Artikel • MRT vs. Alzheimer

Auf der Suche nach dem Leck in der Blut-Hirn-Schranke

„Mit unserer neuen MRT-Methode können wir endlich winzige Lecks in der Blut-Hirn-Schranke darstellen. Sie liefern Erkenntnisse, wie die Gefäße an der Entstehung von Demenz beteiligt sind, und sie könnten ein Hinweis auf Alzheimer sein. Allerdings ist die MRT lediglich ein Hilfsmittel zur Diagnose von zerebrovaskulären Schäden. Wir haben noch keine Therapie für Alzheimer“, so Walter H. Backes, Medizinphysiker und Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Maastricht.

Bericht: Madeleine van de Wouw

Die Blut-Hirn-Schranke (BHS) trennt Blut und Gehirn und schützt das Gehirn, indem sie bestimmte Substanzen durchlässt, andere nicht. Backes und sein interdisziplinäres Team der Maastricht UMC und Leiden UMC versuchen, Kleingefäßlecks in der BHS zu visualisieren und so Alzheimer auf die Spur zu kommen.

Kontrastverstärkte MRT

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Der Medizinphysiker Walter H Backes ist Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Maastricht in den Niederlanden.

Während die konventionelle MRT weder kleine Gefäße noch Marker oder Lecks darstellt, kann die dynamische MRT auch geringste Mengen der Marker-Flüssigkeit durch die Blutgefäße und ins Gehirn verfolgen, ganz gleich, wie klein die Gefäße auch sein mögen. „Die kontrastverstärkte MRT ist eine Verbindung aus Vision, technischem Wissen und Rechenleistung des Computers“, erklärt Backes und fügt hinzu, dass „wir mit der medizinischen Bildgebung jetzt nicht invasiv untersuchen können. Das heißt, wir müssen nicht mehr auf die post mortem durchgeführten Gewebeuntersuchungen oder die Analyse der in einer Punktion gesammelten Rückenmarksflüssigkeit warten.“ Erste klinische Untersuchungen, so berichtet Backes, erzielten höchst vielversprechende Ergebnisse: „Da wir unsere neue Scanning-Methode nicht in gesunden Probanden mit einer intakten BHS testen konnten, untersuchten wir von Beginn an Alzheimer-Patienten und erkannten Schädigungen der Schranke, durch die Flüssigkeit aus den kleinsten Blutgefäßen ins Hirn übertreten konnte.“

Neue Erkenntnisse zur Rolle der Gefäße in der Demenzentwicklung

Durch das Leck können nicht erwünschte Substanzen in das Hirn eintreten und die Gefäße schädigen. „Zunächst haben wir den Blutgefäßen keine große Rolle bei der Entwicklung der Demenz zugesprochen. Zwar hatten Untersuchungen an Tieren Schädigungen an Blutgefäßen gezeigt, aber diese Lecks haben wir nicht mit dem kognitiven Verlust und Demenz in Verbindung gebracht. Was wir im menschlichen Gehirn entdeckt haben, war eher ein Zufallsprodukt, ein nicht geplanter Durchbruch. Wir können zwar das Leck visualisieren, aber wir wissen noch nicht, ob es sich dabei um Alzheimer handelt. Dennoch wurde die Verbindung zwischen der Schädigung der BHS und Alzheimer-Pathologien durch die Tatsache gestärkt, dass Diabetes und andere nicht-zerebrovaskuläre Erkrankungen keinen Einfluss auf die Ergebnisse hatten.“

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MRT-Scan des Gehirns eines Alzheimer-Patienten; die Lecks in der Blut-Hirn-Schranke sind farbcodiert.

Der Zustand des Blutgefäßsystems, so Backes, scheint eine sehr wichtige und bisher unterschätzte Rolle in der Entwicklung von Alzheimer zu spielen. „Ein Großteil der bisherigen Forschung hat sich auf Amyloid-beta-Proteinablagerungen als mögliche Verursacher des Morbus Alzheimer konzentriert. Diese Theorie scheint heute widerlegt zu sein: Wenn wir die Proteinablagerung medikamentös beseitigen, bleibt der Zustand des Patienten unverändert. Die Entdeckung der Lecks stellt daher einen wichtigen Beitrag zur Forschung im Bereich Alzheimer-Entstehung dar. Wir haben gezeigt, dass in Menschen mit Alzheimer nicht nur das Hirngewebe geschädigt ist, sondern auch die Blutgefäße und dass diese Schädigung substanziell ist.“ Auch wenn es noch kein Rezept gegen Alzheimer gibt, so zeigt die Forschung des Backes-Teams, dass es sich sehr wohl lohnen kann, das Blutgefäßsystem in Tipptopp-Zustand zu halten – gesunde Ernährung und Übungen zur Erhaltung der kognitiven Fähigkeiten könnten dazu beitragen, Alzheimer zu vermeiden.

