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Intraoperative 3D-Bildgebung: Help oder Hype?
Die minimalinvasive Chirurgie ist fester Bestandteil des allgemein-, viszeral- und thoraxchirurgischen Spektrums, bei dem Krankenhäuser bislang standardmäßig auf zweidimensionale Kamera- und Monitorsysteme zurückgreifen. Doch geht hierbei der räumliche Eindruck verloren und der Verlust der Tiefeninformation beeinträchtigt die Hand-Augen-Koordination des Chirurgen. Abhilfe könnte die intraoperative 3D-Bildgebung schaffen. Heike Nerenz, Assistenzärztin an der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Pius Hospital Oldenburg, hat im Rahmen ihrer Promotion deren Nutzen untersucht. Ihr Fazit: „Wir haben positive Aspekte aufzeigen, aber nicht definitiv bestimmen können, dass 3D besser ist als 2D. Die bevorzugte Visualisierungsart (zwei- oder dreidimensional) ist dabei sehr stark abhängig vom subjektiven Empfinden des Operateurs und von der Art des operativen Eingriffs selbst.“
Report: Sascha Keutel
Das Ergebnis hat uns überrascht: Wir haben festgestellt, dass ca. 30 % unserer Operateure richtig gut 3D sehen können, weitere ca. 30% konnten 3D mittelmäßig gut und etwa 30% des Personals konnte gar nicht dreidimensional sehen.
Heike Nerenz
Ausgangspunkt ihrer Untersuchung war der Aspekt, dass rund 10 Prozent % der Bevölkerung die Welt nur in zwei Dimensionen sehen können, ohne sich dessen bewusst zu sein. Daher hat Nerenz zunächst die Tiefenwahrnehmung des beteiligten OP-Personals in einer Refraktionsanalyse untersuchen lassen. „Das Ergebnis hat uns überrascht: Wir haben festgestellt, dass ca. 30 % unserer Operateure richtig gut 3D sehen können, weitere ca. 30% konnten 3D mittelmäßig gut und etwa 30% des Personals konnte gar nicht dreidimensional sehen.“
Begleitbeschwerden
Das eingesetzte Personal unterzog sich nach Abschluss jeder randomisiert in 2D oder 3D durchgeführten Operation dem von der NASA entwickelten Belastungstest „NASA TLX“. Dieser prüft die Arbeitsplatzbelastung und fragt sowohl die geistige, körperliche und zeitliche Beanspruchung ab, als auch die Dimensionen der Anstrengung, Frustration und den Erfolg. „Dabei ergaben sich interessante Ergebnisse: Dass Operateure die Bildqualität von 3D besser bewerten als 2D, ist nicht völlig überraschend. Die OP-Pflege wiederum bewertet insbesondere die Arbeitsplatzbelastung bei 3D deutlich höher als bei 2D, anders als bei den Operateuren, welche die Arbeitsplatzbelastung gleich einschätzen. Zudem traten beim Pflegepersonal häufiger vegetative Begleitbeschwerden wie Schwindel und Unwohlsein auf. „Mitunter gab es auch Fälle, bei denen Betroffene die 3D-Brille absetzen mussten, da es anders nicht mehr ging“, berichtet Nerenz.
„Das Problem ist, dass man zur Wahrnehmung eines 3D-Bildschirmbildes also ständig akkommodieren, konvergieren und das 3D-Bild scharfstellen muss.“ Die dreidimensionale Darstellung basiert auf dem Prinzip der Stereoskopie, bei der für das linke und rechte Auge jeweils ein aus leicht unterschiedlichen Winkeln aufgenommenes Bild dargestellt wird. Die unterschiedlichen Bilder werden auf der Netzhaut zu einem Bild fusioniert.
