Informationsplattform

Innovative Krebsmedikamente müssen geprüft werden

Die seit einigen Jahren kontinuierlich steigende Anzahl verfügbarer Arzneimittel in der Hämatologie und Onkologie eröffnet viele neue Behandlungsperspektiven. Gleichzeitig stellt sie die behandelnden Ärztinnen und Ärzte vor große Herausforderungen. Neben dem Text der Zulassung sind Ergebnisse weiterer Studien, Leitlinien sowie externe Vorgaben bei Therapieberatung und Verordnung zu berücksichtigen.

Prof. Carsten Bokemeyer, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO.
Prof. Carsten Bokemeyer, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO.
Quelle: DGHO

In Deutschland ist die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) seit Anfang 2011 durchgeführte Frühe Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) von besonderer Bedeutung. Konzipiert zur Festlegung eines Zusatznutzens als Basis für die Preisverhandlung zwischen pharmazeutischen Unternehmen und Krankenkassen, liefert das Verfahren viele zusätzliche Informationen über Details der Zulassungsstudie(n) und eine methodische Bewertung.

Die Vielfalt und die rasche Zunahme relevanter Informationen sind schwer überschaubar. Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. hat deshalb das Informationsportal Onkopedia um den neuen Bereich "Arzneimittel Bewertung" erweitert. In komprimierter Form fasst dieser die aktuellen Informationen zu den neuen Arzneimitteln mit den Ergebnissen der Zulassungsstudien, der Festlegung des Zusatznutzens und den Empfehlungen der Fachgesellschaften zusammen.

Chancen und Herausforderungen durch neue Arzneimittel

Prof. Carsten Bokemeyer, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik für Onkologie, Hämatologie und Knochenmarktransplantation mit Sektion Pneumologie am Universitätsklinikum Hamburg, erläuterte zu Beginn der Pressekonferenz die derzeitige Situation bei der Therapie von Blutkrebserkrankungen und soliden Tumoren. "Die Krebsbehandlung befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Uns Hämatologen und Onkologen steht nahezu monatlich ein neues Medikament zur Verfügung." Viele neue Substanzen führten sowohl zu längeren mittleren Überlebenszeiten als auch zu einer höheren Rate von Langzeitüberlebenden. "Darüber hinaus kommt es unter den neuen Medikamenten oft zu einer klinisch relevanten Linderung von krankheitsbedingten Beschwerden und – im Vergleich zur Chemotherapie – oft zu einer signifikanten Verringerung von Nebenwirkungen", so Bokemeyer.

Laut Bokemeyer stellt aber gleichzeitig der Innovationsschub in der Hämatologie und Onkologie die in der Krebstherapie Tätigen vor neue Herausforderungen: "Durch eine präzisere Diagnostik müssen wir frühzeitig erkennen, wer von den neuen Substanzen profitiert – beispielsweise durch die Identifizierung von genetischen Mutationen, die Feststellung von Komorbiditäten oder die Kategorisierung in Subgruppen. Außerdem brauchen wir bessere Daten unter anderem zu Langzeitnebenwirkungen." Darüber hinaus sei es von immanenter Bedeutung, die neuen Erkenntnisse über moderne Kommunikationsplattformen schnell an die verordnenden Ärztinnen und Ärzte weiterzugeben.

"Bei jeder neuen Substanz, die uns zur Verfügung steht, müssen wir uns immer wieder folgende Fragen stellen: Welches Arzneimittel ist wirklich ein Gewinn, welche Diagnostik ist erforderlich, welcher Patient profitiert von welcher Substanz, und welches Arzneimittel hat keinen oder nur einen geringen Zusatznutzen gegenüber dem bisherigen Standard", fasste Bokemeyer die Herausforderungen der zukünftigen Krebstherapie zusammen.

Aufgabe und Begrenzung von Leitlinien

"Aus Sicht der Fachgesellschaft muss die wissenschaftliche Evidenz die Antwort auf diese Fragen sein", betonte Prof. Diana Lüftner, Mitglied im Vorstand der DGHO und Oberärztin an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie an der Berliner Charité. "Heute sehen wir uns als Ärztinnen und Ärzte in der Krebstherapie nicht selten mit dem Problem konfrontiert, dass die Zulassung und die Frühe Nutzenbewertung sowie die aktuellen Behandlungsleitlinien auf identischen Daten beruhen, aber nicht zu denselben Schlussfolgerungen kommen. Dass ist zum einen ein wissenschaftliches Problem, da die jeweiligen methodischen Ansätze differieren. Zum anderen spielt auch die jeweilige Intention der an den verschiedenen Verfahren beteiligten Institutionen und Akteure eine Rolle", so Lüftner. Die Preisfindung eines neuen Medikaments im Rahmen des AMNOG-Prozesses orientiert sich am durch den G-BA festgestellten Zusatznutzen. "Legt der G-BA bei seinen Festlegungen nun beispielsweise andere Endpunkte oder eine andere Vergleichstherapie als ein pharmazeutisches Unternehmen in seinem Dossier zugrunde, kommt es mitunter zu unterschiedlichen Einschätzungen mit Blick auf den Zusatznutzen einer neuen Substanz", erläuterte Lüftner.

