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Artikel • Im Zentrallabor

Neue und alte Herausforderungen in der Labormedizin

Das Zentrallabor der Medizinischen Hochschule Hannover ist breit und vielfältig aufgestellt. Dank modernster Technik mit einem hohen Automatisierungsgrad können damit täglich mehr als 3.000 Proben, vor allem Blut und Urin, untersucht werden. Was sind die Herausforderungen für ein Labor dieser Größenordnung?

Bericht: Daniela Zimmermann

Prof. Dr. rer. nat. Ralf Lichtinghagen (Klinischer Chemiker (European Specialist in Laboratory Medicine)), leitender Klinischer Chemiker in Hannover und Dr. rer. nat. Martin Christmann (Klinischer Chemiker (European Specialist in Laboratory Medicine)) am Zentrallabor in Hannover geben einen Überblick.

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Professor Ralf Lichtinghagen

„Da gibt es speziell im deutschen Gesundheitssystem ein berufspolitisches Dilemma“, beklagt Lichtinghagen. EBM und GOÄ schreiben vor, dass labormedizinische Leistungen (z.B. ab EBM O III) i.d.R. persönlich durch einen Facharzt für Labormedizin zu erbringen und abzurechnen sind. Das gilt vor allem für Leistungen des Speziallabors im klinischen Setting. Qualifizierte Fachwissenschaftler in der Medizin, wie etwa Klinische Chemiker oder Humangenetiker, sind unter fachlichen Aspekten zwar in der Lage, die gleichen Leistungen zu erbringen, über sie kann aber seitens der Klinik in der Regel keine Abrechnung erfolgen. Das ist angesichts des eklatanten Mangels an Laborärzten ein echtes Problem. “Gegenwärtig dürfen Kliniken nur Rechnungen schreiben oder schreiben lassen, wenn bestimmte Laborleistungen von einem Facharzt für Labormedizin erbracht wurden.“, so Lichtinghagen. Die Abrechnung unter fachwissenschaftlicher Laborleitung führt damit zu einem Problem, insbesondere, wenn man bedenkt, dass Selbstzuweisungen von Laborleistungen über einen Kliniker sogar einen Straftatbestand darstellen.

Zur Entzerrung solcher Problematiken denkt die Deutsche Gesellschaft für Labormedizin zurzeit über alternative Modelle nach. Über eine Weiterbildung in einem labormedizinischen Institut sollten Chemiker, Biochemiker, Biologen und andere Berufsgruppen die Möglichkeit bekommen, sich die fehlende medizinische Komponente in Form eines dualen Masterstudienganges aneignen können. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist allerdings die staatliche Anerkennung dieser Teilapprobation - eine berufspolitische Entscheidung, die bisher nicht erfolgt ist. Lichtinghagen: „Wenn sich das durchsetzen würde, wären wir unsere Nachwuchssorgen los. Denn Naturwissenschaftler mit großem Interesse an klinischen Aspekten, wie Befundinterpretation und Krankheitsbildern, gibt es genug.“

Einsparpotenzial wird überschätzt

portrait of martin christmann
Martin Christmann

Ein weiteres personelles Problem: Die Annahme, dass nach Implementierung einer neuen Laborstraße das Personal drastisch eingespart werden kann, ist falsch. Denn es handelt sich um hochkomplexe Techniken und Bedienungsabläufe, die spezifisch ausgebildeter Labormitarbeiter bedürfen. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter sich längst nicht in allen Bereichen gleich gut auskennen, ein solcher Schulungsaufwand ist nicht zu leisten. Für den Alltag heißt das, die Angst der Mitarbeiter vor den Nacht- und Wochenenddiensten steigt stetig. Als zu groß wird die Verantwortung empfunden, vor allem wenn bestimmte Aufgaben nur gelegentlich übernommen werden und so die Routine im Umgang fehlt. „Viele Mitarbeiter sind weit jenseits der zumutbaren Belastungsgrenze, da besteht die Gefahr, dass das ganze System zusammenbricht“, so Lichtinghagen. 

Zielführend wäre es, ein gut ausgebildetes und ausreichend großes Kernteam vorzuhalten, das an alle Arbeitsbereiche herangeführt wird. In Zeiten der Automatisierung ist diese Forderung gegenüber den Entscheidungsträgern aber nur schwer zu vermitteln. „Stattdessen werden weitere personelle Einsparungen erwartet“, ergänzt Christmann.

Rolle der KI im Labor

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde, auch auf den Fachkongressen ist es ein großes Thema. „Allerdings“, so Christmann, „fehlt meistens der Praxisbezug für die tägliche Arbeit. Und weiter: „KI, im Sinne von Machine-Learning-Prozessen, mit denen ein System in die Lage versetzt wird, sich auf Basis von Daten und Algorithmen selbstständig weiter zu entwickeln, gehören derzeit nicht zur Labor-Routine.“ Potenzial sieht Christmann allerdings beim Erkennen seltener Erkrankungen: Als Mediziner kenne man die Standardkonstellationen der häufigsten Erkrankungen aus der Notaufnahme, aus der Endokrinologie und der Kinderklinik. Aber die seltene Erkrankung, der ein Mediziner einmal in 20 Jahren begegnet, die habe niemand auf dem Schirm.“ Der Computer könnte den entscheidenden Hinweis geben, dass es sich um eine bestimmte Erkrankung handelt. „Das wäre ein sinnvolles Feld für KI und könnte vor allem Patienten helfen, die eine diagnostische Odyssee oft mit unklarem Ergebnis durchleben.“ Grundsätzlich ist Christmann davon überzeugt, dass in der klinischen Chemie und im Labor immer ein gewisser Grundpool an Leuten arbeiten wird, der die Basis beherrscht, selbst wenn die KI tatsächlich verstärkt Einzug halten sollte.

