Beim Dunkelfeld-Röntgen wird ein bislang ungenutzter Teil der...
Beim Dunkelfeld-Röntgen wird ein bislang ungenutzter Teil der Röntgenstrahlung verwendet, um aus den Rohdaten (links) neben herkömmlichen Röntgenbildern (Mitte) zusätzliche Informationen aus der Kleinwinkel-Streuung zu generieren (rechts).

Bildquelle: Willer et al., The Lancet Digital Health 2021 (CC BY 4.0)

Artikel • Modifizierte Röntgentechnik

Dunkelfeld zeigt die Lunge in neuem Licht

Sie sehen auf den ersten Blick aus wie Negative normaler Röntgenbilder und ermöglichen neue Einblicke in Pathologien der Lunge und anderer Organe: Dunkelfeld-Aufnahmen nutzen einen bislang kaum beachteten Teil der Röntgenstrahlen und könnten das Spektrum der diagnostischen Bildgebung sinnvoll erweitern. Auf dem ECR-Kongress stellt Theresa Urban von der Technischen Universität München (TUM) das neue Verfahren vor und erläutert, welche Vorteile die Anwendung in der Diagnostik von Lungenemphysemen bringt.

Bericht: Wolfgang Behrends

portrait of theresa urban
Theresa Urban

Foto: privat

„Im Gegensatz zum konventionellen Röntgen, das Bilder durch die unterschiedlich starke Durchdringung von Körperstrukturen erzeugt, basiert die Dunkelfeld-Bildgebung auf der kleinwinkligen Streuung der Röntgenstrahlen“, erklärt die Expertin. „Dieser Effekt tritt bei Übergängen zwischen Materialien mit unterschiedlicher Dichte auf, zum Beispiel zwischen Gewebe und angrenzender Luft oder Flüssigkeit. Das Prinzip ähnelt der Lichtbrechung im Wasser, nur auf viel kleinerer Ebene.“ Die Auswertung dieser Kleinwinkelstreuung liefert Informationen zu Mikrostrukturen, die im normalen Röntgen nicht zu sehen sind. 

Mithilfe eines an das Röntgengerät gekoppelten Interferometers wird die Streuung erfasst und in Bildinformationen übersetzt. „Ein großer Vorteil ist, dass die Bildinformationen aus dem konventionellen und Dunkelfeld-Röntgen parallel aufgenommen werden“, erklärt Urban. So stehen beide Modalitäten komplementär für die Diagnostik zur Verfügung, ohne dass eine mehrfache Strahlenbelastung notwendig ist.

Blick auf Mikrostrukturen verbessert Früherkennung

Bislang ist die Lunge das primäre Einsatzfeld der neuen Bildgebung. Das Organ bietet gute Voraussetzungen für das Dunkelfeld-Röntgen, da die Alveolarstruktur zahlreiche Übergänge zwischen Luft und Gewebe enthält. „In einer gesunden Lunge sind diese Strukturen intakt, dadurch wird ein starkes Dunkelfeld-Signal erzeugt. In der Bildgebung werden diese Bereiche hell dargestellt. Dagegen heben sich Emphyseme dunkel hervor; sie zerstören die alveolare Struktur, so dass große Luftblasen mit nur wenigen Übergängen auftreten.“ 

Derartige Veränderungen der Lunge sind zwar auch im normalen Röntgenbild zu sehen, allerdings erst deutlich später, gibt Urban zu bedenken. „Beim Dunkelfeld-Röntgen entfällt die Überlagerung durch Knochen und umliegendes Gewebe, so dass ein deutlicherer Blick auf die Mikrostruktur möglich ist und krankhafte Veränderungen früher erkennbar sind.“ So zeigen sich Lungenemphyseme bereits im Frühstadium,1 während das konventionelle Röntgen frühestens moderate Ausprägungen registriert.2,3 „Bislang ist die CT-Bildgebung das Mittel der Wahl für die Früherkennung, allerdings kommt das Dunkelfeld-Röntgen bei vergleichbarer Sensitivität mit einer wesentlich geringeren Strahlenbelastung aus.“ 

Die Lungenemphyseme dieses 58-jährigen Patienten sind im konventionellen...
Die Lungenemphyseme dieses 58-jährigen Patienten sind im konventionellen Röntgenbild (links) kaum auszumachen. Im Dunkelfeld-Röntgen (Mitte) werden die betroffenen Areale aufgrund der zerstörten Alveolarstruktur dunkel dargestellt (Pfeile) und sind deutlich besser zu erkennen. Ähnlich gute Ergebnisse liefert eine CT-Aufnahme (rechts), die jedoch mit höherer Strahlenbelastung verbunden ist.

