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Krebspatienten auf der Intensivstation – ein interdisziplinäre Herausforderung
Progressive Therapien zur Krebsbekämpfung bieten neue Chancen für onkologische Patienten, sie bringen aber auch bisher unbekannte Komplikationen mit sich. Die Zahl der Krebspatienten, die aus zumeist Krebs-spezifischen internistischen Gründen auf eine Intensivstation verlegt werden, steigt.
Ihre intensivmedizinische Betreuung ist ein komplexes Unterfangen, bei dem die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine ganz besondere Rolle spielt. Für die Aufnahme eines onkologischen Patienten auf die Intensivstation müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, berichtet Assoc. Prof. PD Dr. Peter Schellongowski, Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin an der Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Wien. Die österreichische Intensivstation ist auf die Versorgung von kritisch kranken Krebspatienten mit internistischen Aufnahmegründen wie beispielsweise akutem respiratorischen Versagen und infektiologischen Problemen wie Sepsis oder toxischen Ereignissen spezialisiert.
Aufnahmekriterien
„Bei einer Entscheidung für oder gegen den Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen bei kritisch kranken Krebspatienten müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Neben dem Allgemeinzustand des Patienten muss die Wahrscheinlichkeit eines Überlebens der akuten Organdysfunktion(en) sowie das zu erwartende Langzeitüberleben und die Therapieoptionen nach der Intensivstation evaluiert werden. Eine intensivmedizinische Therapie kann stark belasten, gegebenenfalls sogar traumatisieren und die verbleibende Lebensqualität schmälern, deshalb sind Aufnahmekriterien wichtig“, erklärt Schellongowski. Patienten, die am Anfang einer prinzipiell behandelbaren Erkrankung stehen, deren Lebenserwartung bei über einem Jahr liegt, die kurativ zu therapieren sind oder die in Remission von ihrer Grunderkrankung sind, werden in der Regel immer aufgenommen. Sie erhalten ein sogenanntes Full-Code-Management, das heißt es wird das gesamte intensivmedizinische Spektrum eingesetzt. Sind die Therapiemöglichkeiten jedoch ausgeschöpft, die Lebenserwartung oder die Patientenkonstitution zu schlecht, so dass eine intensivmedizinische Therapie den Status nicht mehr verbessern kann, wird von einer Behandlung meist Abstand genommen.
Auch bei Patienten mit palliativem Status, die aufgrund ihres Therapieverlaufs längerfristig überleben können, kann eine intensivmedizinische Therapie sinnvoll sein. Dies ist beispielsweise bei niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen der Fall. Auch bei Patienten mit partiellen Remissionen kommt die intensivmedizinische Versorgung in Betracht, so zum Beispiel bei Patienten in partieller Remission von einer multiplen Myom-Erkrankung oder einer Erkrankung mit soliden Tumoren, da auch dort im palliativen Setting Langzeitprognosen erreicht werden können. „Die Gruppe an Patienten, die intensiv medizinisch betreut werden können, erweitert sich dank breit aufgestellter onkologischer Therapien kontinuierlich. Die Onkologie ist beständig in Bewegung, deshalb ist ein guter Informationsaustausch und eine engmaschige Zusammenarbeit zwischen Intensivmedizinern und onkologischen Spezialisten so wichtig: sie garantiert die beste Behandlung für den Patienten“, verdeutlicht der Internist und Intensivmediziner.
Eingehende Prüfung
Trotz strukturierter Kriterien und Richtlinien ist die Therapieziel- und Aufnahme-Entscheidungsfindung oft ein komplexer Vorgang. „Natürlich bedeutet das Minimalziel ‚einjährige Lebenserwartung‘ nicht, dass ein Patient mit einer 11-Monats-Prognose sofort aus dem Raster fällt. Jeder Fall wird unter verschiedenen Gesichtspunkten intensiv geprüft.“ Dazu gehört auch das Gespräch mit dem Patienten, was jedoch nicht immer möglich ist. „Gerade in der Intensivmedizin ist die Kommunikations- und Entscheidungsfähigkeit des Patienten häufig stark eingeschränkt und Patientenverfügungen sind zwar hilfreich, jedoch noch nicht weit verbreitet. Gleichzeitig ist das Zeitfenster für eine Therapieentscheidung meist knapp bemessen. In jedem Fall sind wir stets darum bemüht, nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne des Patienten zu handeln.“ Ist die Situation nicht eindeutig, wird häufig ein sogenanntes ICU-Trial gestartet. Bei einem mehrtägigen Therapieversuch wird geprüft, ob der Patient positiv auf die Behandlung anspricht. Danach wird entschieden, ob es sinnvoll ist, die intensivmedizinische Behandlung fortzusetzen.
In manchen Fällen kommt auch eine vorher festgelegte, limitierte intensivmedizinische Therapie in Frage, bei der Therapieverfahren wie zum Beispiel eine Intubation vorab ausgeschlossen werden. „In einer Studie wurde festgestellt, dass auch bei dieser Vorgehensweise ein Großteil der Patienten überleben kann und bei Überlebenden das befürchtete Post-Intensivstations-Syndrom mit Angststörungen, Depressionen oder posttraumatisches Stresssyndrom nicht häufiger als bei Patienten ohne Therapielimitierung auftritt“, erläutert Schellongowski.
