Interview • Tarnkappen-Täter

Die Leber ist eine Meisterin des Mimikry

Prof. Dr. Thomas Kröncke, Chefarzt der Diagnostischen und Interventionellen Radiologie am Klinikum Augsburg, beschäftigt sich seit mehr als 17 Jahren mit Lebererkrankungen. Im Interview verrät er, welche Erkrankungen das Organ gerne maskiert und warum die Fettleber zum nationalen Problem geworden ist.

Interview: Daniela Zimmermann

Warum sind diffuse Erkrankungen bei der Leber schwer zu diagnostizieren?

Thomas Kröncke: Diffuse Erkrankungen haben, anders als die fokalen Lebererkrankungen, bei denen man Läsionen oder Herde mit der radiologischen Bildgebung spezifisch charakterisieren kann, kaum prägnante Ausprägungen. Dadurch sind sie im Kontrast weniger augenfällig, insbesondere wenn das gesamte Lebergewebe betroffen ist.

Kontrastmittelunterstütztes CT einer Patientin mit akutem Budd Chiari-Syndrom....
Kontrastmittelunterstütztes CT einer Patientin mit akutem Budd Chiari-Syndrom. Heterogene, jedoch typische Perfusion mit peripherer Minder- und zentraler Mehrdurchblutung der Leber.

Wie können sie dennoch entdeckt werden?

Informationen von den zuweisenden klinischen Partnern können helfen, es ist jedoch außergewöhnlich wichtig, auf kleinste Unterschiede zu achten, zum Beispiel auf die Dichte des Lebergewebes im CT oder auf Anomalien bei der Kontrastmittelaufnahme bzw. -auswaschung. Ein auf den ersten Blick konventioneller Befund verrät erst im Detail, welches Problem tatsächlich vorliegt. Ein großer Erfahrungsschatz und unterschiedliche Blickwinkel können die Diagnose deshalb entscheidend beeinflussen.

Welche bildgebenden Methoden kommen zum Einsatz?

Photo
Prof. Dr. Thomas Kröncke, Chefarzt der Diagnostischen und Interventionellen Radiologie am Klinikum Augsburg.

Der Ultraschall ist immer der erste Einstieg und verrät viel, dennoch ist er nicht für alle Fragestellungen ausreichend. Bei diffusen Leberveränderungen sind Methoden wie die CT oder MRT ebenfalls essentiell. Letztere haben den Vorteil, dass sie das gesamte Organ "messen" und nicht nur punktuelle Werte ermittelnt. Auch neuere Methoden wie die MRT-Elastographie können für die Diagnose hilfreich sein. Die Elastizität der Leber konnte früher nur durch Palpation oder invasiv der Grad der durch eine Fibrose verursachten Steifigkeit des Organs durch eine Leberbiopsie ermittelt werden. Mit der Elastographie kann diese Gewebeeigenschaft nun übergreifend für das gesamte Organ quantifiziert werden. Insbesondere Patienten mit reversiblen Vorstufen der Leberzirrhose, profitieren davon.

Welche diffusen Erkrankungen begegnen Ihnen am häufigsten?

Die Leberverfettung hat einen gravierenden Wandel in der Einordnung ihrer Bedeutung erfahren. Früher war die Verfettung ein unbedeutender Nebenbefund, der nicht weiter verfolgt wurde. Heute wird sie nicht nur deutlich öfter diagnostiziert, sondern auch als Risikofaktor für weitere Erkrankungen wahrgenommen. Denn der Weg von der Leberverfettung zur Leberentzündung, der Steatohepatitis, und einer damit möglichen Zirrhose ist nicht weit. Die Steatohepatitis ist in den letzten Jahren durch die zunehmende Fettleibigkeit stark in den Fokus gerückt. Adipositas ist nicht mehr nur in den USA Zuhause, sondern betrifft auch in Deutschland vermehrt Kinder und Jugendliche. Dadurch ist der Fettleberbefund und im Extremfall eine daraus resultierende Zirrhose bis hin zur notwendigen Lebertransplantation ein reales Problem geworden.

MRT der Leber einer Patientin mit Primärer Biliärer Cholangitis (PBC):...
MRT der Leber einer Patientin mit Primärer Biliärer Cholangitis (PBC): Kombination aus diffuser Verfettung und Fibrose in der In- und Gegenphasebildgebung.

Die Leberverfettung hat sich also vom Neben- zum Problembefund entwickelt.

