News • Mechanismen der Resistenz entschlüsselt
Warum Hodenkrebs nicht immer auf die Therapie anspricht
Der Hodentumor ist der häufigste Tumor des jungen Mannes im Alter von ca. 15 bis 44 Jahren. Meist haben die Patienten eine sehr gute Prognose, da Hodentumoren sensibel auf eine Chemotherapie reagieren. Ein Teil der Tumoren kann sich allerdings den Standardtherapien entziehen, sodass sie ungehindert weiterwachsen können.
Forschende um Felix Bremmer, Universitätsmedizin Göttingen, und Daniel Nettersheim, Universitätsklinikum Düsseldorf, beschreiben in einem im British Journal of Cancer veröffentlichtem Paper, wie sie in einem Teil der resistenten Tumoren Wege entschlüsselten, die zu dieser Therapieresistenz führen. Die Wilhelm Sander-Stiftung fördert das Projekt mit 375.000 €.
Die Tumoren des Menschen entstehen grob aus fünf verschiedenen Zellarten: den Oberflächenzellen (z.B. Dickdarm oder Lunge), den Zellen des Binde- und Stützgewebes (z.B. Muskel- und Fettgewebe), den blutbildenden Zellen (z.B. Entzündungszellen), den Zellen des Zentralnervensystems (z.B. Gehirn und Rückenmark) und den Keimzellen (Geschlechtszellen von Frau und Mann). Aus letzteren entstehen beim jungen Mann die Keimzelltumoren (Hodentumoren). In der Regel sind diese Tumoren mittels Standardtherapien auch in fortgeschrittenen Stadien heilbar. In einigen Fällen kommt es allerdings zu Resistenzmechanismen gegenüber der Cisplatin-basierten Standardtherapie. Klinisch haben diese Patienten eine schlechte Prognose mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von nur 50-60%. In der aktuellen Literatur, sowie auf Basis unserer ausführlichen Vorarbeiten, wird unter anderem die Entwicklung einer sogenannten „somatischen Malignität“ (STM, aus dem Englischen für „somatic-type malignancy“) für die Entstehung einer Therapieresistenz in Keimzelltumoren diskutiert. Bei dieser STM differenzieren die Hodentumorzellen in Richtung eines Teratoms (imitiert Gewebe des frühen Embryos) und dann weiter in Tumoren, die morphologisch Tumoren einer der fünf zuvor genannten Zellarten gleichen. So kann es z.B. sein, dass in einem Hodentumor ein Weichgewebstumor entsteht, der eigentlich in Binde- und Stützgewebe vorkommt oder aber auch ein epithelialer Tumor der z.B. im Dickdarm oder der Lunge vorkommt (siehe Abbildung).
Da es an spezifischen Behandlungsstrategien mangelt, sind weitere Untersuchungen zu den Entstehungs- und Entwicklungsprozessen der STM sowie zur Identifizierung möglicher therapeutischer Angriffspunkte erforderlich. In dieser Studie wurden die molekularen und (epi)genetischen Merkmale von Teratomen mit Ausbildung einer STM hinsichtlich der Mutationslast, DNA-Methylierung und ihres Proteinprofils charakterisiert.
Die Forschenden konnten zum ersten Mal zeigen, dass auf molekularer Ebene aggressiv-wachsende epitheliale STM-Tumoren eher Dottersacktumoren (einem weiteren Hodentumor-Subtyp) ähneln, während die STM-Tumoren des Binde- und Stützgewebes einem Teratom ähneln. Damit kann bei Patienten anhand des initial vorliegenden Hodentumors (Dottersacktumor oder Teratom), das Risiko der Entwicklung eines STM-Subtyps abgeschätzt werden. Darüber hinaus konnten häufige Mutationen sowie entscheidende molekulare und epigenetische Mechanismen identifiziert werden, die zur Therapieresistenz von STM / Hodentumoren beitragen. Daraus können neuen Therapien für die betroffenen jungen Männer abgeleitet werden, die entweder die Tumorzellen abtöten oder die Therapieresistenz überwinden. Abschließend konnten neue STM-Biomarker identifiziert werden, die möglicherweise eine frühe Erkennung der STM aus einer Patientenblutprobe erlauben. Entsprechende Versuche zu diesen Erkenntnissen werden nun von dem standordübergreifendem Team angegangen.
Neben der Veröffentlichung im British Journal of Cancer wurde die Arbeit von der deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP) auf der diesjährigen Jahrestagung in Leipzig mit dem Forschungspreis der DGP ausgezeichnet.
Quelle: Wilhelm-Sander-Stiftung
08.11.2023