Früherkennung

Lungenkrebs – Die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen

„In Deutschland gibt es derzeit kein geeignetes Verfahren, um Lungenkrebs frühzeitig zu erkennen – und von daher sind auch alle Diskussionen über ein Screening hinfällig“, stellt Prof. Dr. Felix Herth, Chefarzt der Abteilung Pneumologie und Beatmungsmedizin der Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg, eindeutig klar.

Prof. Dr. Felix Herth
Prof. Dr. Felix Herth

Ein Screening mit CT, wie im NLST Trial in den USA durchgeführt, sei für eine flächendeckende Früherkennung in Deutschland viel zu teuer und außerdem nach derzeitig geltender Röntgenschutzverordnung nicht zulässig. Die Methode der Atemgasanalyse befindet sich noch im experimentellen Stadium und die Untersuchung des Blutes im Hinblick auf relevante Marker helfe zwar bei der Therapie, nicht aber bei der Früherkennung des Lungenkarzinoms. Das einzige derzeit mögliche Früherkennungsverfahren ist die Untersuchung des Sputums, wobei die Suche nach den Krankheitsanzeichen im ausgeworfenen Sekret der bekannten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen gleicht, die sich – weil zu ineffizient – letztlich auch nicht durchgesetzt hat.

Die effektivste Methode, die Mortalität von Lungenkrebs zu reduzieren, sieht Prof. Herth daher in der Prävention. „Nur eine bessere Aufklärung und vor allem eine Raucherentwöhnung, deren Kosten von den Krankenkassen übernommen wird, kann die Anzahl der Menschen, die Lungenkrebs bekommen und daran versterben, dauerhaft senken. Die Entwöhnung ist nicht nur die effektivste, sondern zugleich auch die billigste Lösung, während ein Screening mit Computertomographie das teuerste Verfahren ist. Daher ist es nicht nachvollziehbar, weshalb dieser Ansatz in Deutschland bisher so wenig verfolgt wird“, erklärt der Heidelberger Pneumologe. Die Kosten für eine Raucherentwöhnung belaufen sich einmalig auf 300 bis 400 Euro, während pro Lungen-CT etwa 250 Euro in Rechnung gestellt werden. Würden in Deutschland alle Risikopatienten einem Screening unterzogen, wären jährlich bis zu zehn Millionen zusätzliche CT-Untersuchungen erforderlich. „Die Kosten dafür gehen in die Milliarden – wer soll dafür aufkommen?“, fragt Prof. Herth.

Die Thoraxklinik der Universitätsklinik Heidelberg ist eine der wenigen Einrichtungen, die allen Teilnehmern der europäischen Screening-Studie (NELSON-Studie im Rahmen Ihrer Beteiligung (LUSI-Studie)) ein Raucherentwöhnungsprogramm anbietet. Mit Verhaltenstherapie und chemischen Ersatzstoffen werden die Raucher in ein bis drei Monaten an das Leben ohne Nikotin gewöhnt. Allerdings würde das Programm noch besser funktionieren, so die Meinung von Herth, gäbe es bessere und mehr Struktur in der Patientenführung, wie beispielsweise eine Überwachung der Medikamenteneinnahme oder Sanktionen bei Rückfälligkeit. Und leider stellt sich der Erfolg einer Lungenkrebsprävention durch Entwöhnung auch nicht im gleichen Tempo ein, wie das Risiko durch die Entwöhnung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall gesenkt werden kann. Für 30 Jahre Rauchen bedarf es in etwa des gleichen Zeitraums, um das Lungenkrebsrisiko eines Rauchers wieder annähernd an das Niveau eines Nichtrauchers anzugleichen. Die Argumentation von Rauchern, dass man das sowieso nicht erleben wird, will Herth nicht gelten lassen. „Die Aussage, das Einstellen des Rauchens würde sich nicht lohnen, ist der Standpunkt eines 30- oder 40-Jährigen. In der Regel werden die Patienten aber so alt, wie sie es sich zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen konnten – und kämpfen nun um jeden Tag, der ihr Leben verlängert“, beschreibt Herth den Alltag in seiner Klinik.

Ein weiteres Ergebnis der NELSON-Studie, für die in Heidelberg 2.000 Patienten im Screening und weitere 2.000 im Follow-up untersucht werden, sind die vielen unnötigen Operationen, die auf die CT-Untersuchungen folgen. „Viele Patienten, bei denen ein Rundherd diagnostiziert wird, der unter der kritischen Marke von 8 Millimetern liegt, wollen mit diesem Befund nicht bis zur nächsten Kontrolluntersuchung in drei oder sechs Monaten leben und bestehen daher auf einer operativen Entfernung – und das auch gegen die ärztliche Empfehlung. Noch viel zu wenig diskutiert werden dabei Mortalität und Morbidität dieser Eingriffe. Denn etwa einer von 100 Patienten überlebt den Eingriff nicht und circa 5 Prozent der Patienten erleiden ein Postthorakotomie- Syndrom und werden chronische Schmerzpatienten. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass diese Eingriffe nicht nur in spezialisierten Zentren, sondern auch in vielen anderen Kliniken durchgeführt werden, die einfach nicht genug Erfahrung mit solchen Operationen haben“, so Herth.

Abschließend geißelt Herth die zunehmenden wirtschaftlichen Interessen am Umgang mit dem Lungenkarzinom. „Denn ein Nebeneffekt der zahlreichen Publikationen zur NLST-Studie in der nicht wissenschaftlichen Presse ist die deutliche Zunahme von ‚grauen‘ Screening-Untersuchungen. Kommt ein Raucher oder Exraucher mit dem Wunsch nach einem Lungen-CT zu uns, können wir ihn mit einer Überweisung zur Computertomographie wegen zum Beispiel eines chronischen Hustens sehr schnell zufriedenstellen. Versuchen wir jedoch, ihn wegen der möglichen Konsequenzen umfassend aufzuklären, bedarf es dafür wesentlich mehr Zeit, die nicht entlohnt wird. Ein Teufelskreis also – denn hinzu kommt, dass diese Untersuchungen für Gerätehersteller und Radiologen lukrativ sind. Die Patienten werden daher viel zu selten konsequent aufgeklärt.“


Profil:

Prof. Dr. Felix Herth ist seit 1997 Facharzt für Innere Medizin und führt seit 1998 die Schwerpunktbezeichnung Pneumologie. Im Jahr 2001 wurde er Fellow des American College of Chest Physicians (FCCP). Seit 2004 leitet er die Abteilung Pneumologie und Beatmungsmedizin. Seit 2009 ist er als European Health Leader beratend tätig. Der stellvertretende Ärztliche Direktor der Thoraxklinik an der Universität Heidelberg ist Mitglied zahlreicher deutscher und internationaler Fachgesellschaften und der derzeitige Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin.

 

24.09.2012

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