Lüftner hob die zentrale Rolle der medizinischen Fachgesellschaften im Verfahren der Frühen Nutzenbewertung hervor. "Bei einem neuen Medikament für die Behandlung von Lungenkrebs hatten wir den Fall, dass der G-BA aufgrund eines nicht signifikanten Effektes beim Endpunkt 'Gesamtüberleben' die Möglichkeit gehabt hätte, keinen Zusatznutzen festzustellen. Als DGHO konnten wir in unserer Stellungnahme anhand neuer Daten die positiven Effekte beim Endpunkt 'Lebensqualität' darstellen, so dass im Endergebnis für das Medikament ein beträchtlicher Zusatznutzen festgestellt wurde. Eine angemessene Entscheidung für unsere Patientinnen und Patienten", so Lüftner.

Beschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit durch Arzneimittelvereinbarungen

Mögliche Konsequenzen der Festlegungen des Zusatznutzens unter anderem auf die Therapiefreiheit der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte verdeutlichte Prof. Stephan Schmitz, Vorsitzender des Berufsverbands der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland - BNHO e.V.: "Mit einiger Besorgnis stellen wir fest, dass die gesetzlichen Krankenkassen – zum Teil zusammen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen – den für unsere Patientinnen und Patienten absolut notwendigen Zugang zu neuen Krebsmedikamenten einschränken wollen." Grund sei unter anderem, dass die Bewertungen des G-BA im Rahmen von Arzneimittelvereinbarungen der Kostenträger insofern instrumentalisiert werden, als nur Substanzen mit einem festgestellten Zusatznutzen verordnet werden sollen. "Diese Einschränkungen sind aus unsere Sicht ein Eingriff in die Therapiefreiheit und können sogar die gesetzliche Verpflichtung, Patientinnen und Patienten jeweils nach dem Stand des medizinischen Wissens zu behandeln, konterkarieren", so der BNHO-Vorsitzende.

Schmitz machte deutlich, dass die Frühe Nutzenbewertung in erster Linie ein Instrument zur Preisgestaltung sei. Die Aufgabe von Leitlinien hingegen ist, den optimalen Einsatz von Krebsmedikamenten nach dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens vorzuschlagen. Es sei nicht akzeptabel, dass Krankenkassen alleine oder zusammen mit Kassenärztlichen Vereinigungen aus finanziellen Motiven sachfremde Entscheidungen über den Stand des medizinischen Wissens treffen. "Die Hoheit dessen, was der Stand des medizinischen Wissens ist, liegt bei uns Ärztinnen und Ärzten und unseren wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Insofern begrüßen wir das Angebot der DGHO, einen neuen Bereich 'Arzneimittel Bewertung' mit zusammenfassender Darstellung der Zulassung, der G-BA-Festlegungen und der Empfehlungen der Fachgesellschaft zu implementieren", so Schmitz.

Informationen zur Wirksamkeit und zum Nutzen neuer Arzneimittel

Prof. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der DGHO, erläuterte die Motivation für die Implementierung des neuen DGHO-Angebots "Arzneimittel Bewertung" auf Onkopedia: "Die Datenbasis für neue Krebsmedikamente wächst mit rasanter Geschwindigkeit. Neben den initialen Zulassungsstudien werden zusätzliche Daten zu Subgruppen und mit längerer Verlaufsbeobachtung publiziert. Zu den Dossiers der Pharmaunternehmen kommen – seit Einführung des AMNOG im Jahr 2011 – nun auch die Ergebnisse der Frühen Nutzenbewertung in Form der Beschlüsse des G-BA hinzu. Dabei haben uns die Rückmeldungen unserer Kolleginnen und Kollegen gezeigt, dass diese Fülle an Informationen eher verwirrend als unterstützend wahrgenommen wird. Diese Situation war für uns der Ausgangspunkt, ein Informationsportal zu Wirksamkeit und Nutzen neuer Arzneimittel in der Hämatologie und Onkologie zu implementieren. Der neue Service soll es Ärztinnen und Ärzten ermöglichen, schnell und kompakt auf entsprechende Informationen zuzugreifen", so Wörmann.

Im Bereich "Arzneimittel Bewertung" finden sich zu dem jeweiligen Arzneimittel Datum der Zulassung, Applikationsform, Wirkmechanismus, Informationen zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen sowie direkte Verlinkungen zu Zulassungsdaten bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), zu Studiendaten, zu Daten im Rahmen der Frühen Nutzenbewertung und zu den aktuell verfügbaren Leitlinien. "Wir setzen die Implementierung des neuen Angebotes als Erweiterung unseres Onkopedia-Leitlinienportals um und ermöglichen damit einen für den ärztlichen Alltag maßgeschneiderten Zugriff auf aktuelle Informationen", betonte Wörmann.

Verschiedenartigkeit der Instrumente beachten
 
Die DGHO begrüßt das Verfahren der Frühen Nutzenbewertung als Instrument der Preisfindung, aus Sicht der Fachgesellschaft ist aber eine differenzierende Einordnung einer medikamentösen Therapie notwendig. Die alleinige Zulassung eines Medikaments definiere keinen Therapiestandard, das Ergebnis der Frühen Nutzenbewertung sei nicht gleichbedeutend mit einer Therapieleitlinie, und das Wirtschaftlichkeitsgebot ersetze keine individuelle patientenorientierte Behandlung, betonte Bokemeyer.


Quelle: DGHO

19.02.2016

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