Bildquelle: DGN/Agentur Adverb
News • Verschluss großer intrakranieller Arterien
Mehr Evidenz für Thrombektomie bei ischämischem Schlaganfall
Zwei aktuelle Studien, die zeitgleich im „The New England Journal of Medicine“ publiziert wurden, zeigen: Patienten mit Verschlüssen einer großen Arterie im vorderen Hirnkreislauf (A. carotis interna, A. cerebri media, A. cerebri anterior) mit großen Kernvolumen profitieren von der endovaskulären Schlaganfalltherapie, bei der das Gerinnsel mechanisch entfernt wird. Die Studien bestätigen somit die derzeitigen Leitlinienempfehlungen.
Die internationale „Investor-initiierte“ SELECT2-Studie untersuchte prospektiv und randomisiert im Open-Label-Design den Nutzen der Thrombektomie innerhalb von 24 Stunden nach Auftreten der Symptome bei schweren ischämischen Hirninfarkten, genauer: mit Verschluss der Arteria carotis interna oder des ersten Segments der Arteria cerebri media mit großem ischämischen Kernvolumen (3 bis 5 auf dem „Alberta Stroke Program Early Computed Tomography“-Score oder einem Kernvolumen von mindestens 50 ml im Perfusions-CT oder Diffusions-MRT). Primärer Endpunkt war der Behinderungsgrad auf der modifizierten Rankin-Skala (mRS- Score, 0=keine Behinderung, 6=Tod) nach 90 Tagen. 178 Patienten erhielten eine Thrombektomie zusätzlich zur medikamentösen Therapie, 174 wurden nur medikamentös behandelt. Es zeigte sich eine hochsignifikante Überlegenheit des zusätzlichen Eingriffs mit einer 51% höheren Chance für ein besseres Outcome (OR: 1,51, p<0,001). Allerdings kam es in der Thrombektomie-Gruppe bei 34 Patienten zu Komplikationen, darunter Gefäßperforationen, Dissektionen oder Vasospasmen. Die gefürchteten intrakraniellen Blutungen traten aber nur bei einer mit Thrombektomie behandelten Person auf, in der Vergleichsgruppe bei zwei Personen.
Eine mechanische Thrombektomie kann auch bei Verschlüssen der A. cerebri anterior oder der A. cerebri posterior von Vorteil sein
Peter Berlit
Ein ganz ähnliches Ergebnis zeigte eine große chinesische Studie. Dort waren 456 Patienten mit Verschlüssen der Arteria cerebri anterior mit großem ischämischen Kernvolumen (3 bis 5 auf dem „Alberta Stroke Program Early Computed Tomography“-Score oder einem Kernvolumen von mindestens 70-100 ml) eingeschlossen worden, 231 erhielten eine Thrombektomie, 225 wurden medikamentös behandelt. 285 der Studienteilnehmenden (beider Gruppen) erhielten eine Thrombolyse. Auch diese Studie wurde aufgrund der hochsignifikanten Überlegenheit der Thrombektomie vorzeitig beendet. Wie in der SELECT2-Studie umfasste der primäre Endpunkt den Unterschied im Hinblick auf das Outcome erhoben mit der modifizierten Rankin-Skala, nach 90 Tagen betrug die „Odds Ratio“ 1,37 (p=0,004). Intrakranielle Blutungen traten in dieser Studie allerdings häufiger in der Thrombektomiegruppe als in der rein medikamentös behandelten Gruppe auf (symptomatische intrakranielle Hämorrhagien 14 vs. 6, Hämorrhagien allgemein 113 vs. 39).
„Die SELECT2-Studie unterstützt somit den Behandlungsstandard, der in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) festgelegt ist, und zwar dass bei Verschluss einer großen Arterie im vorderen Kreislauf die endovaskuläre Therapie erfolgen soll. Es handelt sich dabei um eine starke Empfehlung mit Evidenzgrad 2, der durch die neue Studie perspektivisch sogar auf 1 hochgesetzt werden könnte“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, DGN-Generalsekretär und -Pressesprecher. Für den Einsatz der Thrombektomie bei Infarkten der A. cerebri anterior gebe es bislang wenig Evidenz. Wie der Experte ausführt, beruhe die Empfehlung „Eine mechanische Thrombektomie kann auch bei Verschlüssen der A. cerebri anterior oder der A. cerebri posterior von Vorteil sein“ auf einen Expertenkonsens. „Die chinesische Studie liefert nun Daten, dass diese Empfehlung richtig ist und wir auch bei diesen Infarkten mit großem Kerngebieten thrombektomieren sollten.“
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie
20.02.2023