Das Magen-Mikrobiom beeinflusst die Darm-Bakterien.
Das Magen-Mikrobiom beeinflusst die Darm-Bakterien.

Universität Hohenheim / Wolfram Scheible

News • Nützliche Bakterien

Der Magen hat eine Filterfunktion

Die Rolle des Magen für die Gesundheit des Magendarmtrakts gibt der Wissenschaft noch Rätsel auf: Die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Magen schwankt sehr stark, über den Einfluss dieser Schwankungen auf den Darm konnte man bislang nur spekulieren. Jetzt hat ein Forschungsteam der Universität Hohenheim in Stuttgart gemeinsam mit der Medizinischen Universität Graz eine Methode entwickelt, mit der man lebende, aktive Bakterien von toten unterscheiden und in ihrer Menge bestimmen kann.

Damit gelang es erstmals, Schwankungen in der Zusammensetzung der ständigen Bewohner des Magens mit einem Gesamtzuwachs an Bakterien in Verbindung zu bringen. Deutlich wurde auch: Der Magen übt innerhalb des Magen-Darm-Trakts eine wichtige Kontroll-Funktion auf die Passage bestimmter Bakterien in den Darm aus.

Eine chirurgische Magenverkleinerung bei Fettleibigkeit bringt positive Eigenschaften mit sich, die sich nicht mit einer Reduktion des Magenvolumens allein erklären lassen: So kann sich etwa eine Insulinresistenz verringern und die dadurch bedingte Regulation von Blutzuckerspiegeln ebenso wie von generellen Entzündungsparametern verbessern – ein Effekt, der typischerweise eher mit Prozessen im Darm als im Magen in Verbindung gebracht wird.

Ähnliche Fragen zum Einfluss des Magens auf den Darm werfen klinische Beobachtungen zur Nebenwirkung von Protonenpumpenhemmern auf. Das sind Medikamente, die die Säure-Produktion im Magen hemmen und die zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten gehören, um Magengeschwüre, Sodbrennen etc. zu behandeln. Doch wer sie über einen langen Zeitraum einnimmt, hat ein erhöhtes Risiko, nach Antibiotika-Einnahme Durchfallerkrankungen zu bekommen. „Beides sind Indizien dafür, dass Ereignisse im Magen Veränderungen im Darm-Mikrobiom nach sich ziehen“, erläutert Prof. Dr. Florian Fricke, Leiter des Fachgebiets Mikrobiom und Angewandte Bioinformatik an der Universität Hohenheim. „Möglicherweise liefert der Magen mehr Einflussmöglichkeiten auf Darm-assoziierte Probleme als bisher angenommen - im positiven wie im negativen Sinne.“

Früher ging man davon aus, dass die Magensäure fast alle Mikroorganismen abtöte, erklärt Prof. Dr. Fricke. „Das ist offensichtlich nicht der Fall. Doch wie ein gesundes Magen-Mikrobiom aussieht und welchen Einfluss es auf den Transfer von Mikroorganismen vom Mundraum bis in den Darm ausübt, wussten wir bisher nicht. Bisherige Untersuchungen des Magens ebenso wie des Darms wurden zudem durch die extrem schwankenden Anteile der diversen Bakterien-Arten im Mikrobiom erschwert. Dafür gab es bei gesunden Personen bisher keine Erklärung“, so Fricke.

Neues Verfahren unterscheidet lebende und tote Bakterien

Das Problem der klassischen Mikrobiom-Forschung: Die sogenannten sequenzabhängigen Verfahren untersuchen ausschließlich DNA, also den relativ stabilen molekularen Träger der Erbinformationen eines Bakteriums. „Damit erfassen sie lebende Bakterien ebenso wie tote – können also nicht unterscheiden zwischen dem an den Magen angepassten Mikrobiom und von außen eigetragenen, inaktiven Bakterien.“

Gemeinsam mit seiner Doktorandin Elisabeth Dörner und seinen Kollegen an der Medizinischen Universität Graz entwickelt er daher einen neuen technischen Ansatz – und greift zu einem Trick: Sie erfassen nicht nur die DNA, sondern auch die RNA – kurze Nukleinsäure-Stränge, die in lebenden Zelle als eine Art Bote bei der Nutzung der Erbinformation fungieren. Sie sind daher nur in lebenden, aktiven Zellen zu finden.

