Interview • Ökonomische Aspekte und COVID-19

Erhöhte Laborqualität – trotz oder wegen Automatisierung?

Das Klinikum Karlsruhe, die größte Klinik in der Region „Mittlerer Oberrhein“, ist ein Haus der Maximalversorgung und gleichzeitig Lehrkrankenhaus der Universität Freiburg. Es verfügt über insgesamt mehr als 1.500 Betten, 50 Stationen und 30 Ambulanzen. Versorgt werden hier jährlich etwa 63.000 stationäre und über 180.000 ambulante Patienten. Selbstverständlich verfügt eine Klinik dieser Größenordnung auch über ein entsprechendes Zentral‐Labor.

Interview: Walter Depner

portrait of horst mayer
Dr Horst Mayer ist leitender Oberarzt der Abteilung für medizinische Diagnostik am Klinikum Karlsruhe

Wir sprachen mit dem leitenden Oberarzt der Abteilung für medizinische Diagnostik, Dr. Horst Mayer, über dieses Labor, insbesondere über die in den letzten Jahren durchgeführte Automation. Denn diese ist Voraussetzung dafür, dass die Qualität im Labor nicht nur gehalten, sondern gesteigert werden konnte und außerdem auch die wirtschaftlichen und ökonomischen Aspekte entsprechend Beachtung fanden. Aus aktuellem Anlass sprachen wir mit Dr. Mayer auch über die Problematik von COVID‐19.

"Wir beschäftigen im Augenblick 38 Vollzeitkräfte und 12 weitere, ebenfalls in Vollzeit arbeitende Hilfskräfte, hauptsächlich Studenten", berichtet Mayer. "Die Fallzahlen für Erwachsene in der Notfallambulanz liegen bei etwa 35.000 Patienten pro Jahr. Pro Tag bearbeiten wir durchschnittlich 4.000 Probenröhrchen, davon ca. 1.500 Serum-, 500 Gerinnungs- und 800 Blutbild-Röhrchen. Der Rest verteilt sich auf alle anderen Materialien. Daraus ergeben sich im Durchschnitt etwa 16.000 Einzelanalysen pro Tag. Die Hauptbelastung liegt in unserem Labor etwa zwischen 7.00 Uhr und 9.00 Uhr. In dieser Zeit kommen durchschnittlich 800 Probenröhrchen hier an, während sich der Rest auf den übrigen Tag verteilt."

EH: In einem Krankenhauslabor ist die Anzahl der pathologischen Proben in aller Regel höher als beispielsweise bei Laborgemeinschaften. Ist das auch bei Ihnen der Fall?

Mayer: "Ja, durchaus, ca. 30 % der Einzelproben sind tatsächlich stark pathologisch, während es in Laborgemeinschaften vielleicht 5% sind."

In den letzten Jahren haben sich die Liegezeiten der Patienten verkürzt während der Patientendurchsatz deutlich stieg und mit ihnen die Probenzahlen. Bleibt also weniger Zeit für mehr Analytik?

"Ja, ganz deutlich. Wir haben bereits vor über zehn Jahren mit einer Laborstraße von Siemens (Flexlab) begonnen. Diese Straße hat uns sehr viel Benefit gebracht, denn sie funktionierte auch mit Minimalbesetzung ausgezeichnet. Sie lief im 24/7-Dauerbetrieb und war in der Tat durch die Verkürzung der Liegezeiten und die damit erhöhten Patientenzahlen eine deutliche Verbesserung der Situation. Durch die inzwischen installierte neue Laborstraße konnte nicht nur eine weitere Verkürzung der TATs (Turn around Times) sowie eine deutliche Qualitätsverbesserung erreicht werden, wir haben dadurch sogar noch Luft nach oben."

Nicht überall ist eine Automatisierung auf gleich hohem Niveau möglich. Wie sieht es in Karlsruhe aus? Wo haben Sie begonnen und wo konnten Sie die größten Effekte erzielen?

"Es gibt auch Grenzen des Machbaren. Technisch realisierbar wäre beispielsweise die Anbindung eines Sciex 5600 Massenspektrometers an die Labor-Straße. Das halte ich aber im Moment für wenig sinnvoll. Assays, die derzeit als ELISA auf MT, das heißt Mikrotiter-Platten-Technik-Basis durchgeführt werden, aber auch auf einem an die Straße angebundenen Immunassayanalysator verfügbar sind, werden konsequent umgelegt."