Patienten mit Krebserkrankungen liegen häufig auf der Intensivstation
Drei bis vier Prozent aller Patienten auf Intensivstationen haben hämatologische Krebserkrankungen, wie Leukämie oder eine Lymphomerkrankung. In diesen Fällen ist meist eine Krebs-spezifische internistische Komplikation der Grund für die Aufnahme
Peter Schellongowski
Auch außerhalb von spezialisierten Zentren liegen Krebspatienten zunehmend auf Intensivstationen. „Leider ist die Datenlage nicht optimal. Anhand der vorhandenen Zahlen gehen wir davon aus, dass jeder sechste bis achte Patient auf einer Europäischen Intensivstation eine Krebserkrankung hat“, präzisiert der Internist. „Die Mehrheit dieser Patienten ist von soliden Tumoren betroffen und liegt postoperativ zur Überwachung für einige Tage auf der Intensivstation. Eine bedeutende Anzahl an Patienten wird jedoch auch aufgrund von internistischen Komplikationen der Krebserkrankung oder deren Therapie auf die Intensivstation aufgenommen. Drei bis vier Prozent aller Patienten auf Intensivstationen haben hämatologische Krebserkrankungen, wie Leukämie oder eine Lymphomerkrankung. In diesen Fällen ist meist eine Krebs-spezifische internistische Komplikation der Grund für die Aufnahme.“
Besonders häufig benötigen Patienten in der Anfangsphase ihrer onkologischen Erkrankung intensivmedizinische Betreuung. Fünf bis sechs Prozent der Krebspatienten mit soliden Tumoren kommen zu Beginn ihrer Krankheit zur chirurgischen Erstversorgung auf die Intensivstation. Bei den hämatologischen Patienten liegt die Prozentzahl deutlich höher. Gerade bei Patienten mit aggressiven hämatologischen Malignomen brauchen bis zu 18 Prozent zu Krankheitsbeginn eine intensivmedizinische Versorgung; entweder weil eine Komplikation dieser Erkrankung zu Organdysfunktion führt oder die aggressive Therapie, die zu Beginn verabreicht wird, sekundäre Komplikationen hervorruft, die letztendlich ebenfalls eine Organdysfunktion zur Folge haben.
Differenzierte Therapie
Die häufigste Ursache für die Aufnahme auf einer Intensivstation ist das akute respiratorische Versagen gefolgt von septischen Komplikationen. Gerade bei hämatologischen Erkrankungen treten regelmäßig pulmonale Komplikationen auf, da zum Beispiel Infektionen oder ein Befall bzw. eine Komplikation durch eine Leukämie dazu beiträgt, dass die Lunge nicht mehr richtig arbeitet. Sowohl in der Diagnostik als auch in der empirischen Therapie ist es enorm wichtig, den onkologischen Hintergrund zu beachten. „Bei infektiologischen Komplikationen im Rahmen einer aggressiven Krebserkrankung ist oft ein spezielles Erregerspektrum am Werk. Meist therapieren wir auf mehrere infektiologische Ursachen hin, mitunter muss aber zeitgleich auch eine Chemotherapie verabreicht werden. Dabei ist dann gelegentlich nicht mit Sicherheit zu unterscheiden, ob die pulmonale Komplikation durch eine Infektion oder die Krankheit selbst ausgelöst wurde. Das verkompliziert die Behandlung, denn durch eine Chemotherapie kann sich die Infektion verschlechtern. Gleichzeitig darf die Chemotherapie nicht zu lange ausgesetzt werden, weshalb sehr differenziert vorgegangen und intensiv diagnostisch abgeklärt werden muss. Die enge Zusammenarbeit mit Hämatologen und Onkologen ist deshalb außergewöhnlich wichtig und wünschenswert“, unterstreicht Schellongowski. „Es ist wissenschaftlich gut dokumentiert, dass Intensivstationspatienten mit Krebserkrankungen, die intensiv interdisziplinär betreut werden, ein besseres Outcome haben.“
Zum gesamten Themenkomplex wird demnächst eine deutsch-österreichische Konsensus-Empfehlung verabschiedet, die kurz vor der Publikation steht.
Profil:
Assoc. Prof. PD Dr. Peter Schellongowski, Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin, Oberarzt an der Medizinischen Universität Wien, Universitätsklinik für Innere Medizin, Intensivstation, ist Leiter der Arbeitsgruppe für Hämato-Onkologische Intensivmedizin der Österreichischen Gesellschaft für Internistische und Allgemeine Intensivmedizin und Notfallmedizin (ÖGIAIN), Stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises für Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkolologie (DGHO), Mitbegründer und Co-Koordinator der Initiative „Intensive Care in Hematologic and Oncologic Patients (iCHOP)“, sowie Co-Chair des NEXT Committees der European Society of Intensive Care Medicine (ESICM). Neben der Co-Koordination des „Registers für kritisch kranke Krebspatienten der Initiative iCHOP“ (mit Oberarzt Dr. Gernot Beutel, Medizinische Hochschule Hannover) ist er derzeit mit der Leitung einer Multinationalen Studie zur Erforschung des schweren Lungenversagens bei Patienten mit Krebserkrankungen („The YELENNA Study“) beschäftigt. Für letztgenanntes Projekt erhielt er jüngst den Young Investigator Award der ESICM.
14.03.2018