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Interview • Sofortdiagnostik
Das medizinische Potential der POCT-Messungen
Das Zentrallabor des Instituts für Klinische Chemie und Pathobiochemie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München unter der Leitung von Prof. Dr. Peter B. Luppa veranstaltete 2019 bereits das auch international angesehene „4. Münchner Point-of-Care-Testing Symposium“. Dr. Andreas Bietenbeck ist Leitender Oberarzt an diesem Institut, das sich seit vielen Jahren intensiv mit der Thematik der patientennahen Sofortdiagnostik beschäftigt und wegweisende Forschungen und Entwicklungen auf den Weg gebracht hat.
Autor: Walter Depner
Herr Dr. Bietenbeck, die Möglichkeiten der Sofortdiagnostik haben sich in den letzten Jahren enorm verbessert bzw. erweitert. Kann man bei dieser Entwicklung von drei Ebenen reden, in denen sich diese Fortschritte dokumentieren lassen? Zum einen die medizinische Ebene, dann die (geräte-)technische und letztlich die organisatorische Ebene, also die Einbindung in bestehende Strukturen. Wie beschreiben Sie diese drei „Entwicklungen“?
Dr. Bietenbeck: Die Entwicklung lässt sich so beschreiben, auch wenn sich die einzelnen Ebenen oft nicht klar voneinander abgrenzen lassen. Auf der medizinischen Ebene finde ich kontinuierliche Messungen spannend, vor allem bei Glukose. Hiermit lässt sich viel genauer feststellen, welche Zeiträume beim Patienten kritische Blutglukosekonzentrationen aufweisen. Mit diesem Wissen kann der behandelnde Arzt präziser gegensteuern. Außerdem sind die kontinuierlichen Messungen deutlich angenehmer für den Patienten. Ich durfte vor Kurzem einen kontinuierlichen Sensor testen und habe schon nach kurzer Zeit vergessen, dass ich das Pflaster mit dem Sensor überhaupt trage. Auch infektiologische POCT-Tests bringen große medizinische Vorteile. Dank ihnen kann man überall, auch in Entwicklungsländern, Erreger schnell identifizieren. Technisch sehen wir zum einen die kontinuierliche Fortentwicklung bestehender Systeme, die immer zuverlässiger werden. Auf der anderen Seite werden auch relativ neue Analysen beispielsweise zum Nachweis zirkulierender Tumor-DNA direkt auf POCT-Systemen entwickelt. Auf der organisatorischen Ebene hat sich gezeigt, dass es im Krankenhaus dedizierter Strukturen bedarf, um POCT erfolgreich zu managen. Viele Einrichtungen haben daher ein POCT-Komitee mit einem POCT-Koordinator eingerichtet.
Sie haben, obwohl natürlich das Klinikum rechts der Isar kein Sportmedizinisches Institut ist, vor einiger Zeit im Rahmen eines POCT-Symposiums über „POCT im Hochleistungssport“ die Möglichkeiten des medizinischen Potentials neuer POCT-Messungen dargestellt. Können Sie bitte die Hintergründe noch einmal kurz zusammenfassen?
Auch in der Sportmedizin wird der Umstand genutzt, dass durch POCT der Probentransport entfällt und man so schneller die Testergebnisse erhält. POCT hilft uns, schnell in das Training einzugreifen und zu optimieren. Im Einzelnen kann ich die Ergebnisse leider nicht beurteilen – dazu fehlt mir das sportmedizinische Wissen.
Nimmt der Anwender darüber hinaus beim Testen keine Selektion vor, kann es sein, dass die Resultate fälschlicherweise mehr Gesunde als Kranke anzeigen
Andreas Bietenbeck
Abgeleitet aus dem Gebiet Hochleistungssport lässt sich die gesamte Systematik auch auf andere Bereiche übertragen. Wo sehen Sie diese?
