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Kontroverse um den Darmverschluss

Um die Diagnose des Darmverschlusses tobt seit langer Zeit eine Kontroverse, deren Ende noch nicht abzusehen ist.

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Dr. Alois Hollerweger, Oberarzt an der Abteilung für Radiologie und Nuklearmedizin des Krankenhauses Barmherzige Brüder Salzburg.

Die bekannten Leitlinien – die Bologna-Guidelines zu Diagnose und Management des mechanischen Ileus sowie die entsprechenden Leitlinien des American College of Radiology – empfehlen bei Verdacht auf Darmverschluss eine Röntgen-Abdomen-Übersichtsaufnahme und/oder eine Computertomographie. Ultraschall spielt in diesen Guidelines keine Rolle.

Viele Mediziner sind damit jedoch gar nicht einverstanden: „An unserem Haus wird bei akuten Bauchbeschwerden seit 20 Jahren keine Röntgen-Abdomen-Übersichtsaufnahme mehr gemacht“, betont Dr. Alois Hollerweger, Oberarzt an der Abteilung für Radiologie und Nuklearmedizin des Krankenhauses Barmherzige Brüder Salzburg: „Bei uns ist die primäre Bildgebung in so einem Fall immer der Ultraschall. Die Abdomen-Nativaufnahme ist für die Abklärung von akuten Bauchbeschwerden zu wenig sensitiv.“

Mittels einer Ultraschalluntersuchung kann in den meisten Fällen das Vorliegen der drei wichtigsten Ileus-Kriterien festgestellt werden: dilatierte Darmschlingen, in denen Flüssigkeit steht, eine zumindest zu Beginn rege Peristaltik und eine abrupte Änderung des Lumens („Kalibersprung“). Mit der Abdomen-Nativaufnahme hingegen könne die Peristaltik des Darms nicht beurteilt und vor allem drohende Komplikationen nicht erfasst werden, erklärt Hollerweger. Weiters kann der Ileus mittels Ultraschall sechs bis zwölf Stunden früher diagnostiziert werden als mit einer Röntgen-Abdomen-Übersichtsaufnahme, weil im Frühstadium die Darmschlingen noch nicht stark dilatiert, aber bereits mit Flüssigkeit gefüllt sind, was sich nur im Ultraschall erkennen lässt. Und nicht zuletzt erlaubt die Ultraschalluntersuchung eine Differenzialdiagnose: „Mit Ultraschall lassen sich auch mögliche andere Ursachen für die akuten Bauchbeschwerden erkennen, etwa ein Nierenstau oder Gallenkoliken. Das Röntgenbild leistet keinen Beitrag zur Differenzialdiagnose“, unterstreicht der erfahrene Ultraschalluntersucher.

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Abb. 2: Neben der erweiterten Dünndarmschlinge findet man das kontrahierte Kolon (weißer Pfeil).

Das oftmals vorgebrachte Argument, dass man im Abdomen-Röntgen die Flüssigkeitsspiegel im Darm gut erkennen könne, lässt er nicht gelten: „Das ist schon richtig – aber ein Spiegel ist nur ein indirektes Zeichen, dass sich Luft und Flüssigkeit im Darm befinden. Mit Ultraschall lässt sich die Flüssigkeit direkt detektieren.“ Das Motiv, warum an vielen Häusern bei Verdacht auf Darmverschluss Röntgen-Abdomen-Übersichtsaufnahmen durchgeführt werden, vermutet Hollerweger eher im organisatorischen Bereich: „Die Nativaufnahme kann zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne Radiologen gemacht werden. Für kleine Spitäler ist das eine einfache Möglichkeit, außerhalb der normalen Betriebszeiten eine erste grobe Diagnostik durchzuführen. Interessanterweise wird die Röntgenaufnahme aber immer auch noch von Chirurgen gefordert, auch in großen Spitälern.“ Eine Rolle für die Ignoranz gegenüber dem Ultraschall in den Leitlinien spiele wohl auch die Situation in den USA: Dort sind es nicht die Ärzte, sondern die Angehörigen eines eigenen Berufsstandes – die „Sonographer“ –, die Ultraschalluntersuchungen durchführen.

Abb. 3: Coronare Rekonstruktion: Die Dünndarmschlingen sind erweitert und...
Abb. 3: Coronare Rekonstruktion: Die Dünndarmschlingen sind erweitert und flüssigkeitsgefüllt,

Nur in einem sind sich die Leitlinien und praktizierenden Ultraschalluntersucher einig: bei der weiterführenden Diagnostik ist die Computertomographie die Methode der Wahl. „Wenn die Ultraschalldiagnostik bei hochgradigem Verdacht auf Darmverschluss kein Ergebnis liefert, dann ist der nächste diagnostische Schritt die Computertomographie“, betont Hollerweger. Auch bei Dickdarm-Ileus sei die Computertomographie angesagt, nicht zuletzt weil die häufigste Ursache dafür ein Karzinom ist.

Zum Abschluss gibt der erfahrene Ultraschallausbilder einige praktische Tipps: Beim Ileus befinde sich in den allermeisten Fällen Gas im Darm. Wenn der Patient auf dem Rücken liege, steige dieses nach vorne auf: „Es ist daher ganz wichtig, den Schallkopf in der Flankenregion aufzusetzen.“ Weiters empfiehlt er eine klare Systematik bei der Untersuchung: „Als erstes seitlich durch die Milz überprüfen, ob der Magen voll ist oder nicht. Als zweites über die linke Flankenregion eruieren, wie weit der obere Dünndarm ist und ob der angrenzende Dickdarm kontrahiert ist. Und schließlich im rechten Unterbauch kontrollieren, ob der untere Dünndarm kollabiert ist oder der Stau sich bis in den Dickdarm fortsetzt. Dann sollte man die Stelle der Obstruktion noch weiter einzugrenzen versuchen“. Hollerweger rät allen Kollegen, sich regelmäßig mit dem Darm zu beschäftigen: „Übung macht den Meister!“


Profil:
Dr. Alois Hollerweger ist Oberarzt an der Abteilung für Radiologie und Nuklearmedizin des Krankenhauses Barmherzige Brüder Salzburg. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Ultraschalldiagnostik, insbesondere der Ultraschall des Gastrointestinaltraktes. Auf diesem Gebiet kann er auf 44 wissenschaftliche Publikationen verweisen. Der in Ober-österreich geborene Radiologe, der in Innsbruck studierte und seine Facharzt-ausbildung in Salzburg absolvierte, ist ein gefragter Ausbilder: Hollerweger ist ÖGUM-Kursleiter und veranstaltet regelmäßig Ultraschallkurse in den Bereichen Abdomen, Gastrointestinaltrakt, Small-Parts.

24.09.2015

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