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Virtuelle Realität unterstützt Rehabilitation und Angsttherapie in Spanien
Die Smartphone-Technologie eröffnet neue Perspektiven für die therapeutische Nutzung virtueller Realität (VR). In Spanien wurden ehrgeizige VR-Projekte auf die Gleise gesetzt – in erster Linie zur Verbesserung der Outcomes für Patienten mit eingeschränkter Mobilität und für Patienten mit Angststörungen.
Bericht: Mélisande Rouger
Können eine 3D-Brille und ein Smartphone die Reha von Patienten beschleunigen, die sich nicht mehr bewegen oder nicht mehr gehen können? Laut Charo Ortín, Ergotherapeutin und Leiterin der neurologischen Reha-Klinik FOREN, kann VR-Technologie bei der Rehabilitation von Patienten mit neurologisch bedingten Mobilitätsstörungen eine wichtige Rolle spielen: Sie kann die Reha beschleunigen und den Patienten im wahrsten Sinne des Wortes helfen, wieder auf die Füße zu kommen. „Die VR-Technologie fördert die Motivation und das Gefühl der Belohnung und verbessert so die Behandlungscompliance. Darüber hinaus hilft sie, Schmerzen zu lindern und sie verändert das Körpergefühl der Patienten“, erklärt sie.
2013 hat Ortín mit der Entwicklung ihrer eigenen Technik, der Foren-Methode begonnen, die auf dem Prinzip der Spiegelneuronen basiert. Diese Neuronen, die der Neurowissenschaftler Professor Rizzolatti von der Universität Parma entdeckte, befinden sich im Motorcortex. Sobald das Gehirn erkennt, dass jemand eine Handlung ausführt, feuern die Spiegelneuronen genauso, wie wenn das eigene Gehirn diese Handlung ausführen würde.
Ortín sah das Potenzial von Rizzolattis Entdeckung für ihre eigene Disziplin und schrieb sogar ihre Abschlussarbeit zu diesem Thema. Bei der Neurorehabilitation, die ihr vorschwebte, macht ein Therapeut die Bewegungen vor, damit das Gehirn des Patienten aktiviert. Ein, manchmal auch zwei weitere Mitarbeiter helfen dem Patienten, seine Extremitäten zu bewegen. Ortín erkannte jedoch schnell, dass dieses Verfahren viel zu kostspielig ist. Also machte sie sich daran, eine realisierbarere und effizientere Methode zu entwickeln. So kam sie auf die Idee, eine Visualisierung der Bewegung als Ausgangspunkt zu nehmen: Die virtuelle Realität schafft für die Spiegelneuronen des Patienten fast exakt das selbe Bild wie bei einer „echten“ Bewegung.
Unterstützung für das Gehirn
„Wenn die Patienten eine 3D-Brille tragen, sehen sie jemand anderes die Bewegungen ausführen, die zu ihrer Therapie gehören. Um den Effekt noch zu verstärken, trägt dieses virtuelle Person die gleiche Kleidung wie der Patient und hat dieselben physischen Eigenschaften, etwa Geschlecht, Größe und Gewicht. Darüber hinaus befindet sie sich in der identischen Umgebung, auch bei gleichen Lichtverhältnissen. Alles ist so gestaltet, dass der Patient denkt, er ist die Person, der die Bewegung ausführt. So geben wir dem Gehirn die von uns gewünschte Initialzündung“, erklärt Ortín. Alles, was die Therapeutin braucht, um die Neuronen zu aktivieren, ist ein Samsung S8 Smartphone, auf dem die Foren-App installiert ist, dazu Samsung Gear VR und Oculus-Linsen – und 30 Stunden Schulung.
Die Nutzung virtueller Realität in der Neurorehabilitation ist im Grunde nicht neu, jedoch wurden bisher immer computergenerierte Bilder verwendet. Die Foren-Methode, so das Urteil von Experten, verwendet jedoch reale Bilder, was die immersive Visualisierung der Übungen verbessert. In den vergangenen beiden Jahren wurden 40 Patienten mit dieser neuen Methode behandelt. Die Ergebnisse eines Pilotprojekts am Puerta del Hierro Krankenhaus in Madrid sind ausgezeichnet, insbesondere bei Patienten mit medullären Läsionen. Einige Patienten können sogar wieder gehen.
