Zinkmolybdat
Nachhaltiger Keimkiller
Prof. Dr. Peter Guggenbichler kennt Hygiene-Probleme im Krankenhaus aus eigener Anschauung nur zu gut. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2013 leitete der Professor an der Erlanger Kinderklinik 25 Jahre lang die Abteilung für Infektiologie und Präventivmedizin.
MEDICA EDUCATION CONFERENCE
Donnerstag, 17. November, 14.10-15.30 Uhr
Raum: 16
Hygiene: Groundbreaking approaches for infection control in healthcare
Vorsitz: Prof. Dr. J. Peter Guggenbichler, Kössen, Österreich
„Nach zahllosen Nächten auf der Intensivstation habe ich festgestellt, dass die Hygienevorschriften vom Pflegepersonal nicht ausgeführt werden, weil sie nicht ausführbar sind“, schildert Guggenbichler. Laut Vorschrift müssten sich Schwestern, Pfleger und Ärzte in einer einzigen Schicht 50 bis 80 Mal die Hände desinfizieren. Nach jeder 5. bis 6. Applikation von Desinfektionsmitteln müssten die Hände zudem gewaschen werden, weil sonst mit den Händedesinfektionsmitteln nur der Schmutz verrieben wird. Nach Ansicht des Infektionsspezialisten ist das nicht leistbar: „Dann wären die Mitarbeiter über eine Stunde pro Schicht nur mit Händedesinfektion beschäftigt und bei einem Notfall fehlt dafür die Zeit sowieso. Deshalb habe ich mir Gedanken über Alternativen gemacht und die Arbeitsabläufe im Krankenhaus und der Intensivstation genau analysiert.“
Jedes Jahr infizieren sich in Europa Schätzungen zufolge etwa 5 Prozent der stationären Patienten mit Krankenhauskeimen. Von den rund 1,75 Millionen Betroffenen überleben das mindestens zehn Prozent, also ca. 175.000 Menschen, nicht. (Quelle:www:ESCMID 2015) Das Risiko einer noskomialen Infektion ist damit größer als das einen Autounfall zu erleben.
Neben den Händen der Behandelnden sind auch die Oberflächen im Krankenhaus kontaminiert und Keime und multiresistente Organismen werden mit jeder Berührung weiter gegeben: Egal ob Krankenhausmöbel, Touchpads, Drehknöpfe, Kabel, Böden, Computertastatur oder Telefonhörer, alles was angefasst wird, ist selbst nach einer vorherigen Desinfektion nicht mehr keimfrei. Ideal wären deshalb Oberflächen, die von sich aus Keime abtöten könnten. Und genau daran arbeitet Peter Guggenbichler seit vielen Jahren, zunächst mit Antibiotika und Desinfektionsmitteln, seit den 90er Jahren auch mit Silber.
„Wir haben 1999 eine hervorragende Silbertechnologie entwickelt, die auch heute noch bei externen Ventrikeldrainagen für Hirndruckableitungen wirksam und daher erfolgreich auf dem Markt ist. Aber bei der Ausstattung von Oberflächen funktioniert die Mehrzahl der Silbertechnologien nicht, denn nach 3-5 Wochen sind die keimabtötenden Silberionen verbraucht. Genau wie bei Desinfektionsmitteln und Antibiotika werden die Silberionen in den Stoffwechsel der Mikroorganismen eingebaut, sie müssen also aus einer hydrophilen Oberfläche herausgelöst werden und gehen ihr damit verloren. Damit sind im Grunde eine Reihe von Silbertechnologien auf dem Markt unwirksam, was leider viel zu wenig hinterfragt wird.“
Guggenbichler und sein Team konnten inzwischen eine Technologie entwickeln, bei der man mit verschiedenen Übergangsmetallsäuren, in erster Linie mit Zinkmolybdat in situ, also in dem Polymer selbst, aus einer winzigen Menge Wasser H3O+ Ionen, Sauerstoffradikale und photokatalytische Aktivität generieren kann, die an der Oberfläche eine stark bakterizide Wirksamkeit aufweisen. „Die grundlegende Annahme zum Wirkmechanismus besteht darin, dass die hydratisierten Oxonium-Ionen, (H3O+)(OH2)n (n=1,3) im Kontakt mit Mikroorganismen zunächst das Hydratwasser abstreifen, schließlich auch das verbleibende Wassermolekül. Die nunmehr nackten Protonen sind in der Lage, die Zellwand von Bakterien in unspezifischer Weise anzugreifen, indem sie deren Proteinhülle sowie die Fimbrien dauerhaft denaturieren. Die Protonen können zusätzlich im Inneren der Zelle die Wirkung essentieller Enzymsysteme blockieren. Der Gesamtvorgang wird Proteolyse (Koagulationsnekrose) genannt“, erklärt der Wissenschaftler.