In acht Jahren sollten wir mehr über die Ursache von Alzheimer wissen

Walter H Backes

Leider ist die neue MRT-Methode noch nicht flächendeckend verfügbar. Daher, so der Medizinphysiker, „arbeiten wir daran, die Technik einfacher in der Anwendung zu machen, so dass mehr Menschen damit untersucht werden können, auch jene, die noch keine Symptome zeigen. Mit unseren Erkenntnissen zu den Lecks können wir vielleicht Medikamente an bestimmte Stellen im Hirn transportieren. Wir wissen allerdings noch nicht richtig, wie der Medikamententransport durch Gefäße bei Gefäßschädigungen funktioniert. Das müssen wir genauer erforschen.” Zwei Folgestudien, die auf je vier Jahre ausgelegt sind, hat Backes bereits geplant: „In acht Jahren sollten wir mehr über die Ursache von Alzheimer wissen. Etwa 100 Personen mit und ohne Alzheimer-Diagnose werden an jeder Studie teilnehmen.“

Ausgezeichnete Forschung

Auf dem RSNA 2017 erhielt der Artikel, den das Team Backes in „Radiology“ * veröffentlicht hat, den Alexander R. Margulis Award für den besten wissenschaftlichen Artikel des Vorjahres. Für Backes kam die Auszeichnung nicht überraschend, hatte seine Forschung doch bereits Wellen geschlagen, dennoch: „Es ist etwas ganz Besonderes, diesen Preis als Medizinphysiker zu bekommen. Ich bin kein Arzt, kein Radiologe. Die Jury war der Ansicht, diese provokative Fragestellung breche mit dem aktuellen Konsens, dass die Blutgefäße bei der Alzheimer-Entstehung keine Rolle spielen.“ 

Wie geht es mit der Alzheimer-Forschung weiter? „Da die BHS nicht nur den Transport von Nährstoffen sondern auch von Medikamenten ermöglicht“, so Backes, „könnten wir uns die Lecks in der BHS mit Ultraschall ansehen und die Medikamente lokal verabreichen. Allerdings sind noch viele Fragen offen: Bei einem Leck dringt alles in das Hirn – was passiert, wenn wir die Schranke bewusst öffnen? Wird sich das Leck wieder schließen? Verbessert ein solches Verfahren die Lebensqualität? Können wir Medikamente indirekt verabreichen? Kurz: Die Tatsache, dass wir das Leck in der BHS darstellen können, eröffnet neue Perspektiven für die Forschung. Es ist noch viel zu tun – und die Erwartungen sind hoch.”

*http://pubs.rsna.org/doi/10.1148/radiol.2016152244


Profil:

Der Medizinphysiker Walter H Backes ist Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Maastricht in den Niederlanden. Sein Forschungsschwerpunkt ist die MRT-Bildgebung neurologischer und vaskulärer Erkrankungen. 1999 etablierte er die funktionelle Bildgebung von Hirnerkrankungen in Forschung und Klinik. Heute umfasst seine Arbeit auch onkologische sowie vaskuläre und neurologische Anwendungen dieser Modalität. Aktuell beschäftigt er sich mit neuen Bildgebungstechniken, einschließlich der kontrastverstärkten Angiographie, Perfusions- und Diffusionsbildgebung sowie fMRT von Hirnnetzen bei Diabetes, Epilepsie, Alzheimer und Erkrankungen der kleinen Gefäße. Er initiierte ein zertifiziertes post-universitäres Ausbildungsprogramm, das er auch heute noch in leitender Funktion begleitet, und hält Vorträge zu unterschiedlichen Themen aus dem Bereich der radiologischen Bildgebung.

09.05.2018

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