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Artikel • Kardiologie
Stentgraft für den Aortenbogen öffnet neue Therapiepfade
Ein neuer Stentgraft kann endovaskulär in Regionen der Aorta eingebracht werden, in denen diese schonende Methode bislang nicht möglich war.
Bericht: Michael Krassnitzer
Erkrankungen der Aorta können unbehandelt zu einer Ruptur mit schwerer Blutung oder einem Schlaganfall führen. Zur Behandlung ist oftmals eine Operation am offenen Brustkorb nötig, die speziell für ältere Patienten eine große Belastung darstellt und mit einer hohen Mortalität verbunden ist. Bei Patienten mit schweren Co-Erkrankungen ist die offene Operation gar nicht erst möglich, weil das mit der OP verbundene Risiko größer ist als die Gefahr, die von der Erkrankung ausgeht. Die schonendere Therapiemethode, der wenig invasive Eingriff über die Leistenarterie, war bisher nur für bestimmte Bereiche der Aorta, beispielsweise die Bauchaorta, möglich. Der Aortenbogen, wo die Arterien für das Gehirn und die Arme von der Aorta abzweigen, war mit den bisherigen konventionellen Stents nicht behandelbar. Seit Kurzem aber gibt es einen neuartigen Stentgraft, der auch an diesen Stellen auf endovaskulärem Weg eingesetzt werden kann.
Die Belastung für den Patienten ist wesentlich geringer als bei der offenen Operation und der Patient erholt sich wesentlich schneller
Martin Funovics
„Bei dieser Prothese handelt sich um ein einziges tubuläres Stück mit geschickt angelegten Fenstern, das sich wie eine Spiralfeder automatisch an die Aorta anlegt und die den Blutfluss in die Seitenäste der Aorta erhalten“, erklärt Assoc. Prof. Dr. Martin Funovics von der Klinischen Abteilung für Kardiovaskuläre und Interventionelle Radiologie der Medizinischen Universität Wien. Die Form der Prothese wird individuell auf Basis von CT-Bildern der Aorta eruiert. Vor der Implantation wird die Form im Computermodell mit simuliertem Blutstrom und Pulsationen ausprobiert. Daraufhin wird die Prothese mit einem 3D-Drucker ausgedruckt und mehrfach getestet, bevor sie schließlich mittels einem etwa zwei Stunden dauernden Eingriff über die Leiste auf endovaskulärem Weg eingesetzt wird. „Die Belastung für den Patienten ist wesentlich geringer als bei der offenen Operation und der Patient erholt sich wesentlich schneller“, betont Funovics.
In Europa wurden bislang erst wenige dieser neuen Prothesen eingesetzt. In Japan, wo der Stentgraft entwickelt wurde, wurden bereits rund 2.000 Stück des Najuta®-Stentgraftsystems implantiert. „Bei den japanischen Fällen war die Komplikationsrate im Vergleich zu den konventionellen Stents und den offenen Operationen sehr gering“, berichtet Funovics. Die Operationen, die in Wien in enger Zusammenarbeit zwischen Herzchirurgie, Gefäßchirurgie, Anästhesie, und Radiologie durchgeführt wurden, waren allesamt erfolgreich. Die Patienten konnten nach wenigen Tagen wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Diese neue Therapie gibt nun auch Patienten mit Aortaerkrankungen, die bisher als nicht operabel gegolten haben, die Aussicht auf eine Behandlungsmöglichkeit. Das betrifft vor allem Patienten, für die bisher aufgrund ihres Alters oder aufgrund von zusätzlichen Erkrankungen das Risiko für eine offene Operation zu hoch erschien. Aber auch für Patienten, die nach einer erfolgreichen Operation nach Jahren erneut an einem nachgeschalteten Aortensegment erkranken, ist die neue Therapieform eine Option.
In Zukunft könnte die Methode auch auf jüngere Patienten ausgedehnt werden. Dazu freilich muss man auf entsprechende Langzeitdaten warten. „Je jünger ein Patient ist, desto länger muss der Stentgraft halten“, räumt Funovics ein und vermutet: „Bei einem jungen Patienten, der noch eine lange Lebenserwartung hat und eine offene Operation gut verträgt, weil er kerngesund ist, wird man auch künftig auf die offene Operation setzen.“
Profil:
Assoc. Prof. Dr. Martin Funovics ist an der Klinischen Abteilung für Kardiovaskuläre und Interventionelle Radiologie der Medizinischen Universität Wien tätig. Der interventionelle Radiologe, der in Wien studierte und auch seine Facharztausbildung absolvierte, ist ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Kontrastmittel. So entwickelte er ein Rezeptor-spezifisches, auf Nanoteilchen basierendes MRT-Kontrastmittel. Das entsprechende Know-How holte er sich bei einem 18-monatigen Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School in Boston.
28.09.2021