Im Ergebnis entsteht eine leicht saure Oberfläche, ähnlich wie beim Säuremantel der Haut, die mit einem pH Wert von 4,2 bis 4,5 die Keime sehr rasch abtötet. Hinzu kommt noch das positive Zetapotenzial, d.h. eine positiv geladene Oberfläche zieht negativ geladene Mikroorganismen an, so dass man insgesamt eine synergistische Wirksamkeit hat. Dabei ist das Zinkmolybdän weder wasser- noch alkohollöslich, kann also von Desinfektionsmitteln nicht herausgelöst werden. Es ist hitzestabil und nicht toxisch. Beide Elemente, Molybdän wie auch das Zink sind essentielle Spurenelemente im Körper, die selbst wenn sie sich herauslösen sollten, mit dem Faktor 250 unter dem erlaubten Grenzwert für 24 Stunden liegen.
„Natürlich müssen sich die Pfleger die Hände weiterhin waschen und desinfizieren, aber wenn es einmal vergessen wird, sind die Folgen weit weniger dramatisch. Die neue Technologie ist eine Art Sicherheitsventil: statt 60 Mal am Tag die Hände zu desinfizieren, reicht es dann alle 20-30 Minuten, weil die Oberflächen für viele Jahre selbstdesifizierend.“ Um das zu erreichen, muss aber nicht das ganze Krankenhaus neu eingerichtet werden, sondern wie bei einem normalen Lack kann das Zinkmolybdat auch nachträglich als transparente Schicht aufgetragen werden, z.B. auf Telefonhörer, Möbel, Armaturen usw..
Diesen Wirkmechanismus hat Guggenbichler schon vor rund zehn Jahren entdeckt. Doch richtig Fahrt aufgenommen hat seine Entdeckung seit seiner Emeritierung und mit der Gründung des Start-up AmiSTec. Und bald kommt das den Patienten zugute. Farben und Lacke für medizin-technische Großgeräte sind für den Einsatz bereit. Aber die Möglichkeiten reichen noch viel weiter; auch Flugzeugsitze, Autoklimaanlagen, Duschtassen und selbst Unterwasserstromkabel werden demnächst selbstdesinfizierend sein. Es bleibt zu hoffen, dass die Krankenhäuser diesen Zug nicht verpassen. Bei der rasanten Zunahme von multiresistenten Keimen, es ist bereits die Rede von der postantibiotischen Ära, besteht dringender Handlungsbedarf bei der Prävention von Infektionen.
PROFIL:
Prof. Dr. Josef-Peter Guggenbichler studierte Medizin an der Universität Innsbruck, absolvierte an der Mayo Clinic, Rochester Minn. USA die Ausbildung zum Kinderarzt und erhielt den Facharzt für Kinderheilkunde. Nach der Rückkehr des Österreichers in seine Heimat war er von 1980 bis 1990 Professor an der Universität Innsbruck und von 1990 bis 2009 Extraordinarius der Abteilung Infektiologie und Präventive Medizin an der Kinder und Jugendklinik der Universität Erlangen. Guggenbichler ist Inhaber von mehr als 30 Patenten für die antimikrobielle Ausstattung von Oberflächen und Mitbegründer und Geschäftsführer des 2011 gegründeten Start-up-Unternehmens AmiSTec (www.amistec.at).
Weitere Infos zur Händedesinfektion unter: www.krankenhaushygiene.de/informationen/hygiene-tipp/hygienetipp2015/557
10.11.2016