„Erhellung der blinden Flecken“

Die Deutsche Röntgengesellschaft beauftragte 2010 Frau Dr. Gabriele Moser, eine anerkannte Fachhistorikerin für Medizingeschichte, mit der Erforschung der DRG in den Jahren 1933-1945. Die Ergebnisse werden nun in Hamburg in Form einer Ausstellung präsentiert.

Dr. Gabriele Moser
Dr. Gabriele Moser

Die Rolle der Medizin und der Ärzteschaft im Dritten Reich ist sehr genau beleuchtet worden. Gibt es in ihrem Verhalten zum NS-Staat Unterschiede einzelner Facharztgruppen oder haben sich alle gleichermaßen schuldig gemacht?
Ausgangspunkt, und immer noch ein Kernbereich der historischen Forschungen zur Medizin im Nationalsozialismus, ist ihre verbrecherische Seite: die nach Hunderttausenden zu zählenden Opfer zwangsweiser Unfruchtbarmachung, der zehntausendfache Krankenmord und die medizinischen Experimente an Menschen, besonders in den Konzentrationslagern. Kaum eine Facharztgruppe ist davon ausgenommen, aber im Fokus der medizinhistorischen Forschung standen besonders die kriegschirurgischen Experimente im KZ Ravensbrück (Chirurgie), die Fleckfieberimpfstoffversuche in den KZ Buchenwald und Sachsenhausen (Bakteriologie, Virologie), sowie die im KZ Dachau durchgeführten luftfahrtmedizinischen und -physiologischen Humanexperimente (Physiologie, Innere Medizin). In diesem Zusammenhang muss der im Nürnberger Ärzteprozess angeklagte, jedoch freigesprochene Münchener Radiologe Prof. Dr. Georg August Weltz genannt werden. Weltz, seit 1936 im Beirat der DRG und 1938 Kongresspräsident des ersten „Großdeutschen Röntgentages“, trug als Leiter des Instituts für Luftfahrtmedizin in München die wissenschaftliche Verantwortung für die im KZ Dachau 1942 von Dr. Sigmund Rascher durchgeführten, oftmals tödlich verlaufenden Humanexperimente.

Welche Rolle spielten die Fachgesellschaften im Nationalsozialismus?
Da der medizinische Alltag im NS-Staat bislang kaum im Blickpunkt der (medizin-) historischen Forschung stand, ist bis vor wenigen Jahren auch die Rolle der Fachgesellschaften im nationalsozialistischen Wissenschafts- und Forschungssystem kaum beachtet worden. Wie für andere Fachgesellschaften auch, lässt sich für die Deutsche Röntgengesellschaft festhalten, dass auch unter den Bedingungen des NS-Staates die DRG über eine durchaus wichtige Stimme bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder verfügte. Die Mitgliedschaft in der NSDAP war keine Voraussetzung für die Übernahme einer leitenden Funktion in der DRG, wie aus den Ausführungen über die beabsichtigte Neuformierung der Fachgesellschaften zu einer fachlich kompetenten, die Regierung beratenden Arbeitsgemeinschaft im Jahr 1934 hervorgeht. Im Gegensatz zu Karl Frik, der bis 1939 als Leiter der DRG fungiert hatte und nicht parteipolitisch gebunden war, hatte sich bis 1941 sein Nachfolger Werner Knothe ebenso für den Eintritt in die NSDAP entschieden wie der stellvertretende Vorsitzende Carl Hermann Lasch und die Mehrheit der Beiratsmitglieder (11 von 16) oder der DRG-Landesleiter (8 von 11). Bezüglich der Parteimitgliedschaft der DRG-Mitglieder wird hier verwiesen auf den zuverlässig recherchierten und gesicherten historischen Forschungsstand, nach dem mindestens 45 Prozent der zwischen 1936 und 1945 bei der Reichsärztekammer registrierten Ärzte Mitglieder in der NSDAP waren.

Welche Bedeutung hatte die Radiologie (die Strahlentherapie) für den Nationalsozialismus?
Die Satzung der DRG in der Fassung vom Herbst 1938 beschrieb neben der Förderung, Zusammenfassung und Auswertung der wissenschaftlichen Facharbeit ausdrücklich „die Beratung und Unterstützung der Reichsärztekammer bei der Verwertung der Röntgenkunde und Strahlenforschung im Dienst der Volksgesundheit“ als eine der Aufgaben der DRG. Diese Unterstützung bezog sich nicht nur auf die individuelle, strahlendiagnostische und -therapeutische Krankenversorgung in freier Praxis und Krankenhaus, sondern auch auf „Zwecke der Volks-Hygiene bei Reihenuntersuchungen, Verhütung von Schädigungen auf dem Gebiete der Eugenik“. Darüber hinaus stand die Bekämpfung der Tuberkulose als „Volkskrankheit“ im Zentrum der Aufmerksamkeit der NS-Gesundheitspolitik, weil die Tuberkulose dauerhaft die Leistungsfähigkeit des einzelnen Erkrankten beeinträchtigte und zusätzlich über einen längeren Zeitraum hohe Behandlungs- und Fürsorgekosten anfielen. Während das seit den 1920er Jahren angedachte „Volksröntgenkataster“ zur Sanierung des deutschen „Volkskörpers“ dienen sollte, war das nach 1939 in den okkupierten Teilen Polens und der Sowjetunion durchgeführte Massenscreening der dortigen einheimischen Bevölkerung konzeptionell in einen anderen Rahmen eingebunden. Die durch den von Prof. Hans Holfelder 1939 begründeten SS-Röntgensturmbann identifizierten Tuberkulosekranken sollten, weil sie als infektionsgefährlich sowohl für die Wehrmachtssoldaten wie die deutschen „Neu-Siedler“ betrachtet wurden, „unschädlich“ gemacht werden.

Was erwartet die Besucher der Ausstellung?
Die Ausstellung wird die bis dahin in einer Artikelserie (erschienen in RöFo Januar bis Mai 2014) vorliegenden Ergebnisse des Forschungsprojektes zur „Radiologie im Nationalsozialismus“ vertiefen und kontextualisieren. Da die medizinwissenschaftliche und technologische Entwicklung der Strahlendiagnostik und -therapie zuletzt anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung der DRG bereits in Buchform vorgelegt wurde, wird sich die Ausstellung auf die Erhellung der blinden Flecken der Geschichte der Radiologie im NS konzentrieren. An Medien werden nicht nur Porträtfotografien und biografische Dokumente gezeigt, sondern grafisch aufgearbeitete Archivalien und wichtige Publikationen sollen den historischen Rahmen illustrieren, in dem Radiologie im Nationalsozialismus wissenschaftlich erforscht, gelehrt und praktiziert wurde.

 

23.05.2014

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