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Die Hämatologie und Onkologie bleibt ein extrem innovatives Fachgebiet
Einmal im Jahr bietet die gemeinsame Jahrestagung der deutschsprachigen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie den Teilnehmern einen Überblick über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse im Bereich der medikamentösen Therapie von Blutkrebserkrankungen und soliden Tumoren.
Besondere Herausforderungen ergeben sich aus zwei Tendenzen: Die Halbwertszeit des Wissens nimmt ab, und die Menge der zur Verfügung stehenden Daten nimmt rasant zu. Umso wichtiger wird der kollegiale und interdisziplinäre Austausch, der vom 29. September bis zum 3. Oktober 2017 in Stuttgart stattfindet.
Im Jahr 2013 wurde die Immuntherapie bei Krebs vom Fachmagazin Science als "Breakthrough of the year" bezeichnet. Gerade einmal gut vier Jahre später – Ende August 2017 – hat die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) erstmals ein genetisch manipuliertes, zelluläres Immuntherapeutikum für die Behandlung von B-Zell-akuter lymphatischer Leukämie bei Kindern und jungen Erwachsenen bis zum Alter von 25 Jahren zugelassen. Dabei beruht der Wirkmechanismus des neuen Arzneimittels auf dem Einsatz sogenannter CAR T-Zellen1.
CAR T-Zellen: Tumorzellen sichtbar machen
Prof. Dr. med. Lothar Kanz, diesjähriger Kongresspräsident und Ärztlicher Direktor der Abteilung für Innere Medizin II – Onkologie, Hämatologie, Immunologie, Rheumatologie und Pulmologie am Universitätsklinikum Tübingen, erläutert den Wirkmechanismus von CAR T-Zellen und hebt das Potenzial des Einsatzes in der Behandlung von Blutkrebserkrankungen und zukünftig eventuell auch von soliden Tumoren hervor. "Mit der CART-Technologie ist es möglich geworden, auf T-Lymphozyten der Patienten neue Rezeptoren (chimäre Antigenrezeptoren) zu exprimieren, die spezifische Zellstrukturen auf der Oberfläche von malignen Zellen erkennen können, und zwar unter Umgehung des T-Zell-Rezeptors und unabhängig vom HLA-Typ, bei Erhaltung einer hochpotenten, typischen T-Zell-Antwort nach Reaktion mit den Tumorzellen."
Dabei ist das Verfahren zur Herstellung von CAR T-Zellen äußerst komplex. Zunächst werden dem Patienten T-Lymphozyten aus dem Blut entnommen und mithilfe eines gentechnischen Eingriffs ein chimärer Antigenrezeptor eingeführt. In Form von CAR T-Zellen werden dem Patienten die veränderten T-Lymphozyten schließlich intravenös rückinfundiert. Diese sind dann in der Lage, spezifische Antigene auf den Krebszellen zu erkennen, mit diesen zu interagieren und eine charakteristische T-Zell-Immunantwort auszulösen, in deren Rahmen die Krebszellen zerstört werden. Bei der B-Zell-akuten lymphatischen Leukämie binden die CAR T-Zellen – in diesem Fall mit der Spezifikation "CTL019" – an das CD19-Antigen. Diese Therapie ist allerdings nicht ungefährlich: Ein lebensbedrohliches, sogenanntes Zytokin-Release-Syndrom, mit zum Teil schweren neurologischen Komplikationen, kann auftreten.
"Grundsätzlich", so Kanz, "besitzt die zelluläre Immuntherapie für weitere hämatologische und auch solide Malignome großes Potenzial." So konnten beispielsweise in einer Phase-I/II-Studie zur Sicherheit und Effektivität zum Einsatz von CAR T-Zellen, die sich gegen BCMA2 beim refraktären/rezidivierten Multiplen Myelom richten, vielversprechende Effekte gezeigt werden.
