Mit einer Kontrollraum-Funktion kann ein Mitarbeiter das System beobachten und eingreifen, wenn ein Patient „vom Weg abkommt“.

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Zimmer frei? Digitales Bettenmanagement verkürzt Wartezeiten

Derzeit testen Krankenhäuser des britischen National Health Service (NHS) digitale Bettenmanagement-Systeme, die den Patientendurchlauf verbessern sollen. Die ersten Resultate sind vielversprechend.

Bericht: Mark Nicholls

Digitale Lösungen, die den gesamten Krankenhausaufenthalt effizienter gestalten, etwa Patienten-Tracking und Echtzeit-Lokalisierung von Geräten, Objekten und Mitarbeitern, werden an zehn Standorten getestet. Bernard Quinn, Leiter des Bereichs Improvement Programmes der NHS Improvement, einer Organisationseinheit des NHS, äußert sich im Gespräch mit European Hospital besonders zuversichtlich über Technologien, die die Verfügbarkeit von Betten und den Patientendurchlauf beobachtet: „Jeden Winter erhält der NHS 3.000 bis 5.000 zusätzliche Betten, um den Andrang aufzufangen, aber nur selten analysieren wir, wie effizient wir eigentlich die 100.000 Betten nutzen, die bereits im System sind.“

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Bernard Quinn ist Leiter des Bereichs Improvement Programmes bei NHS.

Im Vereinigten Königreich ist die Anzahl der NHS-Betten seit 1987 um die Hälfte geschrumpft, aber die Bettenbelegung ist suboptimal und erreicht nur eine Quote von 95 %. Der Rückgang der Bettenanzahl entspricht einem weltweiten Trend, wie die jüngsten Zahlen aus den 32 OECD-Ländern belegen: 90 % berichten sinkende Bettenzahlen. Die USA, Dänemark und Schweden scheinen dabei mithilfe von digitalen Systemen ihre Betten besser zu nutzen – eine Tatsache, die den NHS, in dem täglich 351.000 Patienten versorgt werden, zur Optimierungsinitiativen veranlasst hat. Höchste Zeit, so Quinn, denn „seit den 1970ern haben Bereiche wie die Automobilbranche ihre Fertigung von personalintensiven auf digitale Systeme umgestellt, während wir die Bettenbelegung noch genau wie damals organisieren.“ Er ist überzeugt, dass digitales Bettenmanagement auch dazu beitragen wird, die Effizienz des Patientendurchlaufs innerhalb des Krankenhauses zu steigern. Daher testet der NHS die Software verschiedener Anbieter. 

Manche Bettenmanagement-Systeme legen den Schwerpunkt auf den Übergang von der Notfallaufnahme auf die Stationen, andere beziehen auch OPs, Radiologie und die Apotheke mit ein. Da in Großbritannien allgemein eine engere Verzahnung von Gesundheits- und Sozialwesen gewünscht wird, ist der NHS insbesondere an Systemen interessiert, die eine Brücke zwischen Krankenhaus und privater bzw. Heimpflege schlagen. Hierbei geht es unter anderem um Themen wie zu lange Verweildauern, die wiederum dazu führen, dass Betten von Patienten blockiert werden, die für den nächsten Schritt auf dem Versorgungspfad bereit sind.

Das System ermöglicht die Verfolgung des Patienten entlang des kompletten...
Das System ermöglicht die Verfolgung des Patienten entlang des kompletten Versorgungspfads.

Mit dem digitalen Wissen, das so angesammelt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, die richtige Person auf Anhieb in das richtige Bett zu bringen

Bernard Quinn

Digitale Bettenmanagement-Systeme verfolgen den Weg eines Patienten durch das Krankenhaus, wobei bestimmten Stationen eine Schlüsselfunktion zukommt. Ein solches System soll nicht nur überflüssige Telefongespräche und Rückfragen vermeiden, es soll vor allem den zuständigen Mitarbeitern einen Echtzeit-Überblick über den Status in der Notfallaufnahme, auf den Stationen, in der Physiotherapie, der Apotheke und den OPs geben, damit sie jederzeit wissen, wo sich ein Patient gerade befindet und was für den aktuellen Versorgungsschritt benötigt wird. „Wird ein solches System mit einer zentral gesteuerten Aufnahme-/Entlassungsfunktion verbunden, kann die Zuweisung der Patienten zu den verfügbaren Betten in einem gesamten Krankenhaus und sogar krankenhausübergreifend gemanagt werden“, so Quinn. „Mit dem digitalen Wissen, das so angesammelt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, die richtige Person auf Anhieb in das richtige Bett zu bringen. Dadurch verkürzen sich auch die Verzögerungen im Behandlungs- und Pflegeprozess, zu denen es in manuellen stationsübergreifenden Belegsystemen immer wieder kommt.“ 

