Drogenschmuggler in der Röhre
Sie sind das notwendige Übel einer jeden Flugreise: Die Sicherheitskontrollen. Aber nicht nur an Flughäfen, auch beim bodengebundenen Reiseverkehr nehmen die Gepäckkontrollen und Leibesvisitationen zu. Kriminelle, die als Drogenkuriere unterwegs sind, wählen deshalb immer öfter den Transport im eigenen Körper als Mittel für ihre Zwecke. Doch die Bundespolizei hat die sogenannten ‚Bodypacker’ längst ins Visier genommen.
Bei Verdacht landen die Delinquenten zur Röntgenuntersuchung beim Radiologen. Die illegalen Substanzen dann mit der Treffsicherheit eines Drogenspürhundes zu finden, ist für den Radiologen jedoch gar nicht so leicht. „Bis zu 50 % der Drogenpäckchen bleiben beim Röntgen unentdeckt“, weiß Dr. Michael Scherr, Assistenzarzt am Institut für Klinische Radiologie der LMU München. „Denn als normales Projektionsverfahren stellt das Röntgen die verschluckten Beutel oft nur sehr undeutlich dar.
Zusammen mit der Tatsache, dass die meisten Radiologen nur wenig Erfahrung mit der Bodypacker-Detektion haben, kommt es dann zu dieser hohen Zahl an Fehlbefunden.“ Das ist auch schon am Institut für Klinische Radiologie der LMU München passiert. Mit 46 Kilometern Entfernung liegt das Institut am Standort Innenstadt nicht gerade nah am Münchner Flughafen und ist nicht unbedingt erste Anlaufstelle für die Strafverfolger. Dr. Scherr schätzt, dass er etwa bei 30 Bodypacker-Fällen in den letzten zehn Jahren involviert war. Meist fanden diese den Weg ins Institut, nachdem sie bereits die Flughafenumgebung verlassen hatten und von der Polizei aufgegriffen wurden. Verweigern kann der Radiologe die Untersuchung nicht, wenn die Gesetzeshüter an ihn herantreten, erklärt Scherr: „Wenn die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Radiologe verpflichtet, eine Untersuchung nach allen Regeln der ärztlichen Kunst auch bei asymptomatischen Delinquenten und gegen deren Willen nach §81a StPO durchzuführen.“
Welche Bildgebungsverfahren diese „ärztliche Kunst“ umfasst, ist jedoch nicht festgeschrieben. Mit dem konventionellen Röntgen allein ist es hier häufig nicht getan, sagt Scherr: „Drogen haben häufig eine sehr niedrige Dichte, die der von Weichgewebe oder Stuhl, der im Darm unterwegs ist, ähnelt. Hinzu kommt, dass die Drogenkartelle dazu gelernt haben und zunehmend darüber Bescheid wissen, wie sie die Drogenpäckchen zu konfigurieren haben, damit sie beim Röntgen nicht mehr entdeckt werden können. Aufgrund dieser diagnostischen Unsicherheiten sind wir in unserem Haus dazu übergegangen, die CT einzusetzen.“
Oft reicht es schon aus, ein CT-Topogramm zu erstellen, um sich den nötigen Überblick über die entscheidende Frage zu verschaffen: Drogenpäckchen? Ja oder nein. Gegebenenfalls kann man dann mit dem eigentlichen CT-Scan fortfahren. Beim Normaldosis-CT liegt die Treffsicherheit in der Bodypacker-Detektion bei nahezu 100 %, so Scherr. Meist reicht aber ein Niedrig-Dosis-Verfahren in Anlehnung an ein Nierenstein-Protokoll aus. „Entscheidend ist, dass man den gesamten Gastrointestinaltrakt vom Zwerchfell bis zum Schließmuskel absucht“, betont der Radiologe. „Wir versuchen, anhand von Auffälligkeiten in der Binnenstruktur, z.B. an der Form und der vielschichtigen Darstellung von diffizilen Hüllstrukturen, die Päckchen vom Stuhl zu unterscheiden.“ Laut Scherr lassen sich auch noch mit sehr geringer Dosis hervorragende Detektionsergebnisse erzielen. Im Moment können die Münchner die Strahlendosis für ein CT mit mehreren hundert Einzelschichten so weit reduzieren, dass sie der einer konventionellen Röntgenaufnahme in einer Ebene entspricht.
Unabhängig von der applizierten Dosis steht und fällt die Detektion von Bodypacks mit den verwendeten Bildeinstellungen, der sogenannten ‚Fensterung’. „Der Radiologe sollte die Schichtbilder mindestens auch in den Einstellungen betrachten, die man normalerweise für die Lunge verwendet, da viele Packs erst auf diese Weise sichtbar werden. Mit der für das Abdomen üblichen ‚Weichteilfensterung’ ist die Detektion deutlich schwieriger und teilweise sogar unmöglich“, merkt Dr. Scherr hierzu an.
Trotz ausgefuchster Techniken der Drogentransporteure beim Verpacken und Abdichten ihrer illegalen Ware kommt es immer wieder vor, dass eine Hülle im Körper reißt und die freigesetzten Substanzen zu einer Intoxikation führen. Dann wird aus dem Drogentransporteur plötzlich ein Patient. „Diese definitorische Unterscheidung ist aus rechtlicher Perspektive wichtig“, erklärt Scherr, „weil bei der medizinischen Versorgung eines Patienten die ärztliche Schweigepflicht gilt. Das heißt, man ist nicht verpflichtet, die Polizei einzuschalten.“
Während ein geplatztes Kokainpäckchen mit 10 Gramm Inhalt für gewöhnlich zum Tod führt, weil es keine Gegenmedikamente gibt, kann bei Heroin beispielsweise mit entsprechenden Antagonisten behandelt werden. Deshalb könnten im Fall einer Intoxikation Hinweise darauf hilfreich sein, welche Drogen genau im Spiel sind. Seit Frühjahr 2009 versucht Dr. Scherr mithilfe von Versuchen am Schweinemodell und in vitro herauszufinden wie sich inkorporierte Drogen in der Bildgebung verhalten und sich sogar voneinander unterscheiden lassen. Dabei hilft ihm die Dual-Energy-Technik. Sowohl die Drogen als auch die verwendeten Streckmittel lassen sich bei diesem Verfahren anhand ihrer chemischen Struktur charakterisieren. Diese Studien, die in Kooperation mit dem Bayerischen Landeskriminalamt stattfinden, haben einen international einzigartigen Charakter. Sie könnten schon bald Radiologen dabei helfen, die Untersuchung und diagnostische Treffsicherheit bei Bodypackern zu verfeinern.
Im Profil
Dr. Michael Scherr wurde 1971 in Nürnberg geboren. Er studierte bis 2001 Medizin an der LMU München. Seit 2002 ergänzt er das Assistenzarztteam am Institut für Klinische Radiologie der LMU München. Er promovierte 2003 zum Thema „MRT/Sestamibi-Szintigraphie bei unklaren mammographischen Befunden“. Scherr‘s Forschungsschwerpunkt bildet die urogenitale Bildgebung. In den letzten zwei Jahren arbeitete der 40-Jährige in Kooperation mit dem Bayerischen Landeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft München an der Optimierung bildgebender Verfahren bei Bodypackern unter Einsatz der Computertomographie.
05.01.2012