Radiologischer Rundumschlag
Wissenschaftliche Durchbrüche und menschliche Einbrüche
Burn-Out bei Radiologen, die wachsende Bedeutung bildgebender Verfahren bei psychischen Erkrankungen und Durchbrüche bei der Brustbildgebung waren Themen der Eröffnungspressekonferenz des European Congress of Radiology (ECR).
Bedeutung der Bildgebung im Feld der psychischen Erkrankungen nimmt zu
„In der Radiologie geht es um Patienten, nicht um Bilder“, unterstreicht Professor Paul Parizel, Präsident der European Society of Radiology (ESR) anlässlich der Eröffnung des 29. Europäischen Radiologenkongresses (European Congress of Radiology, ECR) in Wien. Neuheiten aus der Radiologie, aber auch die menschlichen Aspekte dieses Faches, standen im Mittelpunkt der Pressekonferenz zur Kongresseröffnung. So nimmt die Bedeutung der Bildgebung im Feld der psychischen Erkrankungen stetig zu, etwa bei Zwangsstörungen oder dem Tourette-Syndrom. Beide Erkrankungen lassen sich mit dem Modell eines Schaltkreises, der den Kortex und andere subcortikale Strukturen miteinander verbindet, dem sogenannten cortico-striatal-thalamo-corticalen (CSTC) Kreis, erklären. Die Symptome einer Zwangserkrankung zum Beispiel resultieren aus einer Hyperaktivität in manchen Teilen des Kreises und der Unfähigkeit anderer Teile, diese zu verhindern. Unterschiedliche bildgebende Methoden, unter anderem die Diffussions-Tensor-Bildgebung (DTI), die FDG-Positronen-Emission-Tomographie (FDG PET), die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und die Magnetresonanz-Spektroskopie liefern in-vivo-Daten von strukturellen und funktionalen Abnormitäten innerhalb des CSTC-Kreises. Diese äußern sich durch Auffälligkeiten im Volumen verschiedener Strukturen, deren Verbindungen, Perfusion oder Aktivierungsmustern.
„Diese Daten stützen nicht nur das Erklärungsmodell, sondern haben auch geholfen, es zu verfeinern und haben auch den Weg für ein verbessertes neurochirurgisches Targeting bereitet“, erklärt Professor Tarek Yousry, Leiter der Abteilung für Neuroradiologie und Neurophysik am University College London Hospital in England. Rund 40 bis 60 Prozent der Patienten sprechen nicht auf Standardtherapien an, was die Neurochirurgie zu einer bedeutenden Behandlungsoption macht. Die Magnetresonanztomographie ist dank ihrer überlegenen Fähigkeiten bei der Darstellung von anatomischen Strukturen für viele Neurochirurgen das Mittel der Wahl bei der Operationsplanung.
Mammographie: Neue Techniken, um "falsche" Erkrankungen besser zu ignorieren
Auch in der Brustbildgebung hat es in jüngster Zeit eine Reihe von Durchbrüchen gegeben. Professor Fiona J. Gilbert, Leiterin der Abteilung für Radiologie an der School of Clinical Medicine der University of Cambridge in England, zählt sie auf: digitale Mammographie, digitale Brusttomosynthese, automatisierte Brustgewebe-Dichtheitsmessung, kontrastverstärkte Mammographie, automatisierter Ultraschall der gesamten Brust, verkürzte MRT beim Screening und hyperpolarisierte MRT. Durch Risikostratifikation kann Screening selektiver angeboten werden und es können auch geeignetere Methoden als die Mammographie zum Einsatz kommen. „Durch eine zweckmäßigere Herangehensweise könnte es möglich werden, jene Krebserkrankungen zu finden, die einen Schaden verursachen und jene zu ignorieren, die der Patientin nie Probleme bereiten werden und besser gar nicht gefunden werden sollten“, bekräftigt Gilbert. Der Bildgebungs-Phänotyp einer Brustkrebserkrankung wird benutzt, um die Wahrscheinlichkeit festzustellen, ob eine Läsion invasiv ist oder sich nur vor Ort ausgebreitet hat, was sich wiederum auf die diagnostische Zugangsweise auswirkt.
Die morphologische Beschaffenheit gibt Aufschluss darüber wie aggressiv eine Krebserkrankung ist, und die funktionale Bildgebung wiederrum gibt einen Einblick in Durchblutung, Metabolismus und zelluläre Aktivität einer Läsion oder eines Organes. Funktonale Magnetresonanz-Bildgebungstechniken inkludieren die dynamisch-kontrastverstärkte MRT, die diffusions-gewichtete MRT sowie die blood oxygen level dependent MRT (bei der das Bildsignal abhängig vom Sauerstoffgehalt in den roten Blutkörperchen ist) und lassen Rückschlüsse auf Pathologie und pathologische Prozesse zu, die mit traditionellen bildgebenden Methoden nicht möglich sind. Die Molekulare Bildgebung, unter anderem die Positronen-Emissions-Tomographie PET) mittels der Verwendung von radioaktiven Markern, gibt Informationen über den Metabolismus und die Ausbreitung der Erkrankung.
Radiologen: Unzufriedenheit führt zu Burn-Out führt zu Depression
Nicht nur technische Neuerungen und Änderungen der Routinen sind in der Radiologie eine große Herausforderung, sondern auch Unzufriedenheit und Burn-Out. „Aktuelle US-Statistiken zeigen auf, dass die Gehälter in der Radiologie sinken und dass nur die Hälfte der Radiologen sich fair entlohnt fühlt und nochmals dieselbe Berufswahl treffen würde“, weiß Professor Mauricio Castillo, James H. Scatliff Distinguished Professor of Radiology und Abteilungsleiter der Neuroradiologie an der University of North Carolina in Chapel Hill/USA. Dies habe dazu geführt, dass Radiologen in hoher Zahl ihr eigentliches Berufsfeld verlassen und für die Industrie arbeiten. Auch haben Unzufriedenheit und Burn-Out in den USA zu einem starken Absinken der Bewerberzahlen für offene Stellen in der Radiologie geführt. 20 Prozent der Radiologen in Ausbildung sind klinisch depressiv, bei den fertig ausgebildeten Radiologen ist die Depressionsrate doppelt so hoch, bei sieben Prozent treten sogar Suizidgedanken auf.
„Betroffen sind vor allem auch Frauen, die diese Fachrichtung zunehmend für unvereinbar mit ihrem Lebensstil und einem Familienleben halten“, warnt Castillo. Nur 16 Prozent aller Radiologen sind weiblich, in der akademischen Welt haben radiologische Abteilungen den mitunter geringsten Frauenanteil, zudem verdienten Frauen rund ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen. Um die Radiologie vor allem für Frauen attraktiver zu machen, schlägt der US-Radiologe vor, Gehalts- sowie akademische Ungleichheiten abzuschaffen, Möglichkeiten einzurichten, um von zu Hause aus arbeiten zu können, sowie Teilzeitstellen bereit zu stellen – „auch für Männer“, wie er betont.
26.05.2017