Wo rangiert in einer fiktiven Rangfolge der Automatisierung die klassische Klinische Chemie?

Die klassische Klinische Chemie in der heutigen Form wird [in 10-15 Jahren] passé sein

Horst Mayer

"Natürlich betreiben wir hier die sogenannte klassische Klinische Chemie, die ebenfalls im 24/7-Betrieb vorgehalten wird. So machen wir beispielsweise mit Hilfe unserer Anlage auch noch klassische Tumormarker, Hormone und infektserologische Untersuchungen rund um die Uhr. Im Moment betrachte ich den Stellenwert der klassischen Klinischen Chemie durchaus noch als relevant. Aber, avantgardistisch gedacht nehme ich an, dass sich das in 10-15 Jahren komplett ändern wird. Durch die Ablösung der bisher aufwendigen Methoden durch spezifische Analyseverfahren der Molekularbiologie und vor allem durch deren Miniaturisierung. In anderen Worten: Die klassische Klinische Chemie in der heutigen Form wird dann passé sein."

Wie hat sich in den letzten Jahren die Mitarbeiterstruktur durch die Automatisierung verändert? Konnten/mussten Mitarbeiter anderweitig eingesetzt werden?

"Bei der ersten Laborstraße 2009 kam uns zugute, dass vier Mitarbeiter, die dank Automation nicht mehr benötigt wurden, aus Altersgründen ausgeschieden sind. Diese brauchten wir natürlich nicht zu ersetzen. Im Laufe der Zeit konnten dann weitere Mitarbeiter im Kernlabor eingespart werden. Diese Mitarbeiter konnten beispielsweise für die Spezialdiagnostik eingesetzt werden, ebenso in der Hämatologie oder Gerinnung sowie in Bereichen wie der Serologie bzw. Toxikologie."

Ein Klinik-Labor wird natürlich auch von den Schwerpunkten und Abteilungen beeinflusst. In Ihrem Haus beispielsweise die Kinder‐ und Erwachsenen‐ Onkologie. Wie macht sich das im Labor bemerkbar?

"Die Nachfrage der Onkologen macht sich deutlich bemerkbar und ist für uns wichtig. So konnten wir besonders auf diesen Gebieten die gerade angesprochenen Mitarbeiter, die bisher etwa in der Klinischen Chemie eingesetzt waren, teilweise dort integrieren. Zudem betreiben wir in der Hämatologie mit Erfolg eine Sysmex‐Straße mit digitaler Morphologie. Daran schließt sich eine Durchflusszytometrie an. Zu den Bereichen, die nicht zum Zentrallabor zählen, gehört auch die Molekularbiologie, wo PCR‐Untersuchungen für die Onkologie und die Pathologie durchgeführt werden."

Automatisches biochemisches Analysegerät (Symbolfoto)

Bildquelle: Shutterstock/xiao yu

Dies ist ein perfekter Übergang zu dem aktuellen Thema COVID‐19. Wie beeinflusst diese Problematik ihr Labor?

"Nicht sehr stark. Wir besitzen zwar ein komplettes COBAS 6800 System. Das Hauptproblem aber ist, dass wir nicht genügend Tests zur Verfügung haben. Aktuell setzen wir einen Corona-Antikörper-Test ein."

Testen Sie nur Patienten und Personal aus dem eigenen Haus oder erhalten Sie auch Einsendungen von außen, die hier im Labor bearbeitet werden?

"Wir haben einige wenige Einsendungen aus dem niedergelassenen Bereich. Das Problem für uns ist, dass der niedergelassene Laborbereich bei der Lieferung von Tests eindeutig bevorzugt wird. Tatsächlich erhalten wir pro Woche lediglich 1.000 Testeinheiten für die Molekularbiologie. Technisch wären wir durchaus in der Lage sehr viel mehr Tests durchzuführen. Ich selbst bin nicht einmal getestet, da das Labor als abgeschlossener Bereich gilt. Bei unseren Patienten und bei den Pflegekräften sieht das natürlich ganz anders aus."


Profil:

Dr. Horst Mayer ist Leitender Oberarzt der Abteilung für medizinische Diagnostik am Klinikum Karlsruhe, wo er seit über 20 Jahren tätig ist. Davor arbeitete er als Laborarzt in Magdeburg.

21.07.2020

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