Mündige Forscher braucht das Land
Die Entwicklung neuer Kontrastmittel stagniert, denn die Potenziale für bahnbrechende Blockbuster scheinen erschöpft. Der Forschungsaufwand für neue Substanzen ist mittlerweile so hoch, dass die Industrie ihre Aktivitäten auf diesem Gebiet stark gedrosselt hat.
Von diesem Rückzug betroffen ist auch die Experimentelle Radiologie, zu deren klassischen Aufgaben jahrelang auch die Erforschung neuer Kontrastmittel in enger Kooperation mit den Pharmafirmen zählte. Steht die in-vivo Diagnostika-Forschung also vor dem Aus? „Nein, die akademische Forschung ist allerdings gezwungen, sich auf eigene Füße zu stellen, um neue Ansätze zu erarbeiten“, so Prof. Dr. Dipl.-Phys. Matthias Taupitz, Leiter der Experimentellen Radiologie an der Berliner Charité, der mit RöKo Heute über dieses Thema sprach.
Prof. Taupitz, warum hat die Industrie das Interesse an der Entwicklung von Kontrastmitteln – einem bisher als sehr lukrativ geltenden Markt – verloren?
Matthias Taupitz: Die Anforderungen an Kontrastmittel sind extrem hoch, da ein großer Teil der Menschen, die sie appliziert bekommen, gesund ist. Die Nebenwirkungsrate muss also extrem niedrig und die Verwendung sehr sicher sein. Substanzen, die diese Kriterien erfüllen und ebenso einfach wie kurzfristig herzustellen sind, sind nicht endlos verfügbar. Mittlerweile wurde hier die Grenze erreicht und Fortschritte sind nur mit einem sehr hohen Forschungs- und damit Kostenaufwand zu erreichen.
Was sich wie eine Hiobsbotschaft anhört, beinhaltet für die Forschung jedoch die Chance, sich zu emanzipieren. Wir sind nun gefragt, eigene Ansätze zu erarbeiten und bis zu einem Punkt zu entwickeln, an dem es dann für die Industrie interessant wird, einzusteigen.
Wie wird diese Forschung finanziert?
Matthias Taupitz: Die Forschungsgelder müssen über Förderprojekte eingeworben werden. Neben dem BMBF und der DFG stehen hierzu auch EU-Mittel und Förderungen der jeweiligen Bundesländer bereit. Die DFG fördert eher grundlagenorientierte Forschung. Gerade bei der Vergabe von BMBF- und Landesförderungen wird auf eine starke Vernetzung mit den Verwertern geachtet, so dass im Erfolgsfalle eine Umsetzung gewährleistet ist. Zu einer solchen Umsetzung kam es auf dem Gebiet der in-vivo Diagnostika meines Wissens bisher allerdings noch nicht, da es sich um Arzneimittelforschung handelt, die mit einem großen Aufwand und einem hohen Risiko verbunden ist. Es gibt jedoch Ansätze von akademischen Gruppen, die vielversprechend sind und deren weitere Entwicklung abgewartet werden muss.
Das Problem der langen und risikoreichen Entwicklung von Arzneimittelmitteln betrifft auch die Erforschung von Tracern für die Molekulare Medizin. Kritische Stimmen sehen darin den Grund, dass die Molekulare Bildgebung deswegen heute weit hinter ihren Möglichkeiten bleibt. Müssen sich vielleicht die Voraussetzungen für die Forschung ändern, damit es hier endlich voran geht?
Matthias Taupitz: Aus unserer Sicht ist es eher so, dass die akademische Forschung es versäumt hat, sich rechtzeitig darum zu kümmern, was unter Berücksichtigung der regulatorischen Vorgaben, wie z.B. dem Arzneimittelgesetz, in einem großtechnischen Herstellungsprozess machbar ist – und was vom Markt gefragt wird.
Marktanalysen und Herstellungsprozesse sind doch aber klassische Aufgaben der Industrie, nicht der Forschung ...
Matthias Taupitz: Nein, an diesem Punkt muss sich die Forschung auch selber in die Pflicht nehmen und die Frage stellen: Könnte das Produkt, an dem ich forsche, zu einem realistischen Preis herstellbar sein? Im Falle der Entwicklung von Produkten für die Molekulare Bildgebung – unter Umständen komplexe Konstrukte mit Peptiden, Antikörpern oder Antikörperfragmenten usw. – stellt sich die Frage der Herstellungs- und Beschaffungskosten, die bereits bei den Ausgangsstoffen, dem sog. Raw Material, sehr hoch sein können. Es muss sich jeder Forscher neben der möglichen klinischen Bedeutung die Frage stellen, ob unser Gesundheitssystem diese Kosten tragen kann und tragen will. Die Antwort hierauf entscheidet ganz wesentlich darüber, ob ein Tracer zu vertretbaren Kosten produziert werden kann.
In der Molekularen Bildgebung gibt es darüber hinaus ein besonderes Dilemma: Ziel ist es, so spezifisch wie möglich zu werden. Je spezifischer jedoch ein Produkt ist, desto geringer sind die Fallzahlen und entsprechend kleiner das Einsatzgebiet. Auf der anderen Seite gilt: Je spezifischer ein Produkt, desto komplexer und teurer ist dessen Herstellung. Das bedeutet, dass man einerseits die Kosten in die Höhe treibt und andererseits nur einen geringen Marktanteil abdecken kann.
Vor diesem Hintergrund muss sich die Forschung der relevanten Targets bewusst werden, diese aufzeigen und eruieren, ob diese einen Einfluss auf das Patientenmanagement und das Outcome haben könnten.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es in der Experimentellen Radiologie auf dem Gebiet der Forschung zu in-vivo Diagnostika „mündiger“ Forscher bedarf, die auf Umsetzbarkeit und den praktischen Nutzen ihrer Arbeit fokussiert sind. Diese Einstellung ist man den Gebern von Fördermitteln am Ende auch schuldig.
Vielen Dank für das Gespräch.
Veranstaltungshinweis
Saal Holzknecht
Fr, 18.05., 09:45 bis 10:15 Uhr
Planung und Durchführung
klinischer Studien
Taupitz M / Berlin (Vorsitz)
Session: Erfolgreich in der
Wissenschaft
####
Im Profil:
Nach dem medizinischen Staatsexamen und der Diplomprüfung in Physik promovierte Prof. Dr. med. Dipl.-Phys. Matthias Taupitz 1989 an der Freien Universität Berlin. 2005 habilitierte er sich in Diagnostischer Radiologie an der Charité. Drei Jahre später erfolgte die Berufung auf eine W2-Professur für Diagnostische Radiologie mit Schwerpunkt Experimentelle und Molekulare Bildgebung. Fast zeitglich wird Tauptiz Leiter der DFG-geförderten Klinischen Forschergruppe KFO-213 „Magnetischen Eisenoxid-Nanopartikel für die Zelluläre und Molekulare MRBildgebung“.
Seit Februar 2011 ist er Stellvertretender Direktor der Klinik und Hochschulambulanz für Radiologie, am Campus Benjamin Franklin der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der DRG wurde Prof. Taupitz 2005 mit dem Jubiläumsforschungspreis ausgezeichnet.
11.05.2012