Obstetrik
Fehlender Konsens über beste Geburtshilfe-Verfahren
In Europa variieren die Kaiserschnittraten sehr stark, mit einem Höchstwert von 52 Prozent Kaiserschnittgeburten in Zypern bis hin zu einem Tiefstwert von 14,8 Prozent in Island. Deutschland liegt im Mittelfeld mit einer Rate von 31,3 Prozent, so das Ergebnis einer neuen Studie von Euro-Peristat.
Der Studienbericht, der in BJOG: An International Journal of Obstetrics and Gynaecology erscheint, zeigt deutlich, dass die Meinungen zu guten Geburtshilfeverfahren weit auseinanderdriften. In seinen Schlussfolgerungen fordert das Forscherteam weitere Forschungsarbeit zu den Hintergründen dieser Unterschiede. Beispielsweise müsse der Einfluss der verschiedenen Gesundheitssysteme und ihrer Finanzierung ergründet werden, ebenso wie die Einstellung der Eltern und des medizinischen Personals gegenüber dem Betreuungsangebot rund um die Geburt. Das Euro-Peristat Projekt ist eine Zusammenarbeit von 26 EU-Mitgliedsstaaten, Norwegen, Island und der Schweiz, mit Forschern der City University London.
Dass Kaiserschnitte verstärkt praktiziert werden, wenn es sich um die erste Geburt oder um Zwillinge handelt, sich das Ungeborene in Steißlage (Füße voraus) befindet oder die Mutter zuvor schon einmal per Kaiserschnitt entbunden hat, ist bereits allgemein bekannt. Dies ist nun aber die erste Studie, die große Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten in der Handhabung dieser Ausgangssituationen hervorhebt.
Zum Beispiel wurden weniger als die Hälfte der Mehrlingsgeburten in Norwegen, Island, Finnland und den Niederlanden per Kaiserschnitt durchgeführt, gegenüber mehr als 90 Prozent in Malta und Zypern. Unter drei Viertel der Steißgeburten in Norwegen und Finnland benötigten einen Kaiserschnitt, gegen mehr als 90 Prozent in der Tschechischen Republik, Deutschland, Italien, Zypern, Luxemburg, Malta, Schottland und der Schweiz.
Alison Macfarlane, Professorin für Perinatalgesundheit an der City University London und Hauptautorin des Artikels, deren Mitautoren u. a. aus Frankreich, den Niederlanden, Italien und Island stammen, erklärt: „Die beobachteten Unterschiede werfen die Frage auf, warum die klinische Praxis so stark variiert. Um sicherzugehen, dass die klinische Praxis auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und die Gesundheit der Mütter und der Kinder als höchste Priorität setzt, benötigen wir eine vergleichende Studie der nationalen Richtlinien in der Gesundheitspolitik, sowie weitere Forschungsarbeit.”
In einem Teil der Studie hat Euro-Peristat bevölkerungsbezogene Daten von 2010 aus Routine-Quellen analysiert, um die Unterschiede in der gebärenden Bevölkerung der teilnehmenden Staaten in Bezug auf die Struktur des medizinischen Betreuungsangebots und auf das Ergebnis für Mütter und Neugeborene zu untersuchen. Dadurch konnte das Projekt über den allgemeinen Vergleich genereller Daten hinaus auf die Eingriffe der Ärzte in spezifischen Situationen genauer eingehen.
Die allgemeinen Forschungsergebnisse wurden 2013 im European Perinatal Health Report veröffentlicht, und das Forscherteam ist seither dazu übergegangen, Schlüsseldaten im Detail zu analysieren, wie in dieser Studie. Seit seiner Gründung im Jahr 1999 hat Euro-Peristat zur Aufgabe, zuverlässige und aussagekräftige Indikatoren zur Überwachung und Bewertung des perinatalen Gesundheitswesens in Europa zu liefern.
Quelle: Pressemitteilung City University London
11.03.2015