Chemiker entwickeln Anti-Tumor-Wirkstoff
Chemiker der Universität Bielefeld haben ein kupferhaltiges Molekül entwickelt, das gezielt an DNA bindet und somit Tumore am Wachstum hindert. Eine erste Studie zeigt, dass es Krebszellen schneller abtötet als der verbreitete Anti-Tumor-Wirkstoff Cisplatin, der häufig in Chemotherapien eingesetzt wird.
Für die Entwicklung arbeitete das Team um Professor Dr. Thorsten Glaser mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Biochemie und Physik zusammen. Das Design des neuen Wirkstoffs ist Grundlagenforschung. „Wie und ob der Kupferkomplex für medizinische Behandlung eingesetzt wird, das muss die medizinische Forschung in den kommenden Jahren klären“, sagt der Chemiker.
Ärzte setzen schon seit Ende der 1970er Jahre auf Cisplatin, um Krebs zu therapieren. Bei Lungen- und Hodenkrebs treibt die Substanz die Heilung voran, sie wirkt jedoch nicht bei allen Krebsarten. Cisplatin gehört zudem zu den Anti-Tumor-Wirkstoffen, die am häufigsten Übelkeit, Erbrechen und Durchfall verursachen. „Wir wollten daher einen alternativen Wirkstoff entwickeln, der aufgrund eines anderen Wirkmechanismus weniger Nebenwirkungen hat und auch mit anderen Krebsarten fertig wird“, sagt Thorsten Glaser, Professor für Anorganische Chemie an der Universität Bielefeld. „Außerdem wollten wir einen Wirkstoff, der gegen Tumore wirkt, die wegen früherer Therapien immun gegen Cisplatin sind.“ Glaser und sein Team können mit chemischen Verfahren neue Moleküle produzieren, die in der Natur nicht vorkommen, und diese mit bestimmten Eigenschaften ausstatten.
Cisplatin greift das Erbgut von Krebszellen an. Das Erbgut einer Zelle, also auch die DNA einer Krebszelle, besteht immer aus Nukleinbasen, Phosphaten und Zucker. Während Cisplatin sich an die Nukleinbasen bindet, entwarfen die Forscher ein neues Molekül, die das Phosphat im Erbgut attackiert. „Für diesen Zweck haben wir zwei Kupfer-Metall-Ionen in unser Molekül eingebaut, die bevorzugt an den Phospaten binden.“ Sobald sich die Ionen mit dem Phosphat vereinigen, ändert sich das Erbgut der Krebszelle. Das unterbricht die Abläufe in der Zelle, verhindert, dass sich die Zelle vermehrt und leitet die Zerstörung der krankhaften Zelle ein.
„Wie sich ein Schlüssel nur in einem bestimmten Schloss drehen lässt, passt unser Molekül nur auf die Phosphate und blockiert sie“, sagt Glaser. Wie die Enden eines Hufeisens ragen zwei Kupfer-Metall-Ionen aus dem neuen Molekül heraus. Der Abstand zwischen den beiden Enden entspricht genau dem Abstand der Phosphate im Erbgut, sodass sie passgenau dort andocken. „Dadurch, dass gleichzeitig zwei Phosphate gebunden werden, ist die Bindungsstärke höher. Und das erhöht die Wirksamkeit.“
Die Wissenschaftler der Universität Bielefeld entwickelten ein Verfahren, um das neue Molekül herzustellen. Sie wiesen nach, dass sich ihr Kupfer-Wirkstoff an DNA binden kann und sie verändert. Und sie untersuchten, ob und wie gut ihr Wirkstoff die Vermehrung von Erbgut und damit der Zellen verhindert. Die Verdopplung des Genoms in Zellen verläuft in ähnlicher Form wie bei der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Die Forscher belegten, dass der Kupfer-Komplex diese Kettenreaktion aufhält.
Schließlich setzten die Wissenschaftler den Wirkstoff auf Krebszellen an. Sie gaben die Substanz in eine Zellkultur mit Krebszellen. Das Ergebnis: „Der Kupferkom-plex ist wirksamer als Cisplatin“, sagt Glaser. „Die meisten Krebszellen starben bei einer Kon-zentration von zehn Mikromolar. Bei Cisplatin sind dafür 20 Mikromolar nötig.“
Für die Forschung an dem neuen Wirkstoff kooperierten Glaser und Team mit den Arbeitsgruppen von Professor Dr. Dario Anselmetti (Biophysik und angewandte Nanowissenschaften) und von Professorin Dr. Gabriele Fischer von Mollard (Biochemie), beide ebenfalls an der Universität Bielefeld. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Dario Anselmetti machten per Rasterkraftmikroskopie die Aufnahmen, die beweisen, dass der Kuper-Komplex an die DNA bindet. Das Team von Gabriele Fischer von Mollard überprüfte, wie die Krebszellen-Kultur auf den Wirkstoff reagiert.
Die drei Arbeitsgruppen kooperierten innerhalb des Sonderforschungsbereichs (SFB) 613 „Physik von Einzelmolekülprozessen und molekularer Erkennung in organischen Systemen“ (Physics of Single-Molecule Processes and of Molecular Recognition in Organic Systems).
Originalveröffentlichung:
Thomas Jany, Alexander Moreth, Claudia Gruschka, Andy Sischka, Andre Spiering, Mareike Dieding, Ying Wang, Susan Haji Samo, Anja Stammler, Hartmut Bögge, Gabriele Fischer von Mollard, Dario Anselmetti, Thorsten Glaser: Rational Design of a Cytotoxic Dinuclear Cu2 Com-plex That Binds by Molecular Recognition at Two Neighboring Phosphates of the DNA Back-bone. Inorganic Chemistry, http://dx.doi.org/10.1021/ic5028465, erschienen am 4. Februar 2015.
Quelle: Pressemitteilung Universität Bielefeld
03.03.2015