News • Wissensstand und Einstellung der Bevölkerung
Organspende-Modelle in Europa im Blick
Eine europäische Vergleichsstudie bewertet nationale Organspende-Politiken in sieben Ländern unter ethischen Gesichtspunkten. Zum ersten Mal wurden dabei Wissen und Einstellung zur Organspende-Regelung in verschiedenen europäischen Ländern kombiniert untersucht.
Die Studie wurde im Fachjournal PLOSone veröffentlicht.
Über 2.000 Studierende aus sieben europäischen Ländern (Deutschland, Dänemark, Österreich, Belgien, Spanien, Griechenland und Slowenien) wurden für die Vergleichsstudie befragt, die zudem ein neuartiges Bewertungsmodell für nationale Organspende-Politiken beinhaltet. Die Studie wurde von Prof. Dr. Silke Schicktanz vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) mitinitiiert.
Um die nationalen Gesundheitspolitiken im Bereich Organspende unter ethischen Gesichtspunkten zu bewerten, stellten die Forschenden zwei Indikatoren auf: Zum einen die Fähigkeit der Politik, die Werte der Mehrheit der Bevölkerung in der gesetzlichen Regelung zu verankern. Demnach sollte dasjenige Modell gesetzlich gelten, das auch eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortet. Zum anderen nahmen die Forschenden die Fähigkeit der Politik zum Maßstab, die nicht geäußerten Interessen (Präferenzen) derjenigen Personen zu wahren, die nicht mit dem geltenden Modell einverstanden sind. „Am Umgang mit den Präferenzen der Minderheit misst sich die moralische und demokratische Qualität derartiger, moderner Gesundheitspolitik“, sagt Prof. Schicktanz.
Dabei schneiden nicht alle der untersuchten europäischen Länder gleich gut ab. In Deutschland und Dänemark ist der Wissensstand zur Organspenderegel hoch. Aber die Hälfte der Befragten wünscht sich ein anderes Regelungsmodell. In Slowenien zeigen die Befragten große Wissensdefizite und eine Mehrheit spricht sich gegen die in ihrem Land aktuelle Regelung aus. In Spanien und Griechenland weiß eine beachtliche Rate der Befragten wenig über die Regelungen ihrer Länder zur Organspende. Viele glauben, man müsse sich aktiv für die Spende aussprechen. Dabei sehen die Länderregelungen dort vor, dass ohne ausdrücklichen Widerspruch jeder zum Organspendenden werden kann. Die Mehrheit der Befragten in Spanien votiert allerdings genau für diese Regelung. Wer also dort nicht spenden möchte, kann ungewollt zum Organspender werden.
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Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten hat den Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn zur Einführung der doppelten Widerspruchslösung in der Organspende nach intensiver Debatte abgelehnt – obwohl in der deutschen Bevölkerung in aktuellen Umfragen eine Zustimmungsquote von fast 70 Prozent für die Widerspruchslösung erreicht wurde.
Die Forschergruppe untersuchte die Qualität von nationalen Gesundheitspolitiken im Bereich der Organspende unter ethischen Gesichtspunkten unter Anwendung eines speziell entwickelten 2-Indikatoren-Modells. Die Studie richtet sich dabei nach dem Ideal der informierten Unterstützung (informed support). Dies beschreibt das Maß an Informiertheit über die geltende gesetzliche Organspende-Regelung seitens der Bürger sowie das Maß an Unterstützung für das jeweils geltende Modell. Daher hat diese Studie zum ersten Mal Wissen und Einstellung zur Organspenderegelung in verschiedenen europäischen Ländern kombiniert analysiert.
Für die Zukunft schlagen die Forscher vor, national repräsentative Bevölkerungsdaten als Grundlage für ihr Analyse- und Ranking-Modell zu verwenden. Auf diese Weise ließen sich noch präzisere Aussagen über die Qualität von nationaler Organspende-Politik treffen. Auch sei die Anwendung ihres Modells für die Covid-19-Politik denkbar; gerade dort, wo individuelle Präferenzen nicht mit dem öffentlichen Interesse vereinbar scheinen.
Quelle: Universitätsmedizin Göttingen
07.07.2021