Portrait des Vergessens
Klinische Differenzialdiagnostik bei Demenzerkrankungen
Am Kongressfreitag rückt Dr. Christian Sorg, Assistenzarzt für Psychiatrie, Abteilung für Neuroradiologie und Klinik für Psychiatrie, Klinikum rechts der Isar, München, MR-typische Charakteristika von verschiedenen Demenzformen bilderreich in Szene. radiologia bavarica stellte dem Experten im Vorfeld drei Fragen …
radiologia bavarica: Dr. Sorg, was sind typische Formen der Demenz?
Dr. Sorg: Die häufigste und bekannteste Form ist verursacht durch die Alzheimer Krankheit. Dabei gibt es Varianten, bei denen nicht zuerst das Gedächtnis betroffen ist, sondern die Sprache, das Verhalten oder wie bei der Posterioren Kortikalen Atrophie die Aufmerksamkeit. Die zweithäufigste Demenzform ist verursacht durch vaskuläre Erkrankungen, die entweder durch einen oder mehrere Infarkte oder Blutungen charakterisiert werden. Darüber hinaus gibt es noch viele andere neurodegenerative Erkrankungen, die weniger bekannt sind und alle letztlich in eine Demenz münden, z.B. die Frontotemporalen Lobärdegenerationen, eine davon ist der Morbus Pick. Durch die Degeneration im Frontalhirn, zeigen diese Patienten sehr starke Verhaltensauffälligkeiten. Andere Beispiele sind Demenzen mit motorischen Beeinträchtigungen wie z.B. die Lewy-Body-Demenz, die einer Parkinsonerkrankung ähnelt.
rb: Nehmen neurodegenerative Erkrankungen zu?
Dr. Sorg: Ja, denn die Menschen werden immer älter. Das Alter neben vaskulären Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes etc. zählen zu den wichtigsten Risikofakoren für Demenzen allgemein und für die häufigsten neurodegenerativen Demenzen wie die Alzheimer Krankheit. Gerade bei älteren Patienten treten deshalb neurodegenerative und gefäßbedingte Demenzerkrankungen oft in gemischten Formen auf. Hier ist es besonders wichtig, dass die vaskulären Risikofaktoren sehr offensiv behandelt werden, um weiteren Folgeereignissen oder additive Effekten vorzubeugen.
rb: Wie lässt sich die Vielfalt unterschiedlicher Demenzen besser verstehen? Ist ein besseres Verständnis hierfür bereits diagnostisch nutzbar?
Dr. Sorg: Mithilfe der funktionellen MRT lassen sich Netzwerke im Gehirn wie auf einer Landkarte identifizieren. Das muss man sich so vorstellen: entfernte Gehirnareale, die gemeinsam aktiv sind, sind in einem Netzwerk organisiert. Diese unterschiedlichen Netzwerke werden bevorzugt von neurodegenerativen Erkrankungen attackiert. Bei der Alzheimer Erkrankung ist beispielsweise das Default Mode Netzwerk am häufigsten verändert. Indem wir nach Hirnatrophien in verschiedenen Gehirnarealen suchen, die mit diesen Netzwerken zusammenfallen, hoffen wir, die vielen Formen der Demenz in Zukunft einheitlicher beschreiben zu können. Teilweise gelingt dies schon bei einzelnen Patienten, als diagnostisches Instrument ist dieses Methode aber noch nicht anwendbar.
rb: Dr. Sorg, vielen Dank für das Gespräch.
Was ist Demenz?
Laut ICD-10-Code der WHO ist Demenz (Lat. „dementia“ = „ohne Geist“) ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD über mindestens sechs Monate bestanden haben.
12.10.2011