News • Fluconazol gegen Diabetes insipidus
Pilzmedikament hilft der Niere auf die Sprünge
Bis zu 20 Liter Harn rauschen bei den Erkrankten täglich in die Toilette, und ebenso viel müssen sie auch trinken. Das schränkt das Leben von Patienten mit Wasserharnruhr (Diabetes insipidus) stark ein. Bei ihnen entzieht die Niere dem Harn nicht genügend Wasser. Dies kann genetische Ursachen haben, aber zum Beispiel auch durch Medikamente ausgelöst werden.
Diesen Menschen könnte zukünftig ein Pilzmedikament mit dem Namen Fluconazol helfen. Das haben die Forschungsteams um Dr. Enno Klußmann und Professor Kai Schmidt-Ott am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin herausgefunden. In ihrer neuen Arbeit im Fachblatt Journal of the American Society of Nephrology erklären sie, wie das Medikament in der Niere wirkt. Sie zeigen aber auch, weshalb es nicht für alle an Diabetes insipidus Erkrankten geeignet ist.
Das Arzneimittel aktiviert winzige Wasserkanäle (Aquaporine) in den Zellen der Niere, die in kleinen Vorratsbläschen gespeichert werden. Einmal aktiviert bilden sie Poren in der Zelloberfläche, durch die Wassermoleküle fließen können. Die Niere transportiert so Wasser aus dem Harn zurück in den Körper. Normalerweise wird dieser Prozess durch das Hormon Vasopressin exakt gesteuert. „Wenn das Hormon fehlt oder an der Zelle nicht wirken kann, kann dies zu massiven Verlusten an freiem Wasser über den Urin führen“, sagt Dr. Christian Hinze aus dem Team des Nierenspezialisten Schmidt-Ott am MDC. „Fluconazol schafft das auch ohne Hormon, zu einem gewissen Grad.“ Etwa 30 Prozent der normalen Wasserrückgewinnung kann Fluconazol bei Mäusen wiederherstellen. Dies wiesen Hinze und seine Kollegin Dr. Tanja Vukićević an Tieren nach, bei denen die Vasopressin-Wirkung durch einen anderen Wirkstoff außer Kraft gesetzt wurde.
Durch diese Versuche können die Wissenschaftler besser einschätzen, ob die Substanz überhaupt das Zeug zu einem neuen Therapeutikum für den Menschen hat. „Fluconazol nützt nur etwas, wenn in der Nierenzelle noch die Maschinerie für die Aquaporine intakt ist“, sagt Klußmann. Patienten, deren Aquaporin-Gen mutiert ist, könnte eine zukünftige Therapie mit Fluconazol zum Beispiel nicht helfen.
Hoffnung gibt es jedoch für die Betroffenen, deren Körper erblich bedingt zu wenig Vasopressin produziert, oder deren Nierenzellen durch eine Mutation gegenüber dem Hormon unempfindlich sind. Zudem scheidet etwa die Hälfte der Personen, die Lithium als Medikament nehmen müssen, zu viel Wasser aus. Auch ihre Nieren reagieren nicht mehr ausreichend auf das Hormon und könnten im Prinzip von Fluconazol profitieren.
„Jeder Mensch erzeugt in seinen Nieren täglich ganze 180 Liter Primärharn,“ sagt Hinze. „Am Ende dürfen aber nur wenige Liter pro Tag als Urin entstehen.“ Dafür ziehen die winzigen Röhrchen, die den Harn ins Nierenbecken leiten, je nach Bedarf mehr oder weniger Wasser aus der Flüssigkeit. Entscheidend für die hormonell gesteuerte Feinabstimmung dieses Prozesses sind die letzten Abschnitte dieser Leitungsbahnen, die Sammelrohre. An dieser Stelle greift das wiederentdeckte Arzneimittel ein. Die MDC-Forscherin Tanja Vukićević kultivierte die Zellen des Sammelrohrs von Ratten in der Petrischale und analysierte die Wirkung im Detail. In ihren Versuchen beobachtete sie, wie die Aquaporin-Moleküle unter dem Einfluss des Medikaments an die Oberfläche der Zelle wandern. Ein befreundetes Team von der Christian-Albrechts-Universität Kiel präparierte die winzigen Sammelrohre aus Mäusenieren und wies dort direkt nach, dass Fluconazol den Wassertransport verbessert.
Bereits 2013 hatten Wissenschaftler um Klußmann in einem großen Screening-Test entdeckt, dass Fluconazol die Lokalisation der Aquaporine beeinflusst. Als nächsten Schritt planen die Forscher eine Studie an einigen wenigen Personen. Erst dann könne sich zeigen, ob das Medikament auch beim Menschen den erhofften Effekt hat. „Es bleibt natürlich abzuwarten, ob eine solche Therapie wirksam und gleichzeitig verträglich wäre“, sagt Klußmann, der zusammen mit seinen Kollegen die klinische Studie plant. „Auch wenn es nur wenigen Menschen hilft, wäre es die Mühe wert gewesen.“
Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
17.04.2019