Quelle: Pixabay/tungnguyen0905
News • Stigmatisierung und Bedrängung
Aufhebung §219a: Kompetenzen bei FrauenärztInnen umfassend vorhanden
Aktuelle politische Überlegungen, wonach sich Versäumnisse in der Aus-, Fort- und Weiterbildung negativ auf die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen auswirken würden, überdecken die Komplexität dieses thematischen Spannungsfeldes. Sie lassen zudem ein solides Grundverständnis für die fachärztliche Kompetenz von Frauenärztinnen und Frauenärzten vermissen, kritisieren der Berufsverband der Frauenärzte und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.
Frauen, die einen straffreien Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen möchten, müssen darauf vertrauen können, dass dieser auf hohem medizinischem Niveau durchgeführt wird und Risiken weitgehend ausschließt. Damit dies sichergestellt ist, dürfen nach der G-BA-Richtlinie zur Empfängnisregelung und zum Schwangerschaftsabbruch (ESA-RL) Abbrüche nur von Ärztinnen und Ärzten ausgeführt werden, welche die vorgesehenen Leistungen auf Grund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen erbringen können, nach dem ärztlichen Berufsrecht dazu befugt sind und über die erforderlichen Einrichtungen verfügen. Die erforderlichen medizinischen sowie rechtlichen und ethischen Kompetenzen werden Frauenärztinnen und Frauenärzten in Aus-, Fort- und Weiterbildung vollumfassend vermittelt.
Jeder Facharzt und jede Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe erwirbt in der mindestens fünfjährigen Weiterbildungszeit Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten zur Vorgehensweise beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch sowie die Technik eines operativen Schwangerschaftsabbruchs.
„Die manuellen Fertigkeiten für einen operativen Schwangerschaftsabbruch sind vergleichbar mit der Entleerung einer Gebärmutter nach spontaner Fehlgeburt. Ein Routineeingriff, der auch im Rahmen einer gestörten, nicht entwicklungsfähigen Schwangerschaft notwendig werden kann“, erläutert Prof. Dr. Anton J. Scharl, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.
Notwendig bei der Thematik „Schwangerschaftsabbruch“ sind zudem Kenntnisse zu den rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen, die im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch eine zentrale Rolle spielen.
„Bereits während des Medizinstudiums werden nach Auskunft aller medizinischen Fakultäten die Studierenden über das Pflichtcurriculum zu rechtlichen und medizinischen Grundlagen eines Schwangerschaftsabbruchs vollumfänglich unterrichtet. Sie werden während der frauenärztlichen Facharztweiterbildung erneut vermittelt und sind darüber hinaus auch Teil fachspezifischer Fortbildungen“, erklärt Dr. Klaus Doubek, Präsident des Berufsverband der Frauenärzte e.V.
In einzelnen Bundesländern kann zudem der Nachweis spezieller Fortbildungen notwendig sein. Laut Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) sind die Länder dazu verpflichtet, ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zu schaffen, sie geben gleichzeitig die länderspezifischen Anforderungen vor.
Schwangerschaftskonfliktgesetz verbietet verpflichtende Mitwirkung an Abbrüchen
Für die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs ist grundsätzlich jede qualifizierte Ärztin und jeder qualifizierte Arzt berechtigt. Laut § 12 Absatz 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) kann jedoch kein Arzt und keine Ärztin zur Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch verpflichtet werden – auch nicht im Rahmen der Weiterbildung. Die Gewissensentscheidung gegen die Teilnahme an Schwangerschaftsabbrüchen darf kein Hinderungsgrund für die Berufung sein, Frauenärztin bzw. Frauenarzt werden zu können. Ärztinnen und Ärzten steht wie allen Teilen der Gesellschaft zu, auf individuelle Weise mit der großen ethischen Herausforderung eines Schwangerschaftsabbruchs umgehen zu dürfen. Bei aller Notwendigkeit, dass sichere Schwangerschaftsabbrüche als elementarer Bestandteil der medizinischen Grundversorgung angesehen werden müssen: Die ärztliche Entscheidung, an einem Schwangerschaftsabbruch teilzunehmen oder nicht, basiert auf der ärztlichen Berufsordnung und muss vor dem Hintergrund des beruflichen Selbstbildes von Ärztinnen und Ärzten und ihren individuellen ethischen Wertvorstellungen gesehen und respektiert werden.
Die Entscheidung, an einem Schwangerschaftsabbruch teilzunehmen, stellt im Übrigen nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern das gesamte medizinische Personal, welches zur Durchführung dieser medizinischen Maßnahme notwendig ist – z.B. Assistenz- bzw. OP-Pflegepersonal – vor komplexe ethische Herausforderungen. Allen Beteiligten steht bei einem anstehenden Schwangerschaftsabbruch eine persönliche Entscheidung hinsichtlich einer Beteiligung zu.
Informationslage spiegelt nicht die Versorgungslage wider
Ärztinnen und Ärzte aber auch betroffene Frauen sind nach wie vor von Anfeindungen und Stigmatisierung durch Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern – wie z.B. Mahnwachen vor Praxen – betroffen. Es ist eine Herausforderung, sich in dem derzeitigen gesellschaftlichen Klima öffentlich dazu zu bekennen, diese medizinische Leistung anzubieten, denn Ärztinnen und Ärzte müssen vor allem in der Peripherie mit Belagerungen und Belästigungen rechnen. Hierdurch wird die Versorgungssituation bedrängt, denn die hilfesuchenden Frauen sind auf die Informationen angewiesen, bei wem oder in welcher Einrichtung sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen können. Maßnahmen zum Schutz von Ärztinnen und Ärzten sind daher ebenso notwendig, wie Bedingungen, die keinen Spielraum für Anfeindung und Bedrängung von betroffenen Frauen zulassen. Das Risiko, psychische Probleme nach einem Schwangerschaftsabbruch zu entwickeln, steht maßgeblich im Zusammenhang mit Tabuisierungs- und Stigmatisierungserfahrungen bei Frauen.
Wie sich die Informationslage zu Versorgungsangeboten bei Schwangerschaftsabbrüchen in den deutschen Bundesländern derzeit darstellt und künftig entwickelt, muss letztlich als Ausdruck der gesellschaftlichen Strömungen und Einstellungen zum Thema betrachtet werden. Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, geltendes Recht flächendeckend umzusetzen, muss als nicht verhandelbare gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet werden.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.
11.07.2022