Auf der 70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie wurde intensiv über Infektionskontrolle und Präventionsmaßnahmen diskutiert.

Artikel • Krankenhauskeime

Nosokomiale Infektionen: Von Entwarnung keine Rede

Die Zahl der MRSA Infizierten in Deutschland ist leicht rückläufig, multiresistente gramnegative Erreger sind aber weiter auf dem Vormarsch

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Sören Gatermann warnt vor den Folgen der inkorrekten Bestimmung von Resistenzen.

In Bochum tauschten sich die Experten über neu entdeckte Resistenzen aus. „Gerade die Resistenz gegenüber einer Antibiotikaklasse, die bislang als Reserveantibiotikum gehandhabt wurde, scheint sich intensiver zu entwickeln, als bislang angenommen“, schildert Prof. Sören Gatermann, Kongresspräsident und Leiter der Abteilung für Mikrobiologie der Ruhr-Universität Bochum. Ursache der Resistenz sind dabei unterschiedliche Enzyme, die das Antibiotikum außer Kraft setzen und für deren Identifizierung modernste molekulare Techniken erforderlich sind. Sie können bestimmen, welche Medikamente bei einem bestimmten Patienten wirksam sind.

Eine weitere Klasse von Resistenzen macht den Wissenschaftlern ebenfalls zu schaffen. Mutationen am Bakterium selbst führen dazu, dass bestimmte Antibiotika nicht mehr wirken. Diese Resistenzmechanismen, die weder erworben wurden, noch von inaktivierenden Enzymen abhängen, treten immer häufiger auf. Dabei legt das European committee on antimicrobial susceptibility testing (EUCAST) die Grenzen fest, bis zu welchem Punkt ein Bakterium durch Antibiotika noch als therapiebar gilt (englischsprachiger Artikel). Neue Resistenzen sind mitunter schwer zu erkennen, erklärt Gatermann, „so dass man bis auf die genetische Ebene gehen muss, um abzuleiten, welche Therapien für den Patienten sinnvoll sind.“

Ursache von Resistenzen und regionale Ausprägung

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Frauke Mattner sieht großen Handlungsbedarf bei der universitären Ausbildung im Fachbereich Hygiene.

Die Antibiotikatherapie ist die einzige Therapie, bei der die Gabe des Therapeutikums nicht nur einen Effekt auf den medikamentierten Patienten, sondern auch auf alle anderen Patienten hat. Wird auf einer Intensivstation ein Antibiotikum eingesetzt, so hat dies nicht nur Einfluss auf die Bakterien des Behandelten, sondern auch auf das Kollektiv des Krankenhauses und der ganzen Umgebung. So kommt es zu unterschiedlichen Resistenzprofilen, die von Land zu Land stark variieren können. Der Anteil der stationären Einrichtungen an den Antibiotikatagesdosen ist mit 10-20 Prozent allerdings relativ gering. Weitaus häufiger werden Antibiotika im ambulanten Bereich verschrieben. Auch regional gibt es große Unterschiede: der Osten Deutschlands ist Niedrigverordner, die höchsten Tagesdosen werden im Saarland verschrieben, wobei dies nur etwa der Hälfte der Verordnungen in Frankreich entspricht. (englischsprachiger Artikel)

„Jeder Patient kommt mit zwei bis drei Kilogramm Bakterien ins Krankenhaus. Bis zu 10 Prozent der Bevölkerung tragen schon multiresistente Keime bei Aufnahme in sich“, erklärt Prof. Dr. med. Frauke Mattner, ebenfalls Kongresspräsidentin und Chefärztin des Instituts für Hygiene der Kliniken der Stadt Köln. Der Ursprung der Keime sei noch unklar. Vermutlich stammen sie aber nicht aus dem Trinkwasser, sondern werden über Lebensmittel, aus fernen Ländern oder über große Masttieranlagen verbreitet. (englischsprachiger Artikel) Ein gewisser Teil könne auch im Bereich der medizinischen Versorgung von Patient zu Patient übertragen werden. Welche dieser Ursachen welchen Anteil an der Besiedelung hat, sollte Gegenstand aktueller Forschung sein, um diese zukünftig besser kontrollieren zu können.

Flächendeckendes Screening nicht hilfreich

Auch bei MRSA hat die falsche Festlegung auf eine Resistenz schwere Folgen, denn der Patient erhält dann nicht das richtige Antibiotikum

Sören Gatermann

Die Tagungspräsidenten sind sich einig, dass ein flächendeckendes Screening auf MRSA und multiresistente Gramnegative von Patienten bei der stationären Aufnahme eine Verschwendung von finanziellen und personellen Mitteln sowie kontraproduktiv ist. Zwar haben Patienten mit häufigerem Kontakt zu Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ein höheres Risiko mit MRSA besiedelt zu sein, aber bei einem reinen MRSA-Screening würden andere Erreger außer Acht gelassen. Jedes Krankenhaus sollte selbst bestimmen, welche Risikogruppen im Haus typischerweise auftreten und dementsprechend festlegen, welches Screening und welche Maßnahmen effizient wirken können. Dieses Vorgehen entspricht den evidenzbasierten Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (KRINKO).

