Artikel • Akutes Abdomen

Keine voreiligen Schlüsse, bitte!

Per Definition handelt es sich beim akuten Abdomen um eine Notfallsituation, bei der wenig Zeit für diagnostische Maßnahmen bleibt, ein chirurgisches Eingreifen aufgrund der Ersteinschätzung der Krankheitsschwere jedoch wahrscheinlich erscheint.

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Ein Problem ist, dass im klinischen Alltag oft nicht scharf genug getrennt wird zwischen einem akuten Abdomen und banalen Bauchschmerzen, sagt Prof. Dr. Johannes Kirchner, Chefarzt am Zentrum für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Allgemeinen Krankenhaus Hagen.

„Das liegt auch daran, dass die Kollegen aus den nicht-radiologischen Fächern oft nicht mehr genügend im Ultraschall ausgebildet werden, sodass sie sich nicht zutrauen, eine fundierte Differenzialdiagnose nur mithilfe der Sonographie zu treffen,“ bedauert Kirchner. So erfolgt vielfach die intensivierte radiologische Erstabklärung einer abdominellen Symptomatik, die gar nicht benötigt wird. Bezüglich der Abdomenübersichtsaufnahme stehen hierbei überhöhte Erwartungen auf Seiten der Kliniker einer eher abwertenden Haltung von Seiten der Radiologen gegenüber, so Kirchner.

Seinen Vorträgen über die radiologische Diagnostik des akuten Abdomens stellt er daher gerne ein Zitat des Neusser Radiologen Prof. Dr. Bernhard Swart (1919 – 1997) voran, der in einer grundlegenden Arbeit zu dem Thema formulierte: „Sieht man vom Nachweis freier Luft als Zeichen der Perforation oder Ruptur im Magen-Darm-Kanal ab, sind fast alle röntgenologischen Kriterien in ihrer Aussagekraft beschränkt oder nur in einem bestimmten Zusammenhang pathognomonisch.“

Warum aber überhaupt eine konventionelle Übersichtsaufnahme machen, wenn die diagnostische Aussagekraft so eingeschränkt ist? Das fragen sich im Gegenzug gerade junge Radiologen. Die Antwort des Hagener Chefarztes: „Die Methode ist ungleich weniger strahlenbelastend und ressourcenverbrauchend als die Abdomen-CT und kann sozusagen als Filter für alle weiteren diagnostischen Schritte dienen. Vorausgesetzt natürlich, man weiß, was die konventionelle Technik genau kann. Dafür muss man wiederum die klinischen Zusammenhänge kennen.“

Dennoch glauben viele Chirurgen und Internisten, dass es mit der (häufig unzutreffenden) klinischen Angabe „akutes Abdomen“ und der Fragestellung „Freie Luft? Spiegelbildungen?“ ausreichend getan ist und räumen der Röntgendiagnostik einen zu hohen Stellenwert ein. In anderen Worten: Freie Luft im Abdomen oder Spiegelbildungen bedeuten noch lange nicht, dass eine Perforation oder ein mechanischer Verschluss vorliegen, die eine Operation erforderlich machen.

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Abb. 1: Abdomenübersichtsaufnahme in Rückenlage bei postoperativer (Z.n. Sakropexie) Darmparalyse: massiver Dünndarmmeteorismus, aber Colon ascendens und descendens flüssigkeitsgefüllt und Luft bis Rektum nachweisbar.

Röntgenzeichen wie „freie Luft“ oder „Spiegelbildung“ stellen an sich noch keine pathognomonischen Hinweise auf einen Ileus oder eine Perforation dar (s. Abb.1). Es gibt jedoch weiterführende Kriterien, um die Symptome näher zu klassifizieren. So deutet das Fehlen von Luft in einem distal gelegenen Darmabschnitt in Kontrast zu übermäßiger Luftansammlung in weiter proximal gelegenen Darmabschnitten – gegebenenfalls mit treppenförmigen Spiegelbildungen in diesen geblähten Arealen – auf einen Verschluss hin (s. Abb. 2). Als klassisches Beispiel wäre hier ein Ileus aufgrund eines Darmtumors im Bereich der linken Kolonflexur zu nennen. Ein starker Hinweis für eine Perforation im bereits fortgeschrittenen Stadium dagegen wäre das Vorliegen freier abdomineller Luft in Verbindung mit Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum.

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Abb.2: Abdomenübersichtsaufnahme in Linksseitenlage bei mechanischem Ileus: starker Dünndarmmeteorismus und „stehende Schlingen“ bei treppenförmigen Spiegelbildungen; fehlende Luftführung im Colon descendens.

Die seltenen spezifischen Röntgenzeichen werden dagegen gern übersehen – mit gelegentlich fatalen Folgen. Dazu zählen feine intramurale Gasansammlungen, die ihre Ursache beispielsweise in einer schweren gastrointestinalen Entzündung, der sogenannten Pneumatosis intestinalis, haben können. „Bei diesem Krankheitsbild ist es typisch, wenn Gase die entzündete Darmwand durchwandern und dann zu freier Luft im Abdomen führen“, erklärt Prof. Kirchner. „Wenn also ein Patient, der beispielsweise eine intensive Chemotherapie hinter sich hat, dieses Röntgensymptom aufweist, dann hat er eventuell eine schwere Darmentzündung mit Pneumatosis intestinalis und muss mit Nahrungskarenz und Antibiotika behandelt werden, darf jedoch keinesfalls einer explorativen Laparotomie unterzogen werden, die ihn in dieser Situation zusätzlich belastet.“

Damit man also nicht in solche schwerwiegenden diagnostischen Fallen tappt, gilt: Ohne klinische Informationen geht es nicht! Zur Not auch durch aktives Nachfragen. Damit man, wie eben Swart schon sagte, die Röntgenzeichen, die nur in einem bestimmten Zusammenhang pathognomonisch sind, auch richtig auswertet.


Profil:
Prof. Dr. Johannes Kirchner schloss seine Ausbildung zum Facharzt für Radiologie im Jahr 1998 am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main ab. In den darauffolgenden Jahren war er als Oberarzt an der Uniklinik Katholisches Marienhospital Herne tätig. 2001 habilitierte er an der Ruhr Universität Bochum und trat die Chefarztstelle in der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Akademischen Lehrkrankenhauses Klinikum Niederberg Velbert an. Seit August 2008 ist Kirchner Chefarzt des Zentrums für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Allgemeinen Krankenhaus Hagen. 2013 wurde er zum apl. Professor der Ruhr Universität Bochum ernannt.

Veranstaltungshinweis:
Raum: Tagungsraum 1 oder 2
Donnerstag, 03.11.2016, 14:10 -14:30 Uhr
Akutes Abdomen und Abdomenübersichtsaufnahme
Johannes Kirchner, Hagen
Session: Bildgebung des Abdomen für den radiologischen Nachwuchs

02.11.2016

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