Die Vorteile laut Anbieter sind beschleunigte Prozesse in der Notfallaufnahme, kürzere Verweildauer, bessere Passgenauigkeit zwischen Mitarbeiterqualifikationen und Patienten und Verkürzung des Bettenleerstands zwischen Patienten. Letzterer kann in manchen NHS-Krankenhäusern bis zu sechs Stunden betragen. Im Countess of Chester Hospital in Nordwest-England jedoch konnte diese Zeit mit testweisem Einsatz eines digitalen Echtzeit-Lokalisierungssystems (Real-time Locating System – RTLS) von vier auf 2,5 Stunden verkürzt werden. Für das Luton and Dunstable Hospital – schon mehrfach als das britische Krankenhaus mit den kürzesten Wartezeiten in der Notfallaufnahme ausgezeichnet – kommt dieses Ergebnis nicht überraschend, sei man doch selbst niemals in der Lage gewesen, die eigenen guten Resultate ohne ein digitales Hilfsmittel zu erreichen.

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RTL-Systeme basieren auf Tags für Patienten, Mitarbeiter und Geräten/Instrumente und Material. So wird sichergestellt, dass die Qualifikationen der Mitarbeiter den Bedürfnissen der Patienten entsprechen – und dass sich kein Mitarbeiter mehr auf die langwierige Suche nach Geräten und Material machen muss.

Das Royal Wolverhampton Hospital, das erste Krankenhaus, das das teure RTLS getestet hat, kam näher an die Zielvorgabe des NHS (mindestens 95 % der Patienten werden in maximal 4 Stunden komplett durch die Notfallversorgung geschleust) heran und musste in diesem Winter auch keine zusätzliche Stationen einrichten. Das RTLS liest Tags auf Patienten, Geräten und Objekten, aber auch auf Mitarbeiterausweisen. „Damit gewährleisten wir nicht nur, dass die Kenntnisse der Mitarbeiter den Erfordernissen der einzelnen Patienten entsprechen, es bedeutet auch, dass die Mitarbeiter nicht mehr im ganzen Haus herumrennen und Dekubitusmatratzen oder Pumpen suchen müssen, weil sie anhand des Inventar-Trackingsystems immer wissen, was sich gerade wo befindet.”

Manche Stationen stehen einem zentral gesteuerten Aufnahme- und Entlassungssystem  zunächst skeptisch gegenüber, da es ihre Autonomie einschränkt und sie nicht mehr steuern können, wer zu ihnen kommt und wer nicht. Andererseits aber müssen die Pflegekräfte keine logistischen und Reinigungsarbeiten mehr übernehmen und können sich auf ihre Kernkompetenz – die Pflege – konzentrieren. Quinn wünscht sich einen Erfahrungsaustausch über digitale Bettenmanagement-Systeme in anderen europäischen Krankenhäusern, damit er daraus lernen kann: „Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium, dem NHS England und NHS Digital werden wir analysieren, welcher Ansatz dieser Systeme der Beste ist, welche Optionen sie bieten, so dass sie auch für den NHS bezahlbar sind, und ob wir landesweite Spezifikationen erstellen müssen oder nicht. Im Moment gibt es unterschiedliche Systeme in unterschiedlichen Krankenhäusern und wir haben uns noch nicht auf einen Anforderungskatalog festgelegt.“

Angesichts fehlender wissenschaftlicher Forschung in diesem Bereich bemüht sich der NHS, hochwertige und aussagekräftige Daten über die Vorteile des digitalen Bettenmanagements zu sammeln. Für die NHS-Krankenhäuser, und da ist sich Quinn sicher, geht kein Weg an dem digitalen Bettentracking vorbei: „Das ist keine Frage mehr des ‚ob‘, sondern nur mehr eine Frage des ‚wann‘. Und wenn wir uns zeitnah mit diesem Thema auseinandersetzen, können wir Spezifikationen erstellen, die einen reibungslosen Patientendurchlauf durch das Krankenhaus sicherstellen.“


Profil:

Bernard Quinn ist als Leiter des Bereichs Improvement Programmes bei NHS Improvement für Verbesserungsinitiativen in der Notfallaufnahme, Wahlleistungen, OPs und Ambulanzpatienten aber auch im Bereich Digitalisierung und Patientendurchlauf verantwortlich. Vorher arbeitete er im Cabinet Office der britischen Regierung, war in mehreren Ausschüssen des Gesundheitswesens tätig und bekleidete bereits verschiedene Führungspositionen innerhalb des NHS.

18.04.2018

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