Bildquelle: Willer et al., The Lancet Digital Health 2021 (CC BY 4.0)

Derzeit wird erforscht, ob das neue Verfahren auch bei anderen Lungenerkrankungen – insbesondere Covid-19 – einen diagnostischen Mehrwert bringt; die bisherigen Studienergebnisse seien durchaus vielversprechend, lässt die Expertin durchblicken. 

Der Einsatz des Dunkelfeld-Röntgens ist dabei keinesfalls auf die Lunge beschränkt, erklärt Urban: „Prinzipiell eignet sich die Bildgebung für alle Bereiche mit einer Mikrostruktur, die infolge einer Erkrankung verändert wird oder durch sie entsteht.“ Das betrifft beispielsweise die Bildung von Nierensteinen, Mikrokalzifikationen in der Mammografie oder muskuloskelettale Erkrankungen wie Osteoporose, die sich allesamt im Dunkelfeld bemerkbar machen. Denkbar ist auch die Anwendung zur Darstellung von Harnsäurekristallen, die sich im Verlauf einer Gichterkrankung bilden.

Weiterentwicklung in 3D

Auf dem Weg in die klinische Anwendung konnten bereits einige wichtige Stationen gemeistert werden: Im Oktober 2018 startete die erste klinische Studie zur Früherkennung von COPD, deren Ergebnisse vor Kurzem im Fachjournal Radiology publiziert wurden.4 „Wir konnten bereits den Mehrwert der Dunkelfeld-Bildgebung bei Emphysemen belegen und sind zuversichtlich, dass uns das auch bei anderen klinischen Anwendungen gelingt.“ 

Die laufende Dunkelfeld-Forschung umfasst auch die Kombination mit weiteren bildgebenden Modalitäten wie der CT.5 Auch hier ermöglicht ein an den Scanner gekoppeltes Interferometer die Erfassung kleinwinkliger Streuung – dank des Schnittbildverfahrens werden die Dunkelfeld-Bilder allerdings dreidimensional. Im Vergleich zum normalen Röntgen stellt die CT die Wissenschaftler vor zusätzliche technische Herausforderungen. So sorgt die Rotation der Gantry für Vibrationen, die nachträglich herausgerechnet werden müssen, um ein aussagekräftiges Dunkelfeld-Bild zu erhalten. Erste Messungen an Thorax-Phantomen verliefen erfolgreich, so dass auch die Dunkelfeld-CT bald an Patienten eingesetzt werden soll. 

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Das Verfahren ist mit handelsüblichen Röntgengeräten kompatibel, die lediglich um ein Interferometer ergänzt werden müssten. Die Firma, die die darin eingesetzten Mikrogitter herstellt, arbeitet bereits daran, entsprechende Kits für die Umrüstung zur Marktreife zu bringen, weiß Urban zu berichten. „Wir hoffen, dass die Dunkelfeld-Technologie in der Breite ankommt und viele Patienten von ihr profitieren können.“ 


Profil: 

Theresa Urban, MSc, ist Doktorandin am Lehrstuhl für Biomedizinische Physik der Technischen Universität München (TUM) und am Munich Institute for Biomedical Engineering. Sie gehört der Arbeitsgruppe Biomedizinische Physik von Prof. Dr. Franz Pfeiffer an, die sich mit der Translation moderner Röntgenkonzepte in die klinische Anwendung befasst. 


Quellen:

  1. Definiert nach: Lynch et al., Radiology 2015: CT-Definable Subtypes of Chronic Obstructive Pulmonary Disease: A Statement of the Fleischner Society; https://doi.org/10.1148/radiol.2015141579
  2. Willer et al., The Lancet Digital Health 2021: X-ray dark-field chest imaging for detection and quantification of emphysema in patients with chronic obstructive pulmonary disease: a diagnostic accuracy study; https://doi.org/10.1016/S2589-7500(21)00146-1 
  3. Urban et al., Radiology 2021: Qualitative and Quantitative Assessment of Emphysema Using Dark-Field Chest Radiography; https://doi.org/10.1148/radiol.212025 
  4. Gassert et al., Radiology 2021: X-ray Dark-Field Chest Imaging: Qualitative and Quantitative Results in Healthy Humans; https://doi.org/10.1148/radiol.2021210963 
  5. Viermetz et al., PNAS 2022: Dark-field computed tomography reaches the human scale; https://doi.org/10.1073/pnas.2118799119

01.03.2022

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