Artikel • MRT visionär

MRT und Radiologie in den kommenden zehn Jahren

Die MRT bietet in der klinischen Medizin und Forschung ein unvergleichliches Potenzial, davon ist Prof. Dr. h.c. Hedvig Hricak, Leiterin der Radiologie des Memorial Sloan-Kettering Cancer Center und Professorin für Radiologie am Cornell University Medical College, überzeugt. Prof. Hricak, die zusammen mit Prof. Reiser die wissenschaftliche Leitung innehat, beschäftigt sich mit Gegenwart und Zukunft des bildgebenden Verfahrens.

Wohin entwickelt sich Ihrer Meinung nach die MRT als nächstes und welche Rolle wird die MRT in zehn Jahren spielen?

Die MRT ist eine der führenden Modalitäten der diagnostischen Bildgebung, und das wird sie im nächsten Jahrzehnt und darüber hinaus auch bleiben. Mehr noch: Wir werden das ungeheure und unvergleichliche Potenzial der MRT weiter erschließen. Sie bietet nicht nur exzellenten Gewebekontrast, sondern liefert auch Erkenntnisse zur Gewebebiologie und Funktion, sei es zur Perfusion oder Diffusion oder – mit Hilfe der MR-Spektroskopie – zum Stoffwechsel. Kurz: Die MRT bietet spezifische Informationen, die keine andere Modalität liefern kann, sie ist ein etabliertes und leistungsstarkes Tool in der klinischen Medizin und Forschung. Was die Zukunft betrifft, so wird sich die MRT-Forschung vor allem mit den vielfältigen und sich permanent wandelnden Anforderungen des Gesundheitswesens und mit gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen. Darüber hinaus eröffnen Fortschritte in der Tumorbiologie und im Bereich „Cognitive Computing“ neue Ansätze, um die einzigartigen Stärken der MRT zur Beantwortung spezifischer, biologiebasierter und klinisch relevanter Fragen herauszuarbeiten. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit dem Potenzial der MRT, Biologie und Funktion zu beurteilen und über die Verbindung von Wissenschaft und Technologie zu zeigen, dass die MRT einen tatsächlichen Mehrwert für das Patientenmanagement bietet. Zudem möchten wir die MRT robuster machen, wir arbeiten an der Standardisierung und an der Vereinfachung der Interpretation der Bilder. Alle diese Anstrengungen helfen uns, den Mehrwert der MRT zu steigern und mehr Patienten Zugang zu den enormen diagnostischen Möglichkeiten dieser Modalität zu verschaffen.

Die aktuellen Strategien zur Behandlung genom-definierter Metastasen im Hirn...
Die aktuellen Strategien zur Behandlung genom-definierter Metastasen im Hirn sind aufgrund der uneinheitlichen und schwachen Überwindung der Blut-Hirn-Schranke nur begrenzt erfolgreich, d. h. bei akzeptablen Dosen bleibt die Tumorpenetration gering. In der Behandlung primärer und sekundärer Hirntumore müssen der Transport zum Tumor sowie der therapeutische Index bestehender Medikamente verbessert werden. In dieser ersten am Menschen durchgeführten Phase-1-Studie wird mit Hilfe von zwei Bildgebungsmodalitäten (PET-optisch) die Gewebepenetration und -diffusion eines ultrakleinen Kohlenstoffpunkts (C dot) in Primär- und Sekundärtumoren im Menschen beurteilt. An die Oberfläche des C dot wird ein Radionuklid, I-124, angedockt. Ein verkapseltes Cy5 Fluoreszenzsignal ermöglicht dann die quantitative Beurteilung der Partikelaufnahme sowie die Überwachung der Verteilung und des Ansprechens auf die Behandlung. Baseline-Daten dieser Machbarkeitsstudie bestätigen präklinische Befunde und zeigen, dass C dots unter Umständen kleine Molekülinhibitoren zum gesamten Tumor transportieren können, was potenziell zu einer Verbesserung des therapeutischen Indexes führen könnte.