Dies kann jedoch zu einer visuellen Überforderung des Betrachters und zu den genannten Begleitbeschwerden führen. „Wir haben festgestellt, dass das OP-Personal einen Abstand vom Monitor zum Probanden von mindestens zwei Metern benötigt. Gerade bei kleineren Räumen wie einem ambulanten Operationssaal wird dies problematisch, weil der Turm mit dem Bildschirm nicht weit genug vom Tisch entfernt platziert werden kann.“
Workflows
Eine entscheidende Rolle bei der Nutzung von 3D in der Chirurgie ist die Fähigkeit des Personals, die Kamera zu führen, denn eine unruhige Kameraführung führt zu verwackelten Bildern. Dadurch erhöhen sich nicht nur die Anforderungen an die okulare Verarbeitungsebene, sondern auch die der kognitiven Ebene im Gehirn. Dieses Zusammenspiel ist anstrengend und führt bei längeren Operationszeiten zu Ermüdungserscheinungen und Begleitbeschwerden.
Ein weiteres Problem für Krankenhäuser ist der erhöhte Personalaufwand. Bei laparoskopischen 2D-Operationen ist meistens neben einem Operateur nur ein Assistent beteiligt, der die Kamera und die Arbeitsgeräte führt. Für die Führung der 3D-Kamera bedarf es wegen der 360-Grad-Drehung aber beider Hände. Das erhöht zumindest für größere operative Eingriffe den personellen und finanziellen Aufwand, weshalb manche Krankenhäuser noch mit der Umstellung auf eine intraoperative 3D-Bildgebung zögern. Nicht zuletzt müssten sie dafür auch noch die Technik anschaffen – ebenfalls ein nicht unerheblicher Kostenaufwand.
Kürzere Indikatorschritte
An Hand ausgewählter Operationen wie der totalen extraperitonealen Hernioplastik (TEP) und der laparoskopischen Cholezystektomie untersuchte Nerenz auch die Komponente ‚Zeit‘. „Die reine Operationsdauer ist von mehreren Faktoren abhängig wie Gewicht und Lagerung des Patienten und davon, wie leicht man Zugang zu den entsprechenden Stellen, bekommt. Sie ist daher nicht wirklich aussagekräftig.“ Dementsprechend definierte sie Indikatorschritte für die Messung: „Bei der laparoskopischen Cholezystektomie haben wir daher die Zeit vom Schnitt bis zum Absetzen der Clips gemessen. Bei der TEP haben wir die Netzplatzierung als Ausgangspunkt festgelegt: Sobald das Netz durch den Schlot in den Bauch eingesetzt wird, messen wir die Zeit bis alle Netze zum Liegen kommen. Hier konnten wir nachweisen, dass sich die Indikatorschritt-Zeiten bei Nutzung von 3D signifikant verkürzen.“
Auffällig ist diese Zeitersparnis bei erfahrenen Operateuren mit mehr als 150 laparoskopischen Eingriffen in ihrer Berufslaufbahn. Sie sparten fast 50 Prozent der Zeit ein. Laut Nerenz ist es vor allem die Performancesicherheit der Experten im Vergleich zu den sogenannten Anfängern mit weniger als 150 Eingriffen die dazu führt.
Fazit
Eine abschließende Antwort auf die Frage, ob die intraoperative 3D-Bildgebung nun „Help oder Hype“ ist, kann aus Nerenz‘ Untersuchungen nicht gegeben werden. Es konnten objektive Vorteile der 3D-Bildgebung wie eine verbesserte Sichtbarkeit der Patientenanatomie, mehr chirurgische Effizienz und Genauigkeit bei laparoskopischen Eingriffen mit kürzeren Zeiten für die Indikatorschritte nachgewiesen werden. Bestätigt wurde auch die Subjektivät der Operateure im Umgang mit 2D und 3D. Danach befragt, wer denn 3D auch außerhalb der Studie einsetzen würde, bejahten dies 80%, 20% fanden 3D unspektakulär und sehen keinen Vorteil in deren Nutzung.
Profil:
Heike Nerenz schloss 1996 ihr Studium der Humanmedizin an der Ruhr-Universität Bochum ab. Anschließend war sie als Assistenzärztin in Sande und Oldenburg tätig. Seit September 2012 arbeitet sie als Assistenzärztin im Pius-Hospital in Oldenburg. Für ihre Promotion untersucht sie den Einfluss der 3D Visualisierung auf Arbeitsplatzbelastung und Effizienz bei unterschiedlichen operativen Eingriffen.
15.08.2016