Wenn Gefäßchirurgen nicht nur schneiden, sondern auch stenten

Therapeutische Eingriffe in der Gefäßmedizin werden heute nicht nur mit dem Skalpell ausgeführt, sondern auch völlig unblutig mit Drähten, Ballons und Stents. Diese Tendenz in Richtung Interventionen und endovaskuläre Therapien zeichnet sich auch in der Gefäßchirurgie ab.

Prof. Dr. Dittmar Böckler
Prof. Dr. Dittmar Böckler

Durch die Erweiterung des Leistungsspektrums um minimal-invasive Verfahren hat das Fach in den letzten zwei Jahrzehnten einen großen Entwicklungssprung vollzogen. Prof. Dr. Dittmar Böckler, Ärztlicher Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg, sieht den modernen Gefäßchirurgen sogar als idealen Therapeuten für Gefäßerkrankungen, der sowohl Operationen als auch Interventionen durchführt. Ob er mit dieser Meinung auf dem Deutschen Röntgenkongress wohl auf große Zustimmung stoßen wird?

Angesprochen auf diese etwas ketzerische Frage, reagiert Dittmar Böckler diplomatisch: „In Heidelberg pflegen wir ein exzellentes Verhältnis zu den Radiologen. Die Durchmischung verschiedener Fachdisziplinen bei der Behandlung von Patienten mit akuten und chronischen Gefäßerkrankungen ist keine Konkurrenzsituation, sondern als Ergänzung zu verstehen. Außerdem ist die Kooperation zwischen den Disziplinen immer standortspezifisch und häufig historisch gewachsen.“ Einen Großteil der Gefäßeingriffe, ob chirurgisch oder endovaskulär führt der Ärztliche Klinikdirektor jedoch selbst im OP-Saal durch. Neben seiner Facharztausbildung verfügt er auch über die Fachkunde in Strahlenschutz und Intervention und unterhält in seinem Hybrid-Operationssaal eine Angiografieanlage, denn „in einem modernen OP-Saal läuft heute nichts mehr ohne die Bildgebung.“

Gefäßchirurgen sind gut aufgestellt

Für Böckler stellen Interventionen auch eine Art von Chirurgie dar. Wie bei jedem invasiven Eingriff setzt ihre Durchführung sowohl fachliche als auch manuelle Kompetenz voraus. Deshalb gehören die endovaskulären Therapien heute auch zwingend zum festen Lehrplan eines jeden angehenden Gefäßchirurgen, so Böckler: „Wir sind in unserer Disziplin prinzipiell gut aufgestellt. In unserer Weiterbildungsordnung zum Facharzt ist klar vorgeschrieben, dass wir auch in der Lage sein müssen, endovaskulär zu arbeiten. Es ist also Teil unseres Weiterbildungscurriculums, nicht nur schneiden, sondern auch dilatieren und stenten zu können. Erkrankungen der Aorta etwa können meiner Meinung nach nur von Gefäßchirurgen umfassend behandelt werden.“

Ein behandelnder Arzt, der sowohl die klassische Chirurgie als auch die endovaskuläre Therapie beherrscht, bietet für die Behandlung von Gefäßerkrankungen gleich mehrere Vorteile, findet er: „Vor allem kann der Arzt den Patienten individueller beraten, weil er zwischen mehreren Maßnahmen wählen oder sie kombinieren kann. Dadurch bietet er immer individuell die bestmögliche Behandlung an und nicht nur die eine Methode, die er kann oder gelernt hat. Fachliche und technische Kompetenz sind natürlich Voraussetzung. Zudem ist ein endovaskulärer Gefäßchirurg in der Lage, intraoperativ seine therapeutische Strategie zu ändern, wenn er mit einem Verfahren keinen Erfolg erzielt oder den Patienten potenziell gefährdet. Des Weiteren ist es der Gefäßchirurg, der das Komplikationsmanagement beherrscht. Patientensicherheit ist in hohem Maße in einem entsprechend ausgestatteten Operationssaal gegeben.“

Da heutzutage eine Vielzahl von Patienten bereits einer Hybridoperation unterzogen werden, bei der in nur einer Sitzung sowohl eine klassische Operation als auch ein endovaskulärer Eingriff simultan in einem Narkoseverfahren direkt hintereinander durchgeführt werden, sei es ebenfalls ein Pluspunkt, wenn der Operateur in der Lage ist, beide Methoden simultan im OP durchzuführen.

Das Messer ist nicht schlechter

Zum Schluss bricht Prof. Böckler noch eine Lanze für die klassische Gefäßchirurgie. „Das Messer ist nicht schlechter als die minimal-invasiven Strategien,steht aber zunehmend in einem schlechtenRuf“, bedauert er. „Da herrscht einfalscher Lobbyismus.Selbstverständlich spielen kosmetischeAspekte und die schnelleren Rekonvaleszenz-Zeiten eine wichtige Rolle. Davon abgesehenhaben zahlreiche randomisierte Studien jedochgezeigt, dass die sogenannte offene, klassischeChirurgie im Vergleich zu invasiven und minimal-invasiven Verfahren langfristig die gleiche Qualität in den therapeutischen Ergebnisse aufweist.“ Gerade bei jungen, fitten Patienten sollte deshalb immer auch an die Chirurgie gedacht werden, rät der Spezialist: „Da einige interventionelle Techniken keine guten Langzeitergebnisse aufweisen, sollte bei Patienten, die eine noch hohe Lebenserwartung haben, die langfristig beste Therapiemodalität angewandt werden, und das ist in vielen Fällen immer noch die klassische  Gefäßchirurgie. Das gilt beispielweise für den Karotisstent im Vergleich zur Karotisendarterektomie, der offenen Ausschälplastik. Die Kunst in der Medizin ist es, für den einzelnen Patienten individuell und zugleich studienbasiert die richtige Methode anzubieten. Wenn ein Arzt beides, Operation und Intervention, kompetent anbieten kann, ist er der Richtige.“

 

Veranstaltungshinweis
Saal Wachsmann
Do, 17.5., 11:30 – 11:55 Uhr
Operieren Gefäßchirurgen noch?
Böckler D / Heidelberg
Session: Interventionelle
Radiologie – Quo vadis?

 

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Im Profil

Prof. Dr. Dittmar Böckler wurde 1966 in Erlangen geboren und studierte Medizin in seiner Heimatstadt sowie in Edinburgh, London und Kapstadt. Heute ist er Facharzt für Chirurgie, Gefäßchirurgie und Phlebologie undgilt als endovaskulärer Spezialist. Seine Schwerpunkte sind v.a. die Aortenerkrankungen, Halsschlagaderverengung (Carotisstenose) und die periphere arterielle Verschlusserkrankung.

2007 übernahm er die Ärztliche Direktion der Klinik für Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg, wo er sich neben Lehre und Forschung für ein strukturiertes Ausbildungscurriculum des medizinischen Nachwuchses engagiert. Er erhielt 2011 die ordentliche Professur für Chirurgie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und ist seitdem Lehrstuhlinhaber für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie.

09.05.2012

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