Ja. Die Verfettung ist vor allen Dingen auch deshalb kritisch, weil sie Erkrankungen verschleiert oder vortäuscht. Durch das Leberfett werden Kontraste in bildgebenden Verfahren flau, was dazu führen kann, dass Läsionen oder Tumore nicht entdeckt werden. Eine Fettleber kann jedoch auch durch die Gewebeveränderung einen Herdbefund vortäuschen, der real nicht existiert. Für die Unterscheidung ist es hilfreich, die typischen Stellen zu kennen, an denen sich Fett in der Leber ablagert und Verdachtsmomente mittels weiterer Untersuchungen zu prüfen. Bestimmte MRT-Frequenzen können beispielsweise genau aufzeigen, um welche Art von Gewebe es sich handelt. Generell ist jedoch für eine genaue Diagnose viel Erfahrung notwendig.

Sind diffuse Erkrankungen der Leber ein Einsatzgebiet für Big Data und Artificial Intelligence?

Diffuse Erkrankungen der Leber sind vielfältig und der krankhafte Leberumbau kann nicht nur unterschiedliche Ursachen haben, sondern auch wertvolle Hinweise liefern

Thomas Kröncke

Nicht mehr als jedes andere Feld, in dem mit bildgebenden Methoden gearbeitet wird. In Zukunft wird sicherlich vieles durch technologische Weiterentwicklungen verändert, denn der Computer ist uns zumindest in seiner Ausdauer überlegen, aber das betrifft die gesamte Radiologie und keinen Bereich speziell. Viel wichtiger wäre es, tradierte Denkweisen aufzubrechen. Bei der Leber ist nicht alles nur Zirrhose. Diffuse Erkrankungen der Leber sind vielfältig und der krankhafte Leberumbau kann nicht nur unterschiedliche Ursachen haben, sondern auch wertvolle Hinweise liefern. Dafür muss man aber genauer hinsehen.

Was sich als Zirrhose manifestiert, ist mitunter eine ganz andere Erkrankung?

Photo
Natives CT eines Patienten mit primärer Hämochromatose.

Ja, es gibt Veränderungen in der Leber, sogenannte Pseudozirrhosen, die ganz andere Ursprünge haben, obwohl sie ähnliche Strukturen wie die Organdeformation und eine höckerige Oberflächenstruktur aufweisen. In Folge einer Chemotherapie kann die Leber beispielsweise Zirrhose-Merkmale ausbilden. Ein weiteres Phänomen ist die obliterative portale Venopathie, bei der bestimmte Pfortaderästchen schrumpfen und Leberveränderungen auftreten. Es gibt auch Stoffwechselstörungen, die sich unter anderem in der Leber manifestieren, beispielsweise eine erblich bedingte Funktionsstörung des Kupferstoffwechsels. Es ist also wichtig, einen offenen Blick zu behalten und sich nicht von ersten Anzeichen auf falsche Fährten locken zu lassen. Dieses Phänomen hat mich bei meiner allerersten Veröffentlichung über atypische Leberverfettungen fasziniert und tut es auch heute noch: Die Leber ist eine Meisterin der Verschleierung und des Mimikry.


Profil:

Prof. Dr. med. Thomas Kröncke ist Chefarzt der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie im Klinikum Augsburg. 2016 wurde ihm die Würde eines außerplanmäßigen Professors der Medizinischen Fakultät an der Charité Berlin verliehen. Seine Schwerpunkte sind Interventionelle Radiologie (bildgeführte minimal-invasive Eingriffe), Bildgebung der Leber, Onkologische Bildgebung und Herz- und Gefäßbildgebung.


Veranstaltungshinweis:

Raum: Hörsaal 2

Freitag, 29. September 2017, 15:20 - 15:40

Symposium 4 - Leber

Diffuse Erkrankungen der Leber – nicht alles nur Zirrhose

Vorsitz: Andrik Aschoff (Kempten), Max Seidensticker (München)

29.09.2017

Mehr aktuelle Beiträge lesen

Verwandte Artikel

Photo

Artikel • Leber

Bessere Differenzierung durch die MRT

Jeder Facharzt hat in seiner theoretischen und praktischen Ausbildung die Bildgebung der Leber erlernt. Doch in der beruflichen Praxis bleibt dieses Wissen nicht immer präsent, denn abhängig von…

Photo

Interview •

Wir fahren jetzt und schrauben nicht mehr am Motor

Der Kopf ist noch immer das Lieblingsbetätigungsfeld der Wissenschaftler, die sich mit der 7 Tesla Bildgebung beschäftigen. Kopfbildgebung bestreitet ein „atemunabhängiges“ Abbildungsfeld, bei…

Photo

Artikel •

Dauerbrenner im Tumorboard

Lebermetastasen sind eine häufige Begleiterscheinung vieler Tumorerkrankungen. Bei der Behandlung schlägt die Stunde der interventionellen Radiologie.

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren