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News • Studie hinterfragt

Strahlentherapie bei Brustkrebspatientinnen über 65: Experten fordern mehr Differenzierung

Kann die Strahlentherapie bei Patientinnen über 65 Jahre mit einem hormonrezeptorpositiven (HR+) Brusttumor (kleiner 3 cm) wegfallen?

Eine aktuelle Studie1 zeigte keinen Vorteil im Hinblick auf das Gesamtüberleben. Dennoch gibt die Studie aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) durchaus eine Rationale für die Strahlentherapie bei dieser Patientinnengruppe, denn die Rezidivrate war ohne die zusätzliche Strahlentherapie erhöht. Bei Tumoren mit niedrigem Rezeptorstatus betrug sie sogar fast 19%. Die DEGRO warnt vor Verunsicherung der Patientinnen durch eine zu einfache Studieninterpretation und fordert eine differenziertere Risiko-Nutzen-Betrachtung. 

Die Rolle der Strahlentherapie bei Patientinnen über 65 Jahre mit einem hormonrezeptorpositiven Brustkarzinom unter einer Tumorgröße von 3 cm wird derzeit kritisch diskutiert. Dies ist auf eine kürzlich publizierte Studie im „New England Journal of Medicine“1 zurückzuführen, bei der in dieser Patientengruppe eine adjuvante Hormontherapie mit Tamoxifen über 10 Jahre randomisiert mit einer zusätzlichen Strahlentherapie verglichen wurde. Die lokale Rezidivrate innerhalb der Brust war mit 9,5% fast zehnmal so hoch wie mit zusätzlicher Strahlentherapie mit 0,9%. Dieser Vorteil wirkte sich allerdings nicht auf das Überleben der Patientinnen aus. Die Autoren folgern aus ihren Ergebnissen, dass auf eine Strahlentherapie bei dieser Patientinnengruppe verzichtet werden kann, falls eine Hormontherapie durchgeführt wird.

Es macht einen großen Unterschied, ob ich, wenn ich mit 65 Jahren an Brustkrebs erkranke, in den 20 Jahren, die mir [...] an Lebenszeit bleiben, erneut einen Tumor bekomme und mich erneut einer Krebstherapie unterziehen muss oder nicht

Stephanie Combs

Diese Aussage wird derzeit intensiv diskutiert, allerdings warnt die DEGRO davor, diese Studienergebnisse ohne kritische Überprüfung zu verallgemeinern. 

Die Rate an Lokalrezidiven hatte mit 9,6% fast den Schwellenwert von 10% erreicht, den die Autorengruppe selbst als inakzeptabel angeführt haben. Dabei sollte man die Dynamik der Entwicklung von Lokalrezidiven nicht unterschätzen, ihre Häufigkeit hatte sich im nicht bestrahlten Arm von 4,8% auf 9,5% nahezu verdoppelt. „Daraus können wir schlussfolgern, dass sie in den nächsten fünf Jahren vermutlich auf 13-14% ansteigen wird. Im Strahlentherapiearm ist hingegen mit 0,7 auf 0,9% kaum eine Dynamik im Anstieg zu vermerken“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Rainer Fietkau, Erlangen, Past-Präsident der DEGRO. „Wer mit 65 Jahren erkrankt, hat bei der heutigen Lebenserwartung ohne zusätzliche Strahlentherapie ein nennenswertes Risiko, ein Rezidiv zu erleiden. Dies entspricht übrigens auch den Daten einer anderen großen Studie2 zum Verzicht auf eine Strahlentherapie in diesem Patientenkollektiv.“ 

Gerade für ältere Betroffene habe die Rezidivrate – und damit auch die Lebensqualität – einen besonderen Stellenwert. „Es macht einen großen Unterschied, ob ich, wenn ich mit 65 Jahren an Brustkrebs erkranke, in den 20 Jahren, die mir gemäß aktueller Statistik an Lebenszeit bleiben, erneut einen Tumor bekomme und mich erneut einer Krebstherapie unterziehen muss oder nicht“, ergänzt Univ.-Prof. Dr. Stephanie Combs, München, Pressesprecherin der DEGRO. Natürlich könne man im Hinblick auf die Lebensqualität anführen, dass eine strahlentherapeutische Behandlung per se mit einer Einschränkung der Lebensqualität einhergehe. Doch das ist heutzutage kaum der Fall: Während früher eine Vollbestrahlung der Brust über 5-6 Wochen durchgeführt wurde, ist heute die nebenwirkungsarme Teilbrustbestrahlung über einen Zeitraum von 5-10 Tagen bei diesen Tumoren Therapiestandard.

Wir möchten keine Therapien gegeneinander ausspielen. [...] Die pauschale Interpretation der Studie ‚Strahlentherapie bringt nichts‘ halten wir hingegen für gefährlich

Rainer Fietkau

Aus Sicht der DEGRO sei es daher wichtig, zunächst genauere Subgruppenanalysen durchzuführen und bei der Interpretation der neuen Studiendaten zu differenzieren. So ergab die aktuelle Studie auch, dass die Rate an Lokalrezidiven nach 10 Jahren bei Patientinnen mit einem niedrigen Rezeptorstatus sogar fast 19% betrug. Bei diesen Patientinnen sollte also keinesfalls auf eine Bestrahlung verzichtet werden. „Die wichtigste Frage wird letztlich von der Studie nicht beantwortet: Welche eindeutigen Kriterien gibt es, bei denen auf eine Strahlentherapie verzichtet werden kann? Hier sind unbedingt weitere Subgruppenanalyse erforderlich“, erläutert der Erlanger Radioonkologe Prof. Fietkau. 

So könne umgekehrt auch die Frage gestellt werden, ob nicht bei Patientinnen mit einem Tumor < 1 cm auf die Hormontherapie verzichtet werden kann und stattdessen besser eine Bestrahlung von 5-10 Tagen durchgeführt werden sollte, wie dies in zwei kürzlich publizierten Editorials diskutiert wird.3,4 Es gibt mehrere randomisierte Studien, die dieses Vorgehen unterstützen.5,6 Auch kommt es unter Hormontherapie häufig zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Immerhin müssen die Patientinnen die antihormonelle Therapie über einen Zeitraum von 10 Jahren täglich einnehmen. Dies führte in den USA zu einer Unterbrechung der Hormontherapie bei einem Drittel der Patientinnen7, wodurch das Rezidivrisiko steigt. „Wir möchten keine Therapien gegeneinander ausspielen. Es sollte aber zunächst erforscht werden, welche Patientinnengruppe von welcher Therapie am meisten profitiert, um passgenaue, personalisierte Behandlungswege anzubieten. Die pauschale Interpretation der Studie ‚Strahlentherapie bringt nichts‘ halten wir hingegen für gefährlich“, erklärt Prof. Fietkau. 

Die Experten der DEGRO verweisen darauf, dass derzeit weitere Studien laufen, die insbesondere bei bestimmten pathohistologischen Veränderungen bzw. einer 16-Gensignatur einen Verzicht auf Strahlentherapie überprüfen.8 Bislang liegen hier nur retrospektive Daten vor, prospektive Studien laufen. Genauso wie bei der Strahlentherapie sollten entsprechende Untersuchungen auch bei der Hormontherapie erfolgen.4 Bis dahin sollten die Ergebnisse der aktuellen Studie nicht unkritisch übernommen werden, sondern die Patientinnen sollten von den behandelnden Gynäkologen und von Strahlentherapeuten gemeinsam über die Vor- und Nachteile eines Verzichts auf eine Strahlentherapie und/oder der Hormontherapie beraten werden. Nur so können die Patientinnen eine datenbasierte und individualisierte Entscheidung treffen. 


Literatur: 

  1. Kunkler et al.: Breast-Conserving Surgery with or without Irradiation in Early Breast Cancer. New England Journal of Medicine 2023
  2. Hughes et al.: Lumpectomy plus tamoxifen with or without irradiation in women age 70 years or older with early breast cancer: long-term follow-up of CALGB 9343. Journal of Clinical Oncology 2013 
  3. Naoum GE, Taghian AG: Endocrine Treatment for 5 Years or Radiation for 5 Days for Patients With Early Breast Cancer Older Than 65 Years: Can We Do It Right? Journal of Clinical Oncology 2022 
  4. Torres MA: POLARized Risk for Local Recurrence on the Basis of Tumor Biology: Is It That Simple? Journal of Clinical Oncology 2023 
  5. Fisher et al.: National Surgical Adjuvant Breast and Bowel Project. Tamoxifen, radiation therapy, or both for prevention of ipsilateral breast tumor recurrence after lumpectomy in women with invasive breast cancers of one centimeter or less. Journal of Clinical Oncology 2002 
  6. Blamey et al.: Radiotherapy or tamoxifen after conserving surgery for breast cancers of excellent prognosis: British Association of Surgical Oncology (BASO) II trial. European Journal of Cancer. 2013 
  7. Berkowitz et al.: How patients experience endocrine therapy for breast cancer: an online survey of side effects, adherence, and medical team support. Journal of Cancer Survivorship 2021 
  8. Sjöström et al.: Development and Validation of a Genomic Profile for the Omission of Local Adjuvant Radiation in Breast Cancer. Journal of Clinical Oncology 2023


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie

05.04.2023

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