Recht & Gesetz

"Mit einem Bein in Stadelheim"

Alles, was invasiv auf den Körper einwirkt – eine winzige Nadel, Strahlung oder ein Schnitt – ist streng genommen eine Körperverletzung. Geschieht dies in einem ärztlichen Behandlungszimmer ohne vorherige Aufklärung, dann bleibt der Eingriff eine Körperverletzung und der Arzt steht „mit einem Bein in Stadelheim“ – so brisant und anschaulich formuliert es die Münchner Rechtsanwältin Dr. Tonja Gaibler von der Kanzlei Ulsenheimer Friederich.

Photo: Mit einem Bein in Stadelheim

„Stadelheim“ deutet bereits die strafrechtliche Relevanz des Themas an. Alle vermeidbaren Fehler, die ein Arzt bei der Behandlung und Aufklärung begehen kann, oder die aufgrund unzureichender Dokumentation vermutet werden und zu einem Gesundheitsschaden führen, können in Deutschland nicht nur zivilrechtlich im Wege der Klage geltend gemacht werden, sondern erfüllen zugleich einen Straftatbestand. „Beim Zivilrecht stehen sich Arzt und Patient gegenüber, der Richter fungiert gewissermaßen als Schlichter. Denn letztlich geht es um Schmerzensgeld und Schadensersatz – also einen Geldausgleich, der durch die Haftpflichtversicherung des Arztes gedeckt ist. Strafrechtlich ermittelt der Staatsanwalt: dann geht es um Strafe, um einen persönlichen Schuldvorwurf und in aller Regel um eine Geldstrafe“, erklärt die Medizinrechtlerin. Dagegen kann sich der Arzt nicht versichern.

Richtig aufklären

Am Anfang einer Behandlung steht die Aufklärung – sie ist ein wichtiger Tatbestand innerhalb des Arzthaftungsrechts. „Das hat einen ganz einfachen Grund“, erklärt Gaibler. „Einen möglichen Behandlungsfehler muss der Patient nachweisen. Aber rügt der Patient, er sei nicht adäquat informiert worden und habe in etwas nicht eingewilligt, ist die Beweislast umgekehrt.“ Der Arzt ist verpflichtet nachzuweisen, dass er korrekt aufgeklärt hat. Nachdem der Arzt für Aufklärungsfehler ebenso haftet wie für Behandlungsfehler, ist für Patienten prozesstaktisch klug, bei einer Klage wann immer möglich auch auf einen Aufklärungsfehler hinzuweisen, um ein „zweites Standbein“ zu haben. Die Aufklärungspflicht umfasst Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken, Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose und Therapie. Bei der Aufklärung muss – ganz wichtig – auch auf Alternativen hingewiesen werden.

Falsch behandelt, falsch gehandelt

Ein Behandlungsfehler kann in der Therapie, Diagnostik oder bei der Befunderhebung auftreten. Für Radiologen ist vor allem der Diagnosefehler relevant. „Die Rechtsprechung sieht es zumeist als vermeidbaren Fehler an, wenn ein Befund in den Bildern übersehen wird“, erklärt die Fachanwältin für Medizinrecht. Generell wird aber Diagnostik, also auch die bildgebende Diagnostik als schwierig angesehen, weshalb eine Fehlbeurteilung nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet wird. „Der Radiologe ist auf diesem Gebiet etwas besser geschützt als zum Beispiel ein primär behandelnder Orthopäde, der es versäumt, einen Befund überhaupt erst zu erheben und ein MRT nicht anordnet. „Die Rechtsprechung zur unterlassenen Befunderhebung ist eine besonders gefährliches Terrain , das die Patientenseite beweisrechtlich stark begünstigt“, warnt Gaibler. „Der Diagnosefehler – also den Befund zu erheben und ihn falsch auszuwerten – wird hingegen nicht automatisch als vermeidbarer Fehler angesehen; es gelten strengere Maßstäbe für den Fehlernachweis, die Schwierigkeit, im Einzelfall eine korrekte Diagnose zu stellen, wird berücksichtigt.“ Nicht jede objektiv falsche Diagnose ist also ein Diagnose- und damit ein Behandlungsfehler. „Dennoch sieht sich der Radiologe in Prozessen mit einem praktischen Nachteil konfrontiert: Der Gutachter, der einen Fall rekonstruiert, kennt bereits den Ausgang und weiß natürlich, wonach er in den Bildern suchen muss. Dies mag mitunter zur Feststellung verleiten, bei gebotener Sorgfalt wäre die richtige Diagnose zu stellen gewesen“, betont Gaibler.

Herr Doktor, übernehmen Sie!
Tonja Gaibler weist auch darauf hin, dass besonders in der Radiologie die Frage der Delegation ein Problem ist: „Was sind rein ärztliche Aufgaben und was kann an nicht-ärztliche Mitarbeiter delegiert werden?“ Medizinische Mitarbeiter haben äußerst verantwortungsvolle Tätigkeiten, es gibt aber Bereiche, die nicht an MTRAs etc. delegierbar sind. „Einen Katalog mit rechtlichen Vorgaben gibt es aber leider nicht, weil das von verschiedenen Faktoren abhängt“, erklärt die Rechtsanwältin. Grundsätzlich sind radiologische, ärztliche Kernleistungen wie Diagnostik, Differenzialdiagnostik, Beratung, Therapie und Aufklärung nicht delegierbar. Der Radiologe sollte Kriterien wie Schwierigkeit, Gefährlichkeit und vor allem die Unvorhersehbarkeit von Komplikationen bei der Delegation von Aufgaben bedenken.

Dokumentieren geht über Studieren

Die Dokumentation ist eng mit allen vorherigen Haftungsgründen verknüpft. Dokumentationspflichtig ist alles, was aus medizinischer Sicht erforderlich ist. Der Arzt muss auch dokumentieren, wann er welche Bilder an wen herausgegeben hat, denn in einem späteren Prozess ist das der Beweis.“ Wird dem Radiologen vorgeworfen, er habe das MRT nicht durchgeführt, kann er durch seine Dokumentation das Gegenteil beweisen. Gaibler: „Was dokumentiert ist, gilt als gemacht, was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht.“ Das Gesetz regelt klar, dass eine Pflicht zur Dokumentation in unmittelbarem, zeitlichen Zusammenhang zur Behandlung besteht, und dass sie in Papier- oder elektronischer Form zu erfolgen hat.


PROFIL:
Dr. Tonja Gaibler ist seit 1998 Rechtsanwältin und seit 2005 Partnerin in der Sozietät Ulsenheimer Friederich in München. Sie ist Fachanwältin für Medizinrecht mit den Schwerpunkten im zivilen und strafrechtlichen Arzthaftungsrecht und vertritt ausschließlich die Behandlerseite. Darüber hinaus hält sie Vorträge auf Ärzte Kