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Artikel • Deutsches Gesundheitswesen
Interoperabilität: Vom Zungenbrecher zum Mindestausstattungsmerkmal
Die Interoperabilität ist im Zuge der Digitalisierung des Gesundheitswesens in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund getreten. Sie ist ein zentraler Treiber der Digitalisierung, denn sie ermöglicht die Vernetzung der verschiedenen Behandler. Unter Interoperabilität versteht man die Fähigkeit von mindestens zwei Menschen, Organisationen oder Systemen Informationen auszutauschen, diese zu verstehen und wiederzuverwenden. Dabei spielen nicht nur technische, sondern auch soziale Aspekte eine Rolle.
Artikel: Cornelia Wels-Maug
Durch die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) seit dem Jahr 2019 erlassenen Gesetze und Verordnungen hat sich auch in Deutschland die Digitalisierung im Gesundheitswesen beschleunigt und die Rolle der Interoperabilität als ein Grundpfeiler einer vernetzten Gesundheitsversorgung wurde ausgebaut. Laut Dr. Kai U. Heitmann, Geschäftsführer von HL7 Deutschland, hat sich Interoperabilität mittlerweile vom Zungenbrecher zum Mindestausstattungsmerkmal bei Ausschreibungen im Gesundheitswesen gemausert. Es dauerte jedoch, bis das Thema in der Politik ankam. Um dies zu erreichen, brauchte es nicht nur rechtlicher Schritte, sondern auch des Engagements der Gesundheitsdienstleister. Letzteres findet man aber vorwiegend nur dort, wo das medizinische Fachpersonal unmittelbar den durch Interoperabilität bzw. E-Health Anwendungen ermöglichten Mehrwert in seinem Arbeitsalltag erfahren kann.
Interoperabilität gewinnt an Momentum
Auf dem diesjährigen E-Health Tag des Frankfurter Universitätsklinikums skizzierte Heitmann die Entwicklung der Interoperabilität im Rahmen der e-Health Aktivitäten der Bundesregierung. Ganz bewusst vermied er hierfür das Wort „Strategie“, weil es gerade deren Fehlen sei, welches zu einem „Vorantreiben“ der Thematik in den Jahren 2005 bis 2019 geführt hatte. In diese Zeitspanne fiel auch die Spezifikation des elektronischen Arztbriefes (2006), der damals jedoch noch auf kein breiteres Interesse stieß.
Mit der Beauftragung der „E-Health-Planungsstudie Interoperabilität“ im Jahr 2014 durch das BMG änderte sich das. Sie schuf ein größeres Bewusstsein für die Wichtigkeit der Thematik, die unter anderem zur Gründung des interdisziplinären Think Tanks „Health Innovation Hub“ (hih) im Jahr 2019 führte. Sein Wirken wurde von Anfang an auf einen zweijährigen Zeitraum begrenzt, innerhalb dessen der hih den Nutzen der Digitalisierung und der damit verbundenen Interoperabilität durch vielfältige Aktivitäten kommunizieren sollte. Gleichzeitig erließ die Bundesregierung eine Reihe von Gesetzen, mit deren Hilfe die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben wurde: Zwischen 2019 und 2021 wurden 28 Gesetze mit E-Health Bezug erlassen, sechs davon mit einem expliziten Fokus. Bei Letzteren handelt es sich um das Terminservice- und Versorgungsgesetz (05/2019); das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (08/2019); das Digitale-Versorgung-Gesetz (12/2019); das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG; 10/2020); das Patientendaten-Schutz-Gesetz (10/2020) sowie das Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungs-Gesetz (06/2021). Im Zuge dieser Gesetze wurden dann auch die elektronische Patientenakte (EPA), das e-Rezept sowie die e-Krankschreibung eingeführt.
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Artikel • Zukunft von Digitalisierung und Interoperabilität
Druck auf dem digitalen Kessel
Die großen Digitalprojekte im deutschen Gesundheitswesen – elektronische Patientenakte (ePA), Telematikinfrastruktur (TI) und Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), um nur einige zu nennen – sind bislang kaum als Ruhmesblatt zu bezeichnen. Wir sprachen mit Dr. Georg Münzenrieder, wie sich aus dem bisher Gelernten der Weg in die digitale Zukunft bahnen lässt.
