Dresdner Uniklinikum: Kamera zur Qualitätsicherung bei Frühgeborenen

Zu früh oder krank geborene Kinder besitzen bei nach der Geburt notwendiger lebenserhaltener Maßnahmen ein erhöhtes Risiko, Organschäden zu erleiden. Um in diesen kritischen Momenten die höchstmögliche Qualität ärztlichen Handelns zu sichern, hat ein Ärzteteam der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden ein System entwickelt, mit dem sich die Erstversorgung der Babys anhand von Videoaufnahmen analysieren lässt.

Ein Neonatologe und eine Fachkrankenschwester übernehmen die Versorgung von zu...
Ein Neonatologe und eine Fachkrankenschwester übernehmen die Versorgung von zu früh oder krank geborener Kinder immer dann, wenn deren Vitalfunktionen unzureichend sind.
Quelle: Uniklinikum Dresden / Thomas Albrecht

Die Ergebnisse dieser Qualitätssicherung sind vielversprechend: Nachdem das System in Form von strukturierten Feedbacks und in der Weiterbildung etabliert wurde, sank die Rate der chronischen Lungen- und Augenerkrankungen deutlich.

Mittlerweile haben sechs andere Kliniken, unter anderem in Polen und Portugal, das Verfahren übernommen. Nun zeichnet das „Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.“ das Dresdner Ärzteteam um Prof. Mario Rüdiger und Dimitrios Konstantelos für ihr Projekt aus. Sie nahmen am gestrigen Donnerstagabend (16. April) Urkunde und Preisgeld für den zweiten Platz des diesjährigen Deutschen Preises für Patientensicherheit entgegen.

In Deutschland kommt jedes zehnte Kind zu früh auf die Welt. Wenn diese Babys aufgrund unzureichender Vitalfunktionen notfallmedizinisch behandelt werden müssen, steigt ihr Risiko, akute beziehungsweise chronische Schädigungen davonzutragen. Dies gilt zum Beispiel für die künstliche Beatmung Neugeborener: Der Kinderarzt muss in kürzester Zeit entscheiden, ob ein Baby zusätzlich Sauerstoff benötigt, um zu überleben. Wie eine Auswertung der Dresdner Neonatologen um Prof. Mario Rüdiger und Dimitrios Konstantelos zeigt, wurden Frühgeborene in der Vergangenheit zu oft und zu intensiv künstlich beatmet. Mit dem in der Klinik entwickelten und 2011 etablierten System ging die Rate dieser Interventionen und damit auch das Risiko langfristiger Schäden deutlich zurück: Die Gefahr einer chronischen Lungenerkrankung ließ sich halbieren, die einer Augenerkrankung auf fünf Prozent reduzieren.

Durch die im Rahmen des prämierten Projekts aufgezeichneten Videos der Erstversorgung der Frühgeborenen konnte das Ärzteteam zu Forschungs- und Schulungszwecken analysieren, ob die Versorgung der Frühchen bei allen ärztlichen Maßnahmen jeweils den Vorgaben der geltenden Leitlinien entsprachen. Die Gründe, dass Ärzte davon abwichen, sind vielfältig: Die Erstversorgung der Babys nimmt in der Regel ein zweiköpfiges, aus Arzt und Pflegekraft bestehendes Team eigenständig vor. Je nach Situation, Ausbildung und Erfahrungsschatz variierten die Abläufe, ohne dass dies regelmäßig thematisiert, diskutiert und damit auch überprüft wurde. „Die Erstversorgung kranker Neugeborener im Kreißsaal stellte bisher eine ‚Black Box‘ dar. Individuelle Reaktionen der Patienten auf die Behandlungen und das eigene Vorgehen während der Eingriffe konnten nachträglich nicht kritisch reflektiert werden“ sagt Prof. Rüdiger. Erst nach einer Verlegung auf die Intensivstation erfolgt eine detaillierte Diskussion über das weitere Vorgehen. Untersuchungen haben gezeigt, dass sowohl mündliche Berichte als auch schriftliche Notizen zur Erstversorgung sehr stark von der Realität abweichen können.

Deshalb werden in der Dresdner Uni-Kinderklinik seit Ende 2011 Erstversorgungen im Kreißsaal aufgezeichnet. Diese Aufnahmen stehen danach im Mittelpunkt von Teambesprechungen. Um dabei personenunabhängig urteilen zu können, sind auf den Videos lediglich die Hände des Notfallteams sowie das Baby zu sehen. Auf Tonaufnahmen wird verzichtet. Damit schaffen die Aufnahmen optimale Vorrausetzungen für ein effektives Risiko- beziehungsweise Fehlermanagement: In den Auswertungsgesprächen sollen Abläufe in der Erstversorgung möglichst unvoreingenommen eingeschätzt werden. Ziel ist dabei, das Vorgehen zu vereinheitlichen und die Interaktion der ständig wechselnden Teams zu verbessern. Darüber hinaus helfen die Videoaufnahmen das Vorgehen im Kreißsaal statistisch aufzuarbeiten und mit den Empfehlungen der wissenschaftlichen Leitlinien der zu vergleichen. Durch diese Studien ist es möglich, die Forschung auf diesem Gebiet weiter voran zu treiben. Mithilfe des 6.000-Euro-Preisgeldes will das Neonatologenteam gemeinsam mit der Deutschen Stiftung Kranke Neugeborene dafür sorgen, dass weitere Krankenhäuser dieses Instrument der Qualitätssicherung übernehmen. Zusätzlich soll der Wissenstransfer zu anderen Einrichtungen gefördert und das Verfahren weiterentwickelt werden.

Publikation
Positioning of term infants during delivery room routine handling – analysis of videos, BMC Pediatrics 2014, 14:33, doi:10.1186/1471-2431-14-33, http://www.biomedcentral.com/1471-2431/14/33/abstract

Quelle: Pressemitteilung Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

17.04.2015

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