Sind die Grenzen des Nötigen und Möglichen erreicht?

Im Brustkrebsmonat Oktober steht das Mammographie-Screening Programm verstärkt im Licht der Öffentlichkeit – und damit die Fragen nach Sinn und Nutzen sowie Risiken und Perspektiven. Mit Prof. Dr. Walter Heindel, Leiter des Referenzzentrums Mammographie am Universitätsklinikum Münster, referierte einer der renommiertesten Kenner des Programms auf dem diesjährigen RKR über den aktuellen Stand und die neuesten Erkenntnisse. Dabei wird es nicht allein um die aktuelle Datenlage gehen, sondern vielmehr um die Frage, ob wirklich alle potentiell gefährdeten Frauen durch das Netz der Früherkennung aufgefangen werden.

Prof. Dr. Walter Heindel
Prof. Dr. Walter Heindel

„Fünf Jahre nach Programmstart liegen uns nun erstmals valide Daten vor, die belegen, dass durch das Mammographie-Screening insbesondere kleine und damit gut behandelbare Karzinome gefunden werden. Das Brustkrebs-Früherkennungsprogramm ermöglicht damit eine Heilung der Erkrankung bei vielen Frauen, die diesen Tumor sonst erst viel später bemerkt hatten, zu einem Zeitpunkt, bei dem eine eingreifendere Therapie notwendig würde und unter Umständen auch kein kurativer Ansatz mehr möglich ist. Mehr als 30 Prozent der Tumore, die wir im Rahmen der Früherkennung endecken, sind kleiner als zehn Millimeter. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Epidemiologischen Krebsregister Nordrhein-Westfalen konnten wir für den Regierungsbezirk Münster außerdem wissenschaftlich belegen, dass durch die Einführung des Screening-Programms in der Bevölkerung eine Inzidenzsteigerung eingetreten ist. Diese Zahlen zeigen uns, dass das Programm funktioniert“, so Prof. Heindel. Des Weiteren wurden die Münsteraner Screening-Fälle im Krebsregister mit denen verglichen, die außerhalb des Screenings diagnostiziert wurden. Hier wurden vor allem zwei Aspekte sichtbar: Die Tumore, die im Rahmen des Screenings erkannt wurden sind statistisch signifikant kleiner und – als Konsequenz daraus – ist die therapeutische Prognose dieser Befunde erheblich besser.
Was das Thema falsch-positive Befunde betrifft, so sieht der Experte vor allem Definitionsbedarf: „Als falsch-positiv werden häufig unzutreffender Weise die auffälligen Befunde bezeichnet. Hier muss jedoch eine scharfe Trennung stattfinden. Ein auffälliger Befund liegt in der Regel bei sechs von 100 Frauen vor, die dann zur weiteren Abklärung erneut einbestellt werden. Bei vier von diesen sechs Frauen reicht eine weitere bildgebende Diagnostik zum Beispiel durch Ultraschall, um ein Karzinom auszuschließen; bei durchschnittlich zwei Frauen muss zusätzlich eine Biopsie durchgeführt werden. Statistisch betrachtet wird bei einer der biopsierten Teilnehmerinnen ein Karzinom bestätigt. Solange wir also in der Abklärungsphase sind, können wir noch nicht von einem falsch-positiven Befund sprechen, denn eine Diagnose wurde zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gestellt. Die Abklärungsphase ist für die Frauen natürlich eine dramatische Situation, weswegen der diagnostische Prozess innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen sein muss.“
Ein Thema, dem man sich – auch aufgrund der neuesten Erkenntnisse – stellen muss, ist laut Heindel die Frage, ob die derzeitige Beschränkung auf Frauen zwischen 50 und 69 Jahren noch immer berechtigt ist. Denn aktuelle, wissenschaftliche Auswertungen aus dem schwedischen Screening-Programm zeigen, dass auch in der Altersgruppe zwischen 40 und 49 Jahren ein relevanter positiver Effekt zu verzeichnen ist. „In Deutschland gibt es hierzu sehr unterschiedliche Meinungen, das Bundesamt für Strahlenschutz hat die dazu notwendige Nutzen-Risiko-Analyse veröffentlicht; ich glaube, das wir in der Zukunft über eine Herabsetzung des Screening-Alters auf 45 Jahren nach- denken sollten“, ergänzt der Leiter des Referenzzentrums.
Eine weitere Grenze, die es zu überwinden gilt, ist die Regelung der Früherkennung bei Frauen mit einem mittleren Brustkrebsrisiko. Während die sogenannte „intensivierte Früherkennung“ bei Hochrisikopatientinnen, also bei Frauen mit einem genetischen Risiko von über 30 Prozent, bereits gut etabliert ist, sind Frauen mit einem mittleren Risiko bisher eher schlecht erfasst. Von einem mittleren Risiko spricht man dabei, wenn die Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken, zwischen 15 und 30 Prozent liegt. „Für diese Frauen haben wir in Deutschland kein gutes Konzept. Hier bräuchten wir möglicherweise ebenfalls eine einjährige Kontrolle, entsprechende Rahmenbedingungen sind jedoch nicht vorhanden. In der Differenzierung zwischen Normal-, Intermediär- und Hochrisiko sehe ich darum eine wichtige Aufgabe für die Zukunft“, schließt Heindel.
 

30.10.2010

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