Das Umfeld für Interoperabilität bereiten
Bei Interoperabilität geht es um weit mehr als nur um den Austausch von Daten. Sie erfordert auch, dass die ausgetauschten Informationen von allen Beteiligten verstanden werden können und die Stakeholder diese auch untereinander austauschen wollen. Deshalb fallen in das Umfeld der Interoperabilität auch Fragen hinsichtlich Standardisierung, Terminologien, Datenformate und -modelle, aber auch der Koordinierung. Und um der Koordination der verschiedenen Stakeholder-Gruppen einen Rahmen zu geben, wurde 2021 die „Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung“ erlassen. Sie soll die Schaffung von Interoperabilität durch die Anwendung neuer Prozesse und Verfahren voranbringen, die „konsensbasiert, interdisziplinär, effizient und zügig sind“. Dieser Schritt setzt insbesondere auf das Einholen von Expertenmeinungen. Dazu wurde eine „Koordinierungsstelle für Interoperabilität im Gesundheitswesen“ (§ 385), Expertenkreise (§ 386) und die ersten drei Arbeitskreise (§ 387) eingerichtet sowie ein Expertengremium (§ 388) geschaffen. Alle Organe haben bereits ihre Arbeit aufgenommen, auf deren Basis dann Handlungsempfehlungen für die Politik abgeleitet werden sollen. Gleichzeitig wurde der Interoperabilitäts-Navigator INA geschaffen, der Transparenz in die Thematik bringt, indem er über unter anderem die im Gesundheitswesen verfügbaren IT-Standards und den Stand der Arbeit der oben erwähnten Organe Auskunft gibt.
Wie geht es weiter? Roadmap der Interoperabilität
Technisch ist alles gemacht, Datensicherheit zu ermöglichen, aber wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen, der das erlaubt
Kai U. Heitmann
In den letzten Jahren wurden die Rahmenbedingungen für die Digitalisierung des Gesundheitswesens wesentlich gestärkt. Das KHZG und die EPA als zentrale Bausteine einer vernetzten Versorgung sowie die Einführung neuer Governance-Strukturen sind wichtige Schritte, um die Interoperabilität breiter in der Versorgung zu verankern. Die kürzlich vom BMG vorgestellte Digitalisierungsstrategie unterstreicht die Wichtigkeit und die Dringlichkeit des eingeschlagenen Weges, der auf der Partizipation aller Gruppen im Gesundheitswesen angelegt ist.
Das Bemühen um Digitalisierung sollte jedoch nicht an den Pforten des Krankenhaussektors halt machen, sondern auf die anderen Bereiche wie den ambulanten Sektor, den öffentlichen Gesundheitsdienst und die Pflege ausgeweitet werden. Gleichzeitig müssen die gemeinsam erarbeiteten Lösungen getestet und validiert werden. Der Mehrwert, zu dem sie beitragen, sollte so signifikant sein, dass Gesundheitsdienstleister nicht mehr auf deren Einsatz verzichten wollen. Beispielsweise wäre es im Falle der EPA wichtig, wenn sie weitreichendere medizinische Informationen neben dem gegenwärtigen Impfpass, dem Mutterpass, dem Kinderuntersuchungs- und dem Zahnbonusheft enthalten würde.
Auch muss die Rolle des Datenschutzes in Deutschland überdacht werden, denn hier fehlt eine ausgewogenere Abwägung von dessen Vor- und Nachteilen für die Gesundheit einer Person. Heitmann fordert in diesem Zusammenhang, eine bessere Balance zu finden, „unsere Daten zu schützen und zu nützen“. Dies erfordert auch, Gesetzes so umzuformulieren, dass eine solche Balance verwirklichbar ist und Vertrauen in die Sicherheit der Daten erzeugt wird. „Technisch ist alles gemacht, Datensicherheit zu ermöglichen, aber wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen, der das erlaubt,“ bringt es Heitmann auf den Punkt.
02.11.2022