Durch die Entwicklung neuer oder verbesserter Sequenzen erweitern wir auch kontinuierlich das einzigartige Anwendungsspektrum der MRT. Die Fortschritte in der hyperpolarisierten und funktionalen MRT, der Diffusion und Perfusion, helfen, Molekularbiologie, Funktion und Metabolismus in lebendem menschlichen Gewebe zu beurteilen und zu quantifizieren. Denn das quantitative Potenzial der MRT ist noch größtenteils unerschlossen. Die Weiterentwicklungen der MRT werden kontinuierlich in die klinische Praxis integriert – das zeigt, dass der Wert der heutigen Forschung die Verbesserung der Praxis von morgen ist. Andererseits besteht durchaus die Gefahr, dass MRT-Untersuchungen zu kompliziert oder zu langwierig werden. Daher ist die Standardisierung so wichtig: wir müssen optimierte, reproduzierbare und robuste Protokolle entwickeln, die klinische Routinefragen beantworten. Und wir brauchen mehr Geschwindigkeit, nicht nur um den Patientendurchsatz zu steigern, sondern auch um den Komfort und die Akzeptanz der MRT bei den Patienten zu steigern. Standardisierung ist dringend erforderlich, damit wir Untersuchungen, die an unterschiedlichen Einrichtungen durchgeführt wurden, auch vergleichen können; wir brauchen sie, um die Konsistenz und die Qualität zu verbessern. Und nicht zuletzt benötigen wir Standardisierung bei den Daten, damit wir im Zuge der Ergebnisanalyse den Wert der Modalität belegen und die evidenzbasierte Versorgung voranbringen können.

Was bedeutet „Integration“ in diesem Kontext?

Die Bildgebung ist im Zeitalter der Computational Oncology – der informatikbasierten Onkologie – lediglich ein Element in einem Kontinuum und in einer Matrix der Diagnostik. Die Integration der Bildgebung bezieht sich nicht nur auf die Pathologie, das Labor und klinische Daten – unsere klassischen Stärken –, sondern auch auf die „omics“ Proteinomics, Genomics, Metabolomics – sie alle sind für das diagnostische Gesamtbild unerlässlich. Wollen wir die Präzisionsmedizin voranbringen, können wir die Bildgebung nicht in einem Vakuum betrachten. Als Radiologen sind wir nicht nur Bildbefunder, sondern echte Berater, die in der Patientenversorgung eine zentrale Rolle spielen.

Auf dem Symposium in Garmisch 2015 haben Sie über „Präzisionsmedizin“ und die Verbindung von MRT-Techniken, z. B. HP-MRSI, und Tumorbiologie und Bioinformatik zur Verbesserung der Therapie und Patientenversorgung in der Onkologie gesprochen. Welche Fortschritte sind hier zu verzeichnen?

Die Präzisionsmedizin ist zu einer festen Größe geworden, kein Zweifel. Allerdings ist sie, wie das in dem Übersichtsartikel „Realizing the Full Potential of Precision Medicine in Health and Health Care“, den die National Academy of Medicine im vergangenen Jahr veröffentlichte, so schön ausgedrückt wurde, ein „kühnes Konzept“ und ein „verwegenes Ziel“. Je mehr wir verstehen, was es mit der Präzisionsmedizin auf sich hat, desto klarer wird, dass wir das Ziel noch nicht ganz erreicht haben. Die größten Herausforderungen sind die Patientenauswahl und das Wissen um die individuelle Tumorbiologie, um Ökologie und räumliche Heterogenität. Je mehr wir lernen, desto deutlicher wird auch die zentrale Rolle der Bildgebung und der Radiologie – sie liefern die tumorspezifische ‚Signatur‘ ebenso wie die quantitativen Daten, die die Präzisionsmedizin braucht, um Teil der täglichen klinischen Praxis werden zu können.

Welche Rolle werden Ihrer Meinung nach Maschinenlernen (ML) und künstliche Intelligenz (KI) in der Radiologie spielen?

Wir Radiologen sollten erkennen, dass KI und Maschinenlernen notwendige Tools sind.

