Zu unreflektiert, zu wenig ausgebeutet
Die Übersichtsaufnahme des Abdomens in der Notaufnahme hat eine lange Tradition und gehört zum Standardrepertoire einer jeden Abteilung. „Allerdings wird sie leider häufig sehr unreflektiert eingesetzt“.
Prof. Dr. Johannes Wessling, radiologischer Chefarzt am Münsteraner Clemenshospital, erklärt in der FFF-Session über das konventionelle Röntgenbild zum Abdomen. Oftmals werden Patienten bereits schon bei leichteren Abdominalbeschwerden geröntgt. Beim akuten Abdomen haben hingegen andere Verfahren wie Sonographie und Computertomographie (CT) längst ihre diagnostische Überlegenheit bewiesen. Tatsächlich ist die Anzahl der Anforderungen von Übersichtsaufnahmen bei Patienten der Notaufnahme mit Abdominalsymptomatik eher rückläufig von 43 Prozent im Jahr 1972 auf 21 Prozent im Jahr 2007. Dennoch wird die Abdomenübersicht gerade von älteren Chirurgen oder Internisten häufig immer noch als Standard an- und eingefordert.
Wann sollte das Abdomen also überhaupt noch geröntgt werden?
„Auch wenn in den Leitlinien ein breites Spektrum von Erkrankungen genannt wird, muss man in der Entscheidungssituation fragen, welches Verfahren in der konkreten Situation tatsächlich hilft, die richtige Diagnose zu stellen oder aber eine Erkrankung ausreichend sicher auszuschließen. Das sollte sicherlich auch vor dem Hintergrund der zu erwartenden Strahlenexposition erfolgen. Unter diesen Gesichtspunkten reduziert sich das Spektrum aus meiner Sicht auf die Indikationen Darmverschluss (Ileus) und Nachweis röntgendichter Fremdkörper“, so Prof. Wessling. Beim Darmverschluss können die Röntgenbilder ein wichtiger Hinweisgeber sein, ob ein isolierter Dick- oder Dünndarmverschluss vorliegt. Dennoch kann auch hier in der Folge eine CT erforderlich sein, um gerade vor einer möglichen Operation die Ursache des Verschlusses erkennbar zu machen. Vielerorts wird die Übersichtsaufnahme auch zum Ausschluss einer Perforation gewünscht. Im Fall eines positiven Nachweises kann direkt eine Operation indiziert werden, ohne dass strahlungsintensivere Verfahren wie die CT eingesetzt werden müssen. Wessling schränkt ein, dass in etwa 20 Prozent der Fälle freie Luft übersehen wird. Umso wichtiger ist es, sich auch mit diskreten Zeichen des freien Luftnachweises in der Abdomen-Übersichtsaufnahme vertraut zu machen. „Es ist aber ebenso wichtig, auch die Grenzen eines Verfahrens gut zu kennen, um sich und andere nicht in falscher Sicherheit zu wiegen. Ins besondere beim akuten Abdomen hat sich neben der Sonographie die CT inzwischen klar durchgesetzt und sollte auch entsprechend früh indiziert werden“, rät der Professor.
Entscheidend ist die Expertise
Den angehenden Radiologen rät Wessling, die diagnostische Aussagekraft und die Limitationen des abdominellen Röntgens für die einzelnen Indikationen sehr genau zu studieren und im Hinblick auf den erzielbaren diagnostischen Zugewinn kritisch zu hinterfragen. Prof. Wessling verweist auf einige Bildzeichen wie das Dreiecks- oder Riglerzeichen, mit denen auch diskrete Mengen freier Luft zu entdecken sind und die helfen können, die persönliche Ausbeute aus den Bildern zu steigern. Aber nicht immer sind die Hinweise eindeutig und die Übergänge oftmals fließend, gibt der Radiologe zu: „Gern beschreibt man einen Subileus und ist sich eigentlich nicht ganz sicher, ob der Befund nun pathologisch ist oder nicht. Die Regel ‚Stones and Bones, Masses and Gasses‘ soll einen daran erinnern, dass es auf der Abdomenübersicht weitaus mehr und manchmal auch Kurioses zu entdecken gibt“, so Wessling abschließend.
Im Profil:
Prof. Dr. Johannes Wessling hat in seiner Heimatstadt Münster studiert und nach einem Praktischen Jahr in der Chirurgie des Beth Israel Medical Center in New York seine Facharztausbildung am Institut für Klinische Radiologie von Prof. W. Heindel absolviert. 2007 habilitiert er mit einer Arbeit über Protokolloptimierung und klinische Anwendung der virtuellen MSCT Kolonographie. 2008 übernimmt er die Leitung der onkologischen Bildgebung am Münsteraner Universitätsinstitut, dem er seit 2012 auch als stellvertretender Direktor vorsteht. Seit August 2013 ist er Chefarzt der Klinik für Radiologie am Clemenshospital Münster.
Veranstaltung
Raum Rieder
Mi., 28.05.2014,
15:45 - 18:15 Uhr
Das konventionelle Röntgenbild des Abdomens: Stellenwert und Befunde Teil II
Wessling J. /Münster
Session: FFF – Das konventionelle Röntgenbild – Abdomen
23.05.2014