LOINC als 'gemeinsame Sprache'

Eine ausgefeilte Standardisierung im Laborbereich fehlt. Auch eine Organisation, die sich dafür einsetzt, die Rahmenbedingungen, obligatorischen Angaben und Kriterien festzulegen, gibt es nicht. Die aktuell verwendeten standardisierten Schnittstellen, HL7 für die Befund- und Auftragskommunikation und ASTM für die Kommunikation zwischen den Geräten, werden in Deutschland vom DIMDI betreut. 

Sie sind aber nur bedingt hilfreich. Denn geht es um Befundung und Auswertung von Datensätzen unterschiedlicher Standorte, also beispielsweise von Werten aus Hannover und Göttingen, stellt sich das Problem der eindeutigen Zuordnung. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, gibt es Bestrebungen, die Daten mithilfe einer einheitlichen „Datensprache“ wie dem LOINC- zu vereinheitlichen.“ Ein Beispiel: Um miteinander kommunizieren zu können, muss die Elektrolyt-Messung, die an einem Standort „Serum-Natrium“, am anderen aber „Natrium im Serum“ heißt, einen gemeinsamen Code haben“, erläutert Christmann. Gleiches gilt auch für unterschiedliche Messmethoden von Laborparametern, etwa Kreatinin: Die enzymatische Messung einerseits und die Jaffe-Methode andererseits haben unterschiedliche Referenzbereiche, die bei der LOINC-Codierung berücksichtigt werden müssen. Das stellt auch die elektronische Patientenakte vor ein Problem. Denn die Werte, die der Hausarzt in seiner Laborgemeinschaft beauftragt, sind wegen unterschiedlicher Messmethoden andere, als die bei stationärer Aufnahme erhobenen Werte, mit denen im Zentrallabor gearbeitet wird. Lästige Konsequenz: Um Fehlinterpretationen auszuschließen, müssen die Daten in der Patientenakte getrennt dargestellt werden.

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ISO-Norm soll Farbcodes vereinheitlichen

Eine weitere Herausforderung in der Analytik: Je nach Anbieter gibt es unterschiedliche Farbcodes für Blutentnahme-Röhrchen. Das kann zu Fehlern führen. Jetzt soll eine neue ISO-Norm die Deckelfarbe international vereinheitlichen. Das hat in Deutschland für großen Aufruhr gesorgt: Zu großer Aufwand, zu problem- und fehlerbehaftet. Die Anbieter legen die Farben zurzeit so an, dass sie sich vom herkömmlichen Farbmuster unterscheiden. Das ist auch dringend notwendig: Denn es gibt zwar einen Überkreuzcheck, der prüft ob Probeninhalt und Deckelfarbe übereinstimmen, kommt es aber zum Einsatz zweier verschiedener Farbcodes, kann das die Automatisierung vollkommen lahmlegen. „Der Ausgang ist noch offen. Beschluss und Empfehlung liegen zwar vor, aber ob das am Ende wirklich umgesetzt wird, ist abzuwarten.“ Wenn Sarstedt im nächsten Jahr liefern kann, soll deutschlandweit zu einem gemeinsamen Stichtag umgestellt werden. Dafür müssen die Geräte an allen Prüfstellen für die Deckelfarben neu programmiert werden.

2D-Barcodes noch in der Pipeline

„In der Präanalytik müssen in Spitzenzeiten 500 bis 1000 Proben in einer Stunde verarbeitet werden“, erklärt Lichtinghagen. „Dafür ist der Schüttsorter von Sarstedt ideal, er sortiert die Proben vor und führt sie zum Zentrifugieren der Präanalytik-Plattform zu. Diesen Vorgang manuell zu tätigen, wäre viel zu langwierig. 

Je größer der Grad der Automatisierung, desto wichtiger sind exakt platzierte Barcodes. Ist die Kennzeichnung fehlerhaft und wird dies vom System nicht erkannt, kommt der Prozess sofort zum Stillstand. Für die Registrierung muss die Probe zunächst an einem Barcode-Scanner vorbeigezogen werden, entweder durch einen Mitarbeiter oder mittels einer Maschine, die das dokumentiert. Wird etwas mit der Rohrpost verschickt, kann es insofern durchaus sein, dass die Probe unausgepackt im Posteingang liegt und längere Zeit nicht registriert wird. Das Unternehmen Sarstedt arbeitet derzeit an RIFD-Barcodes. Diese befinden sich im Röhrchen und werden von Sensoren erfasst. Das Tracking könnte damit schneller und präziser erfolgen, was sich auch positiv auf die Proben- und Analysenqualität auswirken wird.

22.04.2020

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