Precision Medicine

Die „Omics“, die alles verbinden

Was genau umfasst der Begriff „Präzisions“-medizin? Wie funktioniert HP-MRSI? Und warum müssen Radiologen in Zukunft sehr gute Kenntnisse in Molekularbiologie mitbringen? Diese und mehr Fragen beantwortet Prof. Dr. h.c. Hedvig Hricak, Co-Organisatorin des Garmisch-Symposiums und Leiterin der Radiologie des Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, in ihrem Vortrag und im Interview.

Prof. Dr. h.c. Hedvig Hricak
Prof. Dr. h.c. Hedvig Hricak

Die „Präzisions“medizin birgt in der Onkologie enormes Potenzial zur Verbesserung der Outcomes, hat aber auch ihre Hürden. Warum?
Die wahrscheinlich größte Herausforderung bei der Implementierung der Präzisionmedizin ist die hohe inter- und intratumorale genetische Heterogenität. Dass es diese genetische Heterogenität gibt, ist seit Jahren bekannt. Allerdings konnte ihr tatsächliches Ausmaß erst aufgrund jüngster Fortschritte in der Sequenzierungstechnologie detailliert nachgewiesen werden. Und nicht nur das –die Sequenzierungsanalysen von Tumoren haben zudem gezeigt, dass sich die intratumorale Heterogenität im Krankheitsverlauf temporär weiterentwickelt – mit erheblichen Auswirkungen auf die Therapieresistenz. An diesem Punkt kommt die Bildgebung ins Spiel, da sie das einzige Werkzeug ist, das in vivo die biologische Heterogenität in einem Tumor und die Interaktion ganzer Tumoranteile darstellen kann. Um die Bildgebung für diese Aufgabe flächendeckend zu nutzen, bedarf allerdings es sehr viel mehr Forschung und der Validierung von Tests. Auch regulatorische Hindernisse müssen überwunden werden, ganz zu schweigen von der Entwicklung und Zulassung von Tracern. Radiologen müssen im Bereich Molekularbiologie aus- und weitergebildet werden und die Bioinformatik muss als Fach umfassend integriert sein.


Welche Ansätze gibt es in der Präzisionsmedizin?
Lassen sie mich an dieser Stelle betonen, dass sich meine Anmerkungen ausschließlich auf die Abdomen- und Becken-MRT beziehen – die Bereiche, in denen ich mich auskenne. Funktionelle MRT-Verfahren, wie etwa die kontrastverstärkte und die diffusionsgewichtete MRT – DCE-MRI und DW-MRI – bieten bereits prognostische und prädiktive Biomarker, die zu einer Beurteilung des Therapiebedarfs und zur Vorhersage des Therapieansprechens beitragen. Viele dieser Biomarker müssen jedoch noch in multizentrischen, prospektiven Studien validiert werden, auch wenn eine neue Disziplin – Radiomics – die Anzahl der Bildgebungsmarker, die aus der MRT generiert werden können, möglicherweise dramatisch erhöht. Durch Radiomics-Analysen können mittels MRT zahlreiche Informationen extrahiert werden: die Quantifizierung der Signalintensität, Textur und Form des Tumors, aber auch funktionelle Parameter und Cluster multiparametrischer Daten, die dann mit den Therapieergebnissen korreliert werden. Außerdem bietet die sogenannte Radiogenomik die Chance, die gewonnenen Daten mit Omic-Daten, einschließlich spezifischer Gen-Cluster zu korrelieren. Der Umstand, dass Radiomics und Radiogenomik räumliche Daten mit zeitlicher Komponente zur Tumorbiologie liefern, eröffnet Radiologen neue Möglichkeiten: Sie können präzisere Empfehlungen geben, wo genau eine Biopsie durchgeführt werden soll, prädiktive Aussagen zur Tumoraggressivität in den Bereichen treffen, in denen eine Biopsie nicht möglich ist; sie können Therapien genauer auswählen und planen sowie das Therapieansprechen besser beurteilen. Auch hyperpolarisierte Magnetresonanz-Spektroskopie – HP-MRSI – ist ein Verfahren mit viel Potenzial für die Präzisionsmedizin.


Die HP-MRSI dient der Risikobeurteilung in der Krebsbehandlung. Wie sieht das aus?
Die hyperpolarisierte Magnetresonanz-Spektroskopie ist eine neue Technologie, die das MR-Signal um das 10.000- bis 100.000-fache verstärkt, was eine Nicht-1H-Bildgebung mit bisher unerreichter Sensitivität und Geschwindigkeit bedeutet: Nach der Injektion einer hyperpolarisierten Substanz wie etwa 13C-Pyruvat können nicht nur die Substanz selbst, sondern auch ihre nachgelagerten enzymatischen Produkte dargestellt werden. Die genaue Identifizierung aberranter molekularer Prozesse mittels HP-MRSI wird die Therapieauswahl und die Beurteilung des Therapieansprechens verbessern.


Wie können moderne MRT-Verfahren bei der Präzisionsmedizin helfen?
Die HP-MRSI geht sehr schnell – wenige Sekunden oder Minuten – und kann damit in die bestehenden Protokolle integriert werden, ohne die Abläufe signifikant zu stören. Injizierte HP-MRSI-Substanzen sind im Wesentlichen natürlich und ohne inhärente Toxizität, was sie sicher für die Patienten macht. Aufgrund dieser praktischen Eigenschaften könnte die HP-MRSI problemlos in Routine-MRT-Untersuchungen eingebaut werden, die andere Sequenzen enthalten, etwa die T2-gewichtete Bildgebung, DCE-MRI oder DW-MRI. Werden diese Fähigkeiten mit Radiomics- und Radiogenomikdaten verbunden, kann die MRT ein extrem leistungsstarkes Werkzeug werden, das die Präzision in allen Bereichen der Onkologie steigert – von der Diagnose über Auswahl, Planung und Überwachung der Therapie bis hin zur Nachsorge. Wichtig ist auch, dass maschinelles Lernen, die Erstellung von Radiomics-Algorithmen und automatische Strukturerkennung die Entwicklung optimierter Programme ermöglichen, die den Mehrwert von Radiomics/Radiogenomik in die klinische Praxis transferieren und dort verbreiten. So wird die Genauigkeit der onkologischen Bildgebung gerade für diejenigen Radiologen relevant, die auf diesem Gebiet nicht spezialisiert sind. Um dorthin zu gelangen, ist ein hohes Maß an Teamarbeit erforderlich und die moderne Bioinformatik muss definitiv stärker in das klinische Umfeld integriert werden.


PROFIL:
Prof. Dr. h.c. Hedvig Hricak wurde in Zagreb im ehemaligen Jugoslawien geboren. Ihr Medizinstudium absolvierte sie in ihrer Geburtsstadt und am Karolinska Institut in Schweden. Heute ist sie Leiterin der Radiologie des Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, Professorin für Radiologie am Cornell University Medical College und Radiologin am Memorial Hospital in New York. Professor Hricak ist Trägerin des Marie Curie Preises der Society of Women in Radiology und der Beclere-Medaille der International Society of Radiology. Ihre klinischen Fachgebiete sind die diagnostische Radiologie und die onkologische Bildgebung des Urogenitaltrakts.

29.01.2015

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