Prof. Dr. h.c. Hedvig Hricak

Der Hype um das Maschinenlernen versetzt gerade, völlig unbegründet, manche Radiologen in Angst und Schrecken. Die intellektuelle Saat der KI, nämlich das sogenannte Deep Learning oder Machine Learning, und die Entwicklung künstlicher neuraler Netz-Algorithmen wurde bereits in den 1940er und 1950er Jahren gesät. Radiologen sind schon immer sehr maschinen- und technologieaffin gewesen. Bereits 1960 sagte Lusted in Radiology „einen elektronischen Scannercomputer” voraus, mit dem man Photofluorogramme des Thorax untersuchen und normale Thoraxfilme von anormalen würde unterscheiden können. Lusteds Ideen waren prophetisch. 57 Jahre später kommen Mustererkennung und Maschinenlernen langsam in der Medizin an. Wir Radiologen sollten erkennen, dass KI und Maschinenlernen notwendige Tools sind, die uns Routine- und monotone Aufgaben in unserer täglichen Arbeit abnehmen und so dazu beitragen, dass unsere Disziplin aufregender und dynamischer wird. Ein Radiologe kann unmöglich alle rund 4000 Bilder, die bei einer einzigen modernen MRT-Untersuchung generiert werden, befunden. Die Menge an Daten, sowohl diejenigen, die wir mit bloßem Auge sehen, als auch diejenigen, die nur durch eine Software erkannt werden, nimmt kontinuierlich zu. Die Radiologie hat sich von der subjektiven Wahrnehmungsfähigkeit zu einer objektiven Wissenschaft entwickelt. Daten, KI und ML machen die modernen Radiologen besser, genauso wie das Software- und Hardwareinnovationen, etwa das PACS, vor einigen Jahren getan haben. KI, Maschinenlernen und Computer wird man in Zukunft als zuverlässige Verbündete betrachten, die uns helfen, aussagekräftige Erstdiagnosen zu erstellen.

Wenn die Diagnosen in Zukunft automatisch erstellt werden können, was bedeutet das für den Radiologen und den Berufsstand allgemein?

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Prof. Dr. h.c. Hedvig Hricak wurde in Zagreb im ehemaligen Jugoslawien geboren. Ihr Medizinstudium absolvierte sie in ihrer Geburtsstadt und am Karolinska Institut in Schweden.

Ich denke nicht, dass künftig die abschließende Diagnose und die Empfehlungen für das Patientenmanagement automatisch generiert werden. Ich gehe vielmehr davon aus, dass die Befunde priorisiert und eine mögliche Diagnose vorgeschlagen wird. Man hört immer wieder Unkenrufe, dass „intelligente Maschinen“, die Funktion der Radiologen (und anderer Berufe wie Journalisten, Rechtsanwälte oder Werber) übernehmen werden. Meiner Ansicht nach liegt die optimale Anwendung dieser Technologien jedoch in der Unterstützung der Kenntnisse und Fertigkeiten von Ärzten, nicht in der Automatisierung ihrer Aufgaben. Man darf nicht vergessen, dass der Radiologe Arzt ist, der einen lebenden Menschen behandelt, kein Technokrat, der eine komplexe, aber unpersönliche Gleichung löst. Es wird sich viel verändern – wir werden uns anpassen und auch die radiologische Praxis neu erfinden müssen, um ihren Wert zu steigern. Aber am Ende wird unser Beruf, auch dank Maschinenlernen und KI, stärker und vitaler sein als je zuvor.


Profil:

Prof. Dr. h.c. Hedvig Hricak wurde in Zagreb im ehemaligen Jugoslawien geboren. Ihr Medizinstudium absolvierte sie in ihrer Geburtsstadt und am Karolinska Institut in Schweden. Heute ist sie Leiterin der Radiologie des Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, Professorin für Radiologie am Cornell University Medical College und Radiologin am Memorial Hospital in New York. Professor Hricak ist Trägerin des Marie Curie Preises der Society of Women in Radiology und der Beclere-Medaille der International Society of Radiology. Ihre klinischen Fachgebiete sind die diagnostische Radiologie und die onkologische Bildgebung des Urogenitaltrakts.

01.02.2017

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