Artikel • Ran an den Speck
Interdisziplinär gegen morbide Adipositas
Übergewicht bedeutet nicht einfach nur, dass ein Mensch zu viel wiegt, sondern auch, dass er im Laufe der Zeit unterschiedlichste Folgekrankheiten erwirbt, die nicht nur die Lebensqualität zunehmend einschränken, sondern auch nachweislich zum Tode führen. Die wichtigsten sind Bluthochdruck, Koronare Herzkrankheiten, Typ-2-Diabetes, Störungen der Lungenfunktion, Tumoren sowie ein erhöhtes Operations- und Narkoserisiko.
Bericht: Anja Behringer
Nur selten führen konservative Therapien wie Diät und Sport zur erwünschten Gewichtsreduktion, die zudem häufig nicht langfristig erhalten bleibt. So galt bisher die bariatrische Chirurgie bei krankhafter Fettleibigkeit als letzte Therapieoption. Im Einzelfall – etwa bei schweren Nebenerkrankungen – kann sie jedoch auch die erste Wahl darstellen. Denn die bariatrische Chirurgie führt nicht nur zu einer deutlichen und vor allem langfristigen Gewichtsabnahme, sondern darüber hinaus lassen sich Begleiterkrankungen wie Typ-2-Diabetes verbessern oder sogar heilen. Die Wahl des passenden chirurgischen Verfahrens ist abhängig vom individuellen Zustand des Patienten, vorhandenen Komorbitäten und dem Essverhalten. Einen Goldstandard gibt es nicht.
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Adipositaschirurgie: Letzter Ausweg oder einzige Chance?
Über die Hälfte der europäischen Bevölkerung ist übergewichtig oder fettleibig – oftmals mit fatalen Folgen für die Gesundheit, denn ausgeprägte morbide Adipositas führt in vielen Fällen zu Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Arterienverkalkung, Fettleber und Diabetes Typ 2. Erst wenn keine Diät oder Lebensstil-Intervention geholfen hat, um das starke Übergewicht langfristig zu…
Die Therapieziele haben sich jedoch deutlich geändert. Bariatrische Eingriffe wurden erstmals in den 50er-Jahren mit dem einzigen Ziel der Gewichtsreduktion eingeführt. Zehn Jahre später wurde der Magenbypass entwickelt, der 1994 erstmals laparoskopisch gelegt wurde. Aktuell gilt die metabolische Phase, deren chirurgische Ziele in einer langfristigen und nachhaltigen Gewichtsabnahme von mindestens 50 Prozent des Übergewichts liegen, der Verbesserung bzw. Remission adipositasbedingter Folgeerkrankungen, verbesserter Lebensqualität, Prävention von Folgeerkrankungen und Senkung der adipositasbedingten Sterblichkeit sowie mit der Krankheit zusammenhängender Mehrausgaben.
In jedem Fall sollte vor einer Operation eine Indikationsprüfung im Konsens mit einem spezialisierten Team an einem Adipositas-Zentrum durchgeführt und mit dem Patienten über das geeignete Operationsverfahren gesprochen werden. Als Auswahlkriterien für eine operative Behandlung der Adipositas werden von der Deutschen Gesellschaft für Adipositas und der International Federation of Surgery of Obesity (I.F.S.O.) gefordert:
- Body-mass index > 40kg/m²,
- Body-mass index > 35kg/m² mit ernsthaften Begleiterkrankungen,
- Adipositas länger als 5 Jahre bestehend,
- Ausschluss von Stoffwechselerkrankungen sowie einer bestehenden instabilen psychiatrischen Erkrankung, Alkoholabusus, Drogenkonsum.
- Außerdem muss der Patient zur Kooperation fähig und das Operationsrisiko vertretbar sein.
Mit steigender Komplexität des Eingriffs – Magenband, Schlauchmagen, Magenbypss – verbessert sich die Blutzuckerkontrolle und die Remissionsrate wird erhöht.
Reversible Eingriffe wie Magenballon oder –schrittmacher haben sich als nicht langfristig erfolgreich erwiesen. „Bei Entfernung kommt es häufig zum Rückfall“, wie Professor Dr. med. Thomas Rösch, Direktor der Klinik und Poliklinik für Interdisziplinäre Endoskopie, Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf erklärt. „Trotzdem werden die Eingriffe auf dem ‚grauen Markt‘ häufig vorgenommen.“ Wurde krankhafte Fettsucht früher offen operiert, erfolgt die klassische Operation heute minimalinvasiv, also mittels Schlüssellochchirurgie.
Eine noch schonendere Variante ist eine endoskopische Behandlung, die rein von innen erfolgt. Professor Rösch stellte auf dem Viszeralkongress in München im September einige solcher neuen Verfahren der endoskopischen OP für Patienten mit einem BMI von 35 bis 45 vor. „Dieser weniger invasive Zugang bedeutet ein geringeres Operationsrisiko für den Patienten und ist nicht so aufwendig, spart also Kosten.“ Ein entscheidender Punkt, denn die Krankenkassen verweigern vielfach die Übernahme. Häufig werden betroffene Patienten nicht als multimorbid wahrgenommen und einer Operation kein langfristiger lebensrettender Heilerfolg zugesprochen. In Deutschland wird zu spät und zu wenig operiert.
Zum Erfolg gehört jedoch auch eine Verbesserung der Infrastruktur mit ambulanten Nachsorgekonzepten für adipöse Patienten in Schwerpunktpraxen mit einem interdisziplinären multimodalen Stufenkonzept. Und für die neuen endoskopischen Verfahren gilt, dass sie ihre langfristige Wirksamkeit meist erst noch beweisen müssen. So könnte es durchaus sinnvoll sein, sie in das Therapiespektrum eines Adipositaszentrums aufzunehmen. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) hat bundesweit vier Exzellenzzentren zertifiziert, davon als einziges universitäres Adipositas-Centrum das des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf mit der höchsten von drei Zertifizierungsstufen.
Profil:
Professor Dr. Thomas Rösch ist seit Oktober 2008 Direktor der Klinik und Poliklinik für Interdisziplinäre Endoskopie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). 1958 in München geboren, studierte er an der TU München und war dort von 1985 bis 2004, zuletzt als Oberarzt und Leiter der Endoskopie der II. Medizinischen Klinik, tätig. 2004 wechselte er an die Charité Berlin als C3-Professor mit Schwerpunkt Endoskopie in der Klinik für Gastroenterologie am Campus Virchow und leitete bis 2008 die Interdisziplinäre Endoskopie. Klinische Schwerpunkte sind Diagnostik und Therapie des Barrett-Ösophagus und gastrointestinaler Frühkarzinome, diagnostische Endosonografie sowie pankreatobiliäre Interventionen mittels ERCP und Endosonografie; außerdem die Versorgungsforschung in Kooperation mit niedergelassenen Gastroenterologen in Hamburg und Berlin in der Vorsorge-Koloskopie. Seit 2015 forscht er verstärkt im Bereich des neugegründeten Universitären Speiseröhrenzentrums des UKE.
24.04.2019