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Neue Leitlinie: Kopfschmerz durch zu viele Schmerzmittel
Zu oft, zu lange oder zu hoch dosiert: Schmerz- und Migränemittel können vorbestehende Kopfschmerzen verstärken und in eine chronische Krankheit verwandeln. Viele Patienten reagieren darauf mit der Einnahme weiterer Medikamente und befeuern damit den Teufelskreis. Mit einer neu vorgelegten Leitlinie wollen die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft etwas unternehmen.
Weltweit leiden etwa 0,7–1 Prozent der Bevölkerung unter Kopfschmerzen, die durch übermäßigen Gebrauch von Schmerz- und Migränemitteln verursacht werden. Auf die deutsche Bevölkerung umgerechnet ergibt das mindestens eine halbe Million Betroffene in der Bundesrepublik. „Das Krankheitsbild ist häufiger bei Frauen, bei Patienten mit Depressionen, Angsterkrankungen oder anderen chronischen Schmerzen, wie z.B. Rückenschmerzen“, berichtet Prof. Hans-Christoph Diener, Essen, Kopfschmerzexperte der DGN, der die Leitlinienarbeit gemeinsam mit PD Dr. Charly Gaul, Königstein, und Professor Peter Kropp, Rostock, beide von der DMKG, koordiniert hat.
Von chronischem Kopfschmerz durch Übergebrauch von Medikamenten sprechen Ärzte, wenn Patienten mit vorbestehenden primären Kopfschmerzen (zum Beispiel Migräne oder Spannungskopfschmerz) über mindestens drei Monate an 15 oder mehr Tagen im Monat unter Kopfschmerzen leiden und an mehr als 14 Tagen im Monat Schmerzmittel oder an mehr als neun Tagen im Monat Migränemittel (Triptane oder Mutterkornalkaloide), Opioide oder Schmerzmittelkombinationen einnehmen. Im englischen Sprachgebrauch wird dieser Kopfschmerz als „Medication Overuse Headache“ (MOH) bezeichnet. „Die meisten Patienten ahnen nicht, dass Schmerztabletten die Schmerzursache sein können“, berichtet Diener. Umso wichtiger sei es, dass Kopfschmerzspezialisten, Neurologen, Schmerztherapeuten, Schmerzpsychologen, Hausärzte und Apotheker über das Risiko aufklären und zu wirksamen Behandlungsalternativen beraten.
Drei therapeutische Schritte empfohlen
Die Leitlinie empfiehlt ein dreistufiges Vorgehen bei der Therapie von Kopfschmerzen durch Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln, wie PD Dr. Charly Gaul, Generalsekretär der DMKG, erläutert: „Die erste Maßnahme sollte stets in der Schulung und Beratung von Patienten liegen, mit dem Ziel, die Einnahme von Akutmedikamenten zu reduzieren. Der zweite Schritt ist eine medikamentöse Prophylaxe der zugrunde liegenden Kopfschmerzerkrankung. Wirkt diese Therapie nicht, sollte als dritter Schritt eine Medikamentenpause angestrebt werden. Dieser Entzug kann je nach Konstellation ambulant, tagesklinisch oder stationär durchgeführt werden.“
Mehr Sport und Entspannung, weniger Schmerzmittel
Viele Patienten wissen schlicht nicht, dass man vorbeugend gegen Kopfschmerzen vorgehen kann
Stefanie Förderreuther
Damit Kopfschmerz durch ein Zuviel an Medikamenten erst gar nicht entsteht, raten die Experten zu einer konsequenten vorbeugenden Behandlung. Neben Medikamenten helfen Ausdauersport, Entspannung und Stressmanagement, Kopfschmerzattacken vorzubeugen. „Auch die Verhaltenstherapie hat sich in der Prophylaxe als wirksam erwiesen“, sagt Prof. Peter Kropp, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Rostock.
Diese Möglichkeiten der Prävention würden jedoch längst nicht ausgeschöpft, bemerkt Stefanie Förderreuther. „Viele Patienten wissen schlicht nicht, dass man vorbeugend gegen Kopfschmerzen vorgehen kann. Das ist einfach nicht in den Köpfen der Menschen. Das liegt unter anderem daran, dass sie in der Werbung nur die Akutbehandlung von Kopfschmerzen sehen. Für vorbeugende, in der Regel verschreibungspflichtige Medikamente darf dagegen nicht geworben werden. Und hinter verhaltenstherapeutisch ausgerichteten vorbeugenden Strategien steht keine Firma, die ein Interesse an Werbung hätte.“ Mit einer leitliniengerechten Therapie könne den meisten Kopfschmerzpatienten geholfen werden, betont die Ärztin. Selbst ein Kopfschmerz durch Übergebrauch von Akutmedikamenten sei behandelbar und keine Sackgasse.
Die Leitlinien der DGN
Die Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener (Essen) und Prof. Dr. Christian Gerloff (Hamburg) bringt mit ihren circa 80 medizinischen Leitlinien neue wissenschaftliche Erkenntnisse schnellstmöglich in die therapeutische Praxis und damit an die Patienten mit neurologischen Erkrankungen. Leitlinien spielen damit eine wichtige Rolle für die schnelle und kompetente Verbreitung von Forschungsergebnissen. Verfasst werden die Leitlinien für Diagnostik und Therapie von ausgewiesenen Experten auf dem jeweiligen Gebiet, unter Beteiligung von österreichischen und Schweizer Neurologen, teilweise auch unter Beteiligung von Therapeuten und Patientenvertretern. Wichtig ist die bestmögliche Objektivität der ausgesprochenen Empfehlungen. Aus diesem Grund erfolgen die Zusammenstellung der Leitliniengruppe und die Konsensfindung bei Empfehlungen nach klaren Vorgaben auf Basis des Regelwerks der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Alle Leitlinien der DGN sind auf www.dgn.org frei zugänglich publiziert.
16.07.2018