Zelluläre Immuntherapie: Teil eines differenzierten Werkzeugkastens
Dass die Zulassung eines Arzneimittels aus dem Bereich der zellulären Immuntherapie als ein weiterer Schritt in einer ganzen Reihe von innovativen Entwicklungen der letzten Dekaden zu verstehen ist, betont Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik für den Bereich Onkologie, Hämatologie und Knochenmarktransplantation mit Sektion Pneumologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Dazu gehören u. a. Tyrosinkinase-Inhibitoren, optimierte monoklonale Antikörper, bispezifische Antikörper, Toxin-gekoppelte Antikörper, Vakzinierungsstrategien oder Checkpoint-Inhibitoren. "Betrachtet man die verschiedenen Ansätze der medikamentösen Tumortherapie als Bestandteile eines sehr differenzierten Werkzeugkastens, stellt die zelluläre Immuntherapie in Form des Einsatzes von CAR T-Zellen sicherlich eines der spannendsten neuen Instrumente dar."
Medizinische Onkologie: Bedeutung des Fachgebiets nimmt zu
Bei der Klassifikation von Krebserkrankungen erleben wir einen Paradigmenwechsel von einer zellulär- und organpathologischen hin zu einer molekularpathologischen Perspektive
Carsten Bokemeyer
Durch die rasante Wissenszunahme im Bereich der Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen wird laut Bokemeyer die Bedeutung des Fachgebiets der Medizinischen Onkologie zunehmen. "Bei der Klassifikation von Krebserkrankungen erleben wir einen Paradigmenwechsel von einer zellulär- und organpathologischen hin zu einer molekularpathologischen Perspektive. Die Anforderungen an das Verständnis der Wirkmechanismen der neuen Arzneimittel steigen zunehmend. Zudem steigen auch die Anforderungen an ein komplexes und systemisches Nebenwirkungsmanagement." Aus diesem Grund gehören entsprechende Systemtherapien in die Hände von im Bereich der medikamentösen Tumortherapien speziell ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten.
Immuntherapie: Was kommt danach?
"Über eine mögliche 'Post-Immuntherapie-Ära' wird noch nicht aktiv spekuliert", so der Kongresspräsident. Vor allem gehe es derzeit um die Optimierung dieser vielversprechenden und zum Teil bereits sehr erfolgreichen Therapiemodalitäten. Darüber hinaus sei es evident, dass zukünftig insbesondere Kombinationsstrategien (mit Chemotherapie und/oder Bestrahlung, molekular gerichteten Therapien wie z.B. Tyrosinkinase-Inhibitoren sowie insbesondere auch Vakzinierungsansätzen) erfolgreich sein könnten.
In den kommenden Jahren werden wir vor eine Vielzahl von Herausforderungen gestellt", so Kanz. "Wir werden uns dringend mit Fragen der Finanzierbarkeit, insbesondere von Kombinationstherapien, auseinandersetzen müssen. Ebenfalls wird es sehr wichtig sein, die zügige Translation von wissenschaftlichen Erkenntnissen in den klinischen Behandlungsalltag zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels müssen wir eine qualitativ hochwertige medikamentöse Tumortherapie für ein zunehmend älter werdendes Patientenkollektiv sicherstellen und dabei insbesondere auch die Lebensqualität der behandelten Patienten berücksichtigen. Und: Fortschritt ist nie nur Selbstzweck. Das neue Wissen und die rasant wachsenden Mengen genomischer Daten (Tumorgenom-Sequenzierung, Proteomanalyse), verbunden mit den klinischen Daten/Therapiedaten der jeweiligen Patienten und Ergebnissen aus klinischen Studien mit den neuen Therapeutika, führen nur dann zum klinischen Fortschritt, wenn wir daraus immer auch sinnvolle Behandlungsstrategien für individuelle Behandlungspfade von Patientinnen und Patienten generieren", erläutert Kanz.
Ausführliche Informationen unter: http://www.haematologie-onkologie-2017.com
Quelle: DGHO
1 T-Lymphozyten (synonym: T-Zellen) mit chimären Antigenrezeptoren
2 B-cell maturation antigen
06.09.2017