Auffallend ist, dass Messungen, die bis vor kurzem der Medizin oder eben dem Hochleistungssport – also Spezialisten – vorbehalten waren, nun in den ganz normalen Alltag vordringen. So soll die neue Smartwatch von Apple (Apple Watch 6) den Puls, EKG und Blutsauerstoffgehalt des Bluts bestimmen können. Wenn diese Messungen auch für gesundheitliche Fragestellungen verwendet werden sollen, müssen sie aus mehreren Gründen mit großer Vorsicht bewertet werden. Zum einen ist nicht klar, wie gut die Messqualität ist und welche Störungen auftreten können. Nimmt der Anwender darüber hinaus beim Testen keine Selektion vor, kann es sein, dass die Resultate fälschlicherweise mehr Gesunde als Kranke anzeigen. Und in der Hand von nicht Fachleuten kann es selbst bei guten Testsystemen passieren, dass der Getestete trotz auffälliger Testergebnisse für gesund deklariert wird, obwohl er es nicht ist.
Wir sprachen eingangs von drei Ebenen und der Einbindung in bestehende Strukturen. Das betrifft sowohl menschliche (organisatorische/verantwortliche) Aspekte als auch technische wie etwa die Einbindung in bestehende LIS- oder KIS-Systeme. Sind diese Probleme lösbar/gelöst oder ist das ein offenes Problemfeld?
Ich glaube, die bekannten Probleme lassen sich mittlerweile lösen. Wenn eine Klinik ihre POCT Geräte ins LIS oder ins KIS anbinden möchte, gibt es dafür viele gut funktionierende Möglichkeiten. Wenn dieses Vorgehen von einigen Akteuren nicht gewünscht wird, kommt es natürlich zu Problemen, aber die sind nicht technischer Natur. Mittlerweile zeichnen sich allerdings neue Problemfelder ab. Der Laborbefund soll neben vielen anderen Informationen über den Patienten in elektronische Patientenakte aufgenommen werden. Gerade bei POCT ist es schwierig, alle nötigen Informationen so abzulegen, dass die Messung hinterher richtig interpretiert werden kann. Bei vielen Messungen gibt es große Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen POCT-Messgeräten. Außerdem hängt die Zuverlässigkeit einer Messung auch immer stark davon ab, wer gemessen hat: der Patient selbst, medizinisches Personal oder ein Labormitarbeiter.
Erfolge oder Misserfolge sind eng verbunden mit der Qualität und damit abhängig von der Verantwortlichkeit. Wie sollte die geregelt sein?
In Deutschland sind wir in der glücklichen Lage, dass die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (Rili-BÄK), ein Mindestmaß an Qualität auch für POCT vorschreibt. In diesem vorgegebenen Rahmen kann eine einzelne Institution für sich die optimalen Organisationsformen bestimmen. POCT zeichnet sich gerade dadurch aus, dass für ihren erfolgreichen Einsatz die unterschiedlichsten Bereiche wie die Station, das Labor und die IT-Abteilung zusammenarbeiten müssen. Deshalb sollte ein Forum geschaffen werden, in dem der geregelte gegenseitige Austausch zwischen diesen Akteuren stattfinden kann. Letztendlich muss aber auch da einer „den Hut aufhaben“, und da bietet es sich natürlich an, jemanden zu wählen, der sich mit labormedizinischen Analysen auskennt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Profil:
Dr. Andreas Bietenbeck promovierte 2012 mit einem Thema über „biochemische Methoden im Labor“ – magna cum laude. Er erhielt u. a. den INSTAND-Forschungspreis für Arbeiten der Qualitätssicherung in der Labormedizin sowie den Ivar-Trautscholt-Nachwuchsförderpreis für Beiträge zur Verbesserung der Qualitätskontrolle im medizinischen Labor. Am Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, liegen seine Forschungsschwerpunkte im Bereich der Qualitätssicherung, der medizinischen Informatik und der POCT.
13.10.2020