Wenn die CT ins Auge geht
An der Orbita kann es zu den unterschiedlichsten Krankheitsbildern kommen. In den meisten Fällen kann der Ophthalmologe bereits aufgrund der sichtbaren Veränderungen eine Diagnose stellen. Wenn es jedoch darum geht, mögliche Ursachen und Ausdehnungen von Raumforderungen hinter dem Augapfel zu erforschen, tritt der Radiologe auf den Plan.
Auf dem Campus Innenstadt des Klinikums der Universität München arbeitet die zweitgrößte Augenklinik Europas eng mit Prof. Dr. Ullrich G. Mueller-Lisse, Oberarzt am Institut für Klinische Radiologie, zusammen. Er und seine Kollegen führen im Monat um die 50 dedizierten CT-Untersuchungen rund um das Thema der Augenerkrankungen durch.
„Ein typisches Symptom für viele schwer wiegende Erkrankungen der Orbita ist der hervortretende Augapfel“, erklärt Prof. Müller-Lisse. „Ursachen dafür gibt es viele. Sie reichen von entzündlichen Krankheitsbildern über vaskuläre Anomalien, gut- oder bösartigen Tumoren bis hin zu Veränderungen, die durch die Nasennebenhöhlen oder die Nasenhaupthöhle entstehen.“
Eine Aufgabe der Radiologie ist es daher, herauszufinden, welche dieser Ursachen für die Proptosis tatsächlich verantwortlich ist und wo genau sich die Raumforderung in der Augenhöhle befindet. Zwei Fragen, die sich gegenseitig bedingen, sagt der Experte, denn: „Die Lage einer Raumforderung verrät viel über ihre Eigenschaften. Dazu muss man sich gut in den Kompartimenten der Orbita auskennen. Besonders schwierig zu diagnostizieren sind Veränderungen, die hinter dem Septum orbitale liegen. Neben dem Bulbus besteht die Augenhöhle in der Tiefe nämlich aus vielen weiteren kleinteiligen Strukturen.“
Darunter fallen die schrägen und die geraden Augenmuskeln, die wie ein Köcher oder Federball durch den Orbitatrichter laufen. Außerhalb und innerhalb der geraden Augenmuskeln befindet sich außerdem noch ein extra- und intrakonaler Raum, der selbst wiederum in verschiedene Strukturen eingeteilt ist. All diese Kompartimente muss der Radiologe bei seiner Befundung berücksichtigen. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er dabei dem Sehnerv, der eigentlich gar keiner ist, erklärt Müller-Lisse: „Der Sehnerv ist kein peripherer Nerv, sondern eine Verlängerung des Gehirns. Das ist wichtig für die Diagnostik, weil eine Veränderung am Sehnerv auf eine Erkrankung des Gehirns hinweist. Das kann eine Meningitis sein oder auch Tumorerkrankungen wie Meningeome oder Gliome.“
Oft lässt sich durch die CT bereits eine differenzierte Tumordiagnostik stellen, denn Meningeome und Gliome am Nervus opticus lassen sich gut durch Lokalisation und Form voneinander unterscheiden. „Ähnlich wie bei einem Schimmelpilz, der sich durch Mauerwerk frisst, kommt es bei den Hirnhauttumoren darüber hinaus häufig vor, dass sie durch den Schädelknochen hindurch wachsen, also z. B. von der mittleren Schädelgrube in die Orbita oder umgekehrt“, ergänzt der Radiologe. „Auch diese Fragestellung versuchen wir mit der Schnittbildgebung zu klären, um mögliche Therapieoptionen und Zugangswege abzuwägen.“
Am häufigsten kommt in der Orbita allerdings eine tumoröse Erkrankung vor, die eigentlich gar keine ist: Die endokrine Orbitapathie. Sie ist eine Manifestation einer antikörperbedingten Überfunktion der Schilddrüse. Die Antikörper setzen im Fettgewebe, in den geraden Augenmuskeln oder auch in den Lidhebermuskeln an und führen zu einer entzündungsbedingten Verdickung der Muskeln. Wenn eine konservative Behandlung fehlschlägt, muss die Augenmuskelschwellung chirurgisch behandelt werden. Dann dient die Radiologie zur präoperativen Planung, um abzuklären, wie ausgeprägt die Erkrankung ist und inwiefern der Sehnerv in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Häufig erlebt Prof. Müller-Lisse auch Gefäßanomalien: venöse oder arteriovenöse Malformationen, die einen tumorartigen Gefäßknoten hinter dem Augapfel bilden. „Die größte Kunst bei der Orbita-Diagnostik ist es, zwischen einem vaskulären und einem soliden Tumor zu unterscheiden“, meint er. „Wir setzen hier auf die Angiographie. Meist ergeben sich die entscheidenden Hinweise dabei aus der Lagebeziehung des Tumors zu den großen Blutgefäßen.“
Die CT leistet Prof. Müller-Lisse innerhalb der Orbita sehr gute Dienste. Sie bietet einen hervorragenden Kontrast zwischen Gefäßen, Muskeln sowie Bindegewebe zu Fettgewebe und dem Augapfel. Häufig reicht schon ein natives CT aus, um bestimmte Zuordnungen zu machen. „Das gilt jedoch nur für die Erwachsenenmedizin“, betont er. „Orbitaerkrankungen bei Kindern und Erwachsenen sind sehr unterschiedlich. In der Pädiatrie hilft häufig nur die MRT weiter, insbesondere bei vaskulären Läsionen.“
Weil die Augenlinse als besonders strahlenempfindlich gilt, gibt es immer wieder Diskussionen um den Einsatz der CT. „Die Befürchtungen der Linse einen irreparablen Schaden zuzufügen, sind unbegründet“, stellt Prof. Müller-Lisse klar. „Die Dosis, die es braucht, um eine Augenlinse zu trüben, liegt bei ungefähr 3 Gray und damit im Strahlentherapiebereich. Da sprechen wir von der Dosis-Oberliga, die mit einer modernen CT-Untersuchung des Auges nicht zu vergleichen ist.“
Im Profil
Prof. Dr. Ullrich Müller-Lisse, M.B.A wurde 1965 in Leverkusen geboren. Sein Medizinstudium führte ihn nach Bonn, Bristol und San Francisco. Er promovierte 1994 in München und ließ sich am Universitätsklinikum zum Facharzt für Radiologie ausbilden. Zwei Jahre lang forschte Müller-Lisse in der Sektion „Abdominal Imaging“ an der Universität von Kalifornien, San Francisco, bevor er 1999 an die LMU zurückkehrte. Ein weiterführendes Studium im Fach Gesundheitsmanagement in Deggendorf folgte. Seit 2002 arbeitet Müller-Lisse in München als Oberarzt am Institut für Klinische Radiologie. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Bereich MRT- und CT-Bildgebung des Urogenitaltrakts, der Lunge und des Kopf-Hals-Bereichs.
Bilderquelle: Prof. Müller-Lisse, Radiologie, Klinikum der Universität München
05.01.2012