankommt. Die Ausstattung der Rettungswagen mit Geräten, die benötigt werden, um diese Voranmeldung durchzuführen, wird vom KHZG wiederum nicht mehr getragen. Kurzgefasst: Was man im KHZG nicht bedacht hat, ist ein intersektoraler Ansatz.

Und im Bereich der Notfallmedizin, der sich über mehrere Sektoren erstreckt, ist es definitiv so, dass Digitalisierung dringend notwendig ist. Das fängt beim Funk an, geht weiter mit der Weitergabe von Informationen aus den Rettungsmitteln in die Klinik bis hin zum Kapazitäten-Nachweis im Krankenhaus zur Leitstelle und den Rettungsmitteln.

Also seitens des KHZG wäre mein Wunsch, dass das, was durch das KHZG angestoßen wird, durch regionale Projekte auch weiter Umsetzung findet. Dann wäre es sicherlich schön, wenn das KHZG durch das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert werden würde und man schaut, ob es den erwünschten Effekt erbracht hat. Und was ich mich auch wünschen würde, ist, dass das, was wir an innovativem Wissen in Deutschland haben, in Zukunft schneller in der Praxis umgesetzt wird.

* Das Projekt Optimal@NRW steht für einen neuen, intersektoralen Ansatz in der Akutversorgung pflegebedürftiger, geriatrischer Personen. Es geht darum, in den 25 Pflegeheimen, die zum Konsortium gehören, Frühwarnsysteme zu implementieren und sie mit Telekonsultationssystemen und einer sektorenübergreifenden, digitalen Behandlungsdokumentation auszustatten. Durch den dadurch entstehenden „virtuellen Tresen“, der durch die Uniklinik RWTH Aachen und die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein rund um die Uhr betrieben wird, soll die medizinischen Akutversorgung verbessert und inadäquate Krankenhauseinweisungen geriatrischer Patienten vermieden werden.


Quelle: ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin

29.03.2021

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