News • Fehldiagnosen vermeiden
Zweitmeinung: Wann ist eine Operation wirklich notwendig?
„Wir müssen die Bandscheibe operieren“ oder „Sie brauchen ein neues Hüftgelenk“. Was nach einer eindeutigen Diagnose klingt, hinterlässt oft Unsicherheit beim Patienten. Ist die Operation wirklich nötig? Gibt es keine andere Lösung?
„Bei einem planbaren Eingriff empfehle ich jedem Patienten, vor seiner Zustimmung zur OP eine zweite Fachmeinung einzuholen“, erklärt Priv.-Doz. Dr. med. habil. Johannes Schauwecker. „Eine ärztliche Zweitmeinung lohnt sich natürlich nur, wenn der zweite Arzt über große Erfahrung in dem relevanten Fachgebiet verfügt. Dann aber kann sie eine Fehldiagnose vermeiden oder beim Patienten auch einfach Zweifel ausräumen und ein besseres Gefühl verschaffen“, rät der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie vom Orthopädiezentrum München Ost (OZMO).
Am Ende sollte der Patient den Arzt wählen, dem er vertraut und bei dem er sich wohlfühlt
Johannes Schauwecker
Dr. Schauwecker: „Vor allem bei größeren Eingriffen, wie zum Beispiel einer Gelenkersatzoperation, spielt die fachliche Zweitmeinung eine wichtige Rolle.“ In dieser Situation sei der Patient oft ratlos, ob die ihm empfohlene OP notwendig ist und auch wirklich Besserung bringt. „Die Zweifel des Patienten sind zum Teil berechtigt, denn häufig wird nur anhand des Röntgenbildes entschieden und zur Operation geraten“, erklärt Dr. Schauwecker. Auf den Bildern könne der Arzt aber zum Beispiel nur die Verschleißerscheinungen des Gelenks erkennen. „Entscheidendes Kriterium ist jedoch immer der Leidensdruck der Patienten. Ist der Leidensdruck noch gar nicht so hoch oder sind nicht-operative Therapiemöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft, dann kann eine OP zu voreilig und damit unnötig sein“, sagt Dr. Schauwecker. Es mache, so der renommierte Orthopäde, einen entscheidenden Unterschied, ob zum Beispiel eine Patientin eine 30jährige Tänzerin ist, die ihren Beruf ausüben muss, oder eine ältere Frau, die hauptsächlich mit ihrem Hund Gassi gehen möchte. „Für die ältere Dame wäre wahrscheinlich eine physikalische Therapie das bessere Mittel der Wahl.“ Jede dritte orthopädische Operation in Deutschland, so schätzen Experten, ist eigentlich nicht notwendig. Vor allem an Knie und Hüfte wird zu oft und zu schnell ein künstliches Gelenk eingesetzt. Auffällig ist auch, dass in manchen Regionen Deutschlands deutlich mehr operiert wird als in anderen Gebieten. Allein mit unterschiedlichen regionalen Erkrankungszahlen lassen sich diese Differenzen nicht erklären. Wichtig ist es deshalb für den betroffenen Patienten, den richtigen Arzt und Operateur zu finden.
Dr. Schauwecker: „Generell hat jeder Patient die freie Wahl, für welchen Arzt er sich entscheidet. Ein Patient soll jedoch genau erfragen, welche Erfahrung der Operateur hat und wie oft pro Jahr er die betreffende OP durchführt. Vorteilhaft ist, wenn der Arzt ein gemäß Endocert zertifizierter Hauptoperateur ist, also die entsprechende Routine und Kompetenz nachweisen kann. Das gewährleistet dem Patienten auch, dass sowohl der Operateur als auch die Klinik strenge Richtlinien und Standards einhalten.“ Hilfe bei der Arztsuche bietet zum Beispiel die unabhängige Weiße Liste der Bertelsmann Stiftung. Dr. Schauwecker: „Am Ende sollte der Patient den Arzt wählen, dem er vertraut und bei dem er sich wohlfühlt.“ Patienten, die sich eine fachliche Zweitmeinung einholen, müssen sich in der Regel nicht erneut allen Untersuchungen unterziehen, sondern bringen ihre Erstuntersuchungsergebnisse mit. Seit dem 2015 vom Bundestag verabschiedeten Versorgungsstärkungsgesetz hat jeder Patient ein Anrecht auf die Herausgabe aller Unterlagen und Ergebnisse des Erstbefundes. Auch Kosten entstehen dem Patienten in der Regel nicht, da das Einholen einer Zweitmeinung von den Krankenkassen übernommen wird - was auch in deren Interesse liegt, da dadurch eventuell eine Operation verhindert werden kann.
Allerdings gilt das Recht auf eine Zweitmeinung nur bei planbaren und „Menge-anfälligen“ Eingriffen. Gemeint sind damit Eingriffe, deren Anzahl in Deutschland auffällig steigt und bei denen nicht auszuschließen ist, dass finanzielle Motive hinter der OP-Empfehlung stecken. Typische Beispiele sind orthopädische Eingriffe wie Rücken-, Hüft- und Knie-OPs. Weiterhin rät Dr. Schauwecker den Patienten, sich über die Operationstechniken Gedanken zu machen und die verschiedenen Varianten mit dem Zweitmeinungsarzt zur besprechen. „Vor allem für eine Hüft-OP sollte man auf jeden Fall eine minimal-invasive Operation in Erwägung ziehen“, so Dr. Schauwecker. Der Grund: Laut einer Studie werden bei 50 Prozent aller Hüftgelenksersatzoperationen wichtige Muskeln durchtrennt. Im Gegensatz dazu ist die minimal-invasive Operationsmethode, die direkt von vorne erfolgt und AMIS-Zugang genannt wird, oft der einzige Weg, um ohne große Schäden zum Hüftgelenk zu gelangen. Vorteil für den Patienten: kleinerer Hautschnitt, weniger Blutverlust, keine Durchtrennung großer Muskelgruppen, schnellere Rehabilitation. Allerdings hat auch die minimal-invasive Operationstechnik einen Nachteil. Dr. Schauwecker: „Es ist nicht so einfach, das Implantat richtig zu positionieren, weil der Zugang kleiner ist. Daher sollte der minimal-invasive Zugang nur von einem erfahrenen Operateur angewendet werden.“
Quelle: Orthopädiezentrum München Ost (OZMO)
22.05.2018