Fricke und sein Team testen die Methode im Tiermodell an Magenproben aus Labormäusen. Gleichzeitig nehmen die Projektpartner in Graz bei insgesamt 24 Patienten Proben, die sie zur Analyse nach Hohenheim schicken. Die Forscher isolieren die DNA und die RNA jeweils separat aus allen Proben und charakterisieren beides mittels PCR-Analyse, einer Methode zur Anreicherung und Sequenzierung von genetischem Material. „Damit bestimmen wir, welche Bakterien insgesamt vorhanden sind und welche Anteile der Gesamtbakterien aktiv sind“, erklärt der Fachmann. „Darüber hinaus können wir mit dieser Methode auch die Quantität der Bakterien bestimmen. Wir können daher nicht nur die relativen prozentualen Anteile der einzelnen Arten ermitteln, sondern auch deren absolute Mengen.“

Rückschlüsse auf Magen-Mikrobiom

Ihr Ergebnis: Rund 90 Prozent der Magen-Bakterien werden in Mäusen und Menschen von nur zwei dominanten Gruppen gestellt. Eine dieser Gruppen, die Laktobazillen in Mäusen und Streptokokken beim Menschen, ist mengenmäßig relativ konstant, während die andere Gruppe der Bakteroidetes stärker schwankt. „Interessant ist, dass die konstante Gruppe auch die aktiven, lebenden Bakterien ausmacht“, betont Fricke. „Man kann daraus schließen, dass sie für das Magen-Mikrobiom entscheidendere Funktionen ausübt, während die kurzzeitig schwankende Gruppe möglicherweise mit der Nahrung oder über andere Wege in den Magen gelangt, dort aber nicht aktiv bleibt. Mit unseren Ergebnissen können wir also den Fokus auf die für die Untersuchung des Magens und den Übergang in den Darm relevanten Bakterien einengen.“

Um den Funktionen des Magens noch genauer auf die Spur zu kommen, beschränken die Forscher ihre Probennahme nicht auf den Magen: Sie nehmen je eine Probe aus der Speiseröhre, drei an verschiedenen Stellen des Magens und eine aus dem Zwölffingerdarm. „Das Mikrobiom ist zwar überall relativ ähnlich, aber es gibt graduelle Unterschiede“, berichtet Fricke. „Wir haben Gradienten bei bestimmten Bakterien gefunden, also Anstiege oder Reduktionen von der Speiseröhre bis in den Magen hinein, die danach, also zwischen Magen und Dünndarm, wieder gegenläufig sind. Im Magen werden diese Bakterien also gezielt angereichert oder abgereichert. Er scheint damit als Portal zum Darm eine Kontroll- bzw. Filterfunktion auszuüben und kann so das Darm-Mikrobiom beeinflussen.“

Im Augenblick betreiben die Wissenschaftler noch klassische Grundlagenforschung. „Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse dazu beitragen werden, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Teilen des Magendarmtrakts besser zu verstehen und so vielleicht eines Tages Abweichungen im Mikrobiom des Magens oder Mundraums mit bestimmten Krankheiten des Darms in Verbindung zu bringen. Denkbar wäre dann zum Beispiel, dass man eines Tages bereits im Speichel Risiken für den Darm erkennen und behandeln könnte. Oder dass man die negativen Effekte von Medikamenten wie Säurehemmer im Magen durch gleichzeitige Beeinflussung des Mikrobioms ausgleichen kann."

Quelle: Universität Hohenheim

26.11.2018

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