Ein Mann hält sein Smartphone in der Hand, für einen Videocall mit seiner...

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News • Digitale Gesundheitsversorgung

Schrittmacher-Implantat: Online einstellen statt Klinikbesuch

Chronische Erkrankungen wie Herzerkrankungen, Hörverlust oder neurodegenerative Erkrankungen nehmen weltweit zu und stellen Patienten sowie Gesundheitssysteme vor enorme Herausforderungen.

Aktive Implantate wie Herz- oder Hirnschrittmacher können Behandlungsergebnisse verbessern. Bislang war die Nachsorge dieser Systeme oft mit aufwändigen Klinikbesuchen verbunden – eine Herausforderung für Patienten mit eingeschränkter Mobilität. Eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Tübingen mit internationalen Partnern zeigt nun, dass die Einstellung solcher aktiven Implantate auch zuverlässig und effektiv aus der Ferne über das Internet erfolgen kann – ein wichtiger Schritt in Richtung einer patientenzentrierten, digitalen Gesundheitsversorgung. 

Die Wissenschaftler stellen ihre Erkenntnisse im Fachjournal Communications Medicine vor.

Mit der Fernanpassung aktiver Implantate möchten wir höchste Behandlungsqualität mit maximalem Komfort für Menschen mit den unterschiedlichsten Einschränkungen ermöglichen

Alireza Gharabaghi

Die moderne Medizin hat mit aktiven Implantaten erhebliche Fortschritte erzielt, die die Lebensqualität von Millionen von Menschen weltweit verbessern. Dazu zählen Herzschrittmacher, die die Herzfunktion unterstützen, Vagusnerv-Stimulatoren bei Epilepsie, Cochlea-Implantate, die Gehörlosen das Hören ermöglichen, sowie Hirnschrittmacher, die bei Bewegungsstörungen die Gehirnfunktion modulieren und vielen Betroffenen wieder ein selbstständiges Leben ermöglichen. Doch der Erfolg solcher Therapien hängt nicht allein von der Technologie ab, sondern auch von der regelmäßigen Nachsorge und Feinjustierung der Geräte, die häufig in spezialisierten Kliniken erfolgen muss. Für viele Patienten ist die regelmäßige Nachsorge jedoch belastend: Anstrengende Reisen, lange Wartezeiten und eingeschränkte Mobilität erschweren den Zugang zur Versorgung. Besonders in ländlichen Regionen und bei älteren Menschen mit chronischen Erkrankungen stoßen konventionelle Versorgungsmodelle oft an ihre Grenzen. 

„Mit der Fernanpassung aktiver Implantate möchten wir höchste Behandlungsqualität mit maximalem Komfort für Menschen mit den unterschiedlichsten Einschränkungen ermöglichen“, erklärt Prof. Dr. Alireza Gharabaghi, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuromodulation und Neurotechnologie, der die weltweite Studie zusammen mit 17 weiteren spezialisierten Zentren für die Behandlung von Parkinson durchgeführt hat.

In der Studie wurden Patienten mit Parkinson und einem Schrittmacher zur tiefen Hirnstimulation untersucht. Mithilfe einer Smartwatch wurde in den ersten drei Monaten nach der OP die Beweglichkeit gemessen, diese ist bei Parkinson häufig eingeschränkt. Zusätzlich erhielten Patienten täglich kurze Nachrichten auf das Smartphone, um ihr Befinden zu erfragen. Bei Bedarf konnten sie einen Termin mit den behandelnden Ärzten vereinbaren, der als Videobesprechung über das Smartphone durchgeführt wurde. Stellte sich dabei heraus, dass der Schrittmacher angepasst werden musste, konnten die Patienten ihr Gerät vorübergehend freischalten, sodass die Behandelnden die Einstellungen aus der Ferne anpassen konnten. „Mit dieser Technologie können wir den Zugang zur Versorgung verbessern und unseren Patienten eine deutlich angenehmere Betreuung bieten – insbesondere bei chronischen Erkrankungen, die eine regelmäßige Nachsorge erfordern“, erläutert Gharabaghi. 

Die Studienteilnehmenden waren mit den technischen Möglichkeiten sehr zufrieden. Besonders die kurzen Behandlungszeiten von durchschnittlich einer Viertelstunde trugen maßgeblich zur hohen Akzeptanz bei. Für 84% der Patienten war die Technik einfach zu nutzen, 96% gaben an, sie erneut verwenden zu wollen. Ein weiterer Vorteil: Das Ansprechen auf die Therapie erfolgte im Durchschnitt zwei Wochen früher als in der Vergleichsgruppe, deren Teilnehmer eine durchschnittliche Anreise von mehr als 100 Kilometern zu den Anpassungsterminen in der Klinik auf sich nehmen mussten. Eine relevante Verbesserung der Lebensqualität stellte sich sogar zwei Monate früher ein. Auch langfristig konnten die gleichen Ergebnisse erzielt werden wie mit den traditionellen Anpassungen in der Klinik „Natürlich handelt es sich bei diesen technischen Möglichkeiten um ein zusätzliches Angebot. Wer weiterhin lieber in die Klinik kommen möchte, kann dies selbstverständlich tun“, betont Prof. Dr. Daniel Weiss, Leiter der Ambulanz für Tiefe Hirnstimulation am Universitätsklinikum Tübingen. 

Die Fernanpassung macht es zudem möglich, die Therapien in Zukunft auch in Bereichen zu verbessern, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Denn für eine gute Lebensqualität sind nicht nur motorische Aspekte, sondern auch nicht-motorische Faktoren wie Kognition oder Schlafqualität wichtig. Die vielfältigen Daten, die im Alltag beispielsweise durch das Tragen der Smartwatch entstehen, können dafür künftig genutzt werden. „Mithilfe künstlicher Intelligenz können diese Informationen zeitnah analysiert werden, um eine personalisierte und langfristig sogar automatisierte Anpassung der Therapie zu ermöglichen“, erklärt Gharabaghi. 

Das Tübinger Institut für Neuromodulation und Neurotechnologie hat das Ziel, Patienten mit neuesten technologischen Entwicklungen zu helfen. Ärztinnen, Neurowissenschaftler, Ingenieurinnen und Informatiker arbeiten zusammen, damit Menschen mit Erkrankungen des Gehirns von modernsten neurotechnologischen Entwicklungen profitieren können. Schwerpunkt ist die Neuromodulation. Dabei geht es darum, Hirnfunktionen positiv zu beeinflussen – durch Hirnschrittmacher und Neuroprothesen, durch magnetische oder elektrische Stimulation oder mit Brain-Computer-Schnittstellen, Neurorobotern und Orthesen, die helfen, die Rehabilitation nach einer Schädigung des Hirns zu verbessern. 


Quelle: Universitätsklinikum Tübingen

05.02.2025

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