Ortín ist überzeugt, dass grundsätzlich alle Patienten mit eingeschränkter Mobilität von der Methode profitieren können, setzt jedoch Schwerpunkte: „Patienten mit Knochenbrüchen und postoperative Patienten erzielen schnellere und sichtbarere Ergebnisse. Daher werden wir unsere Forschung in diesem Jahr auf Traumapatienten und Patienten mit Sportverletzungen konzentrieren.“
Das italienische Arbeitsministerium hat bei der Universität Parma eine Multicenter-Studie in Auftrag gegeben, in der die Foren-Methode bei Arbeitsunfällen getestet werden soll. Professor Rizzolatti koordiniert die Studie, die im Laufe der kommenden Monate weitere Resultate zur Effizienz und Effektivität der Methode sammeln wird. „Die Foren-Methode stärkt den Patienten. Sie ist ein Hilfsmittel in einem langen und komplexen Rehabilitationsprozess“, so Ortíns Einschätzung.
Effiziente Konfrontationstechniken
Psious ist ein weiteres interessantes VR-Tool, das auf der iberischen Halbinsel zur Behandlung von Angststörungen und Phobien entwickelt wurde. Aktuell kommen bei der Behandlung von Angststörungen häufig Konfrontationstechniken zum Einsatz, d. h. der Patient wird unter der Anleitung eines Psychotherapeuten wiederholt, Schritt für Schritt und systematisch mit der Angst auslösenden Situation konfrontiert, sei es in einer realen Umgebung oder in der Phantasie des Patienten.
Virtual Reality Exposure Therapy (VRET) ist ebenso effizient wie die klassische Therapie, wird aber von den Patienten besser angenommen, erklärt der Psychologe Joan Miquel Gelabert Mir, Wissenschaftlicher Direktor von Psious. „Dank Psious kann der Therapeut eine Situation beliebig oft wiederholen, ohne die Einschränkungen, die häufig mit echten Situationen einhergehen, etwa Zugang oder Kosten. Angenommen ein Patient hat Angst vorm Fliegen, und der Moment, der die größte Angst auslöst, ist der Start. Mit Psious kann der Therapeut den Patienten so häufig wie erforderlich dieser Situation aussetzen, ohne die Praxis verlassen oder alle zwei Wochen ein Flugticket kaufen zu müssen.“
„Unsere Technologie gibt den Therapeuten Hilfsmittel an die Hand, die die Arbeit mit den Patienten einfacher und effizienter macht."
Joan Miquel Gelabert Mir
VRET ist das Ergebnis von mehr als 20 Jahre Forschung, und Studien haben eine Erfolgsquote von mehr als 80 % bei der Behandlung von Phobien und von 60 bis 70 % bei sonstigen Störungen gezeigt. Da die Ausstattung jedoch schwer und teuer ist, war die Methode bisher auf Forschungszentren und Universitäten beschränkt. Psious dagegen verwendet mobile Technologie, d. h. der Psychologe kann direkt in seiner Praxis auf VRET zugreifen. „Unsere Technologie gibt den Therapeuten Hilfsmittel an die Hand, die die Arbeit mit den Patienten einfacher und effizienter macht. Das System verbessert auch die Effizienz des Beurteilungsprozesses und der Intervention im Bereich psychische Gesundheit und macht das therapeutische Verfahren angenehmer für den Patienten“, so Gelabert.
Aktuell werden Studien, unter anderem am Vall d’Hebron Krankenhaus in Barcelona, durchgeführt, die die Effizienz des Ansatzes bei der Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in Erwachsenen prüfen sollen.
Profile:
Charo Ortín ist Ergotherapeutin und Doktorin der Neurorehabilitation. Als Erfinderin der Foren-Methode und Leiterin des neurologischen Reha-Zentrums FOREN koordiniert sie ein interdisziplinäres Team.
Joan Miquel Gelabert Mir ist Psychologe am Hospital QuirónSalud Palmaplanas und Associate Professor an der Universität der Balearen. Als Wissenschaftlicher Direktor von Psious ist er verantwortlich für die Forschung zum Einsatz von VR und für die Entwicklung virtueller Umgebungen zur Behandlung psychischer Störungen.
18.04.2018