Gerade bei den multiresistenten Gramnegativen sei es effektiver mehr Personal einzustellen und die Hygienevorschriften zu beachten, als jeden Patienten zu screenen, erläutert Gatermann. Hinzu komme, dass die Sensitivität der Diagnostik bei gramnegativen Erregern nicht besonders hoch sei, unter Umständen müsse ein Patient sogar mehrfach untersucht werden. Ein generelles Screening könnte deshalb dazu führen, dass 400 Patienten als besiedelt deklariert würden, obwohl es nur einer wirklich sei, so Gatermann. Die Screening-Forderung käme somit der Forderung einer schlechten Versorgung von 399 Patienten gleich. Besser sei es, passgenau zu der Epidemiologie und der Risikogruppe, für die der größte Benefit zu erwarten ist, zu screenen. „Auch bei MRSA hat die falsche Festlegung auf eine Resistenz schwere Folgen, denn der Patient erhält dann nicht das richtige Antibiotikum. Die Wahrscheinlichkeit liegt hier bei 1:1. Das würde bedeuten, dass jeder 2. Patient falsch behandelt wird.“

Die Tagungspräsidenten sind sich einig, dass ein flächendeckendes...
Die Tagungspräsidenten sind sich einig, dass ein flächendeckendes MRSA-Screening eine Verschwendung von Ressourcen ist.

Mehr universitäre Ausbildungsstätten und Akademisierung der Pflege

Seit Jahren hat die Krankenhaushygiene mit Personalmangel in Deutschland zu kämpfen. Etwa 1000 Fachärzte für Krankenhaushygiene werden benötigt. Die universitären Ausbildungsstätten werden jedoch nicht gestärkt, Lehrstühle für Hygiene nur sehr verzögert oder gar nicht wiederbesetzt. Von 35 medizinischen Fakultäten haben lediglich sieben überhaupt einen Lehrstuhl Hygiene. Eine deutliche Verbesserung ist in den letzten Jahren hingegen bei den Hygienefachkräften eingetreten. Nordrhein-Westfalen erreicht hier inzwischen eine Abdeckung von etwa 90 Prozent nach der Kapazitätsempfehlung der KRINKO. Frauke Mattner sieht dennoch Handlungsbedarf im internationalen Vergleich: „Deutschland ist beim Verhältnis von Pflegekraft pro Patient ein Schlusslicht. Und wir haben die am wenigsten akademisierten Pflegekräfte. Dabei ist erwiesen, dass man mit einer Erhöhung von akademisierten Pflegekräften die Anzahl nosokomialer Infektionen um 20-30 Prozent reduzieren kann, das wurde 2014 europaweit in der RN4Cast Studie ausgewertet. Die neu aufgelegten Pflegeausbildungsprogramme vernachlässigen die Akademisierung. Man hat die Quantität auf Kosten der Qualität erhöht, dabei ist beides erforderlich.“


Profile:

Prof. Dr. Frauke Mattner hat nach dem Medizinstudium zunächst die Facharztausbildung für Laboratoriumsmedizin in Hamburg abgeschlossen und im Anschluss die Facharztweiterbildung für Hygiene und Umweltmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) absolviert. Ihre Habilitation dort erfolgte 2007. Im gleichen Jahr übernahm sie die fachliche Leitung der Hygiene am Institut für medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum in Lübeck. Seit 2010 ist Mattner Chefärztin des Instituts für Hygiene an den Kliniken der Stadt Köln gGmbH, Universitätsklinikum Witten-Herdecke, Campus Köln Merheim und 2012 wurde sie zur apl. Professorin der MHH ernannt.

Nach Studium und Promotion war Prof. Dr. Sören Gatermann zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter an den universitären Instituten für Mikrobiologie in Hamburg und Lübeck. Nach der Habilitation für das Fach Medizinische Mikrobiologie 1991 erfolgten 1992 die Erteilung der Venia Legendi und die Facharztanerkennung. Zwei Jahre später erhielt er eine C3-Professur an der Universität Mainz. Seit Oktober 1997 ist Gatermann Lehrstuhlinhaber für medizinische Mikrobiologie an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 2009 ist er zudem Leiter des Nationalen Referenzzentrums für gramnegative Krankenhauserreger und seit 2014 Vorsitzender des Nationalen Antibiotikasensitivitätkommitees (NAK), dem deutschen Zweig der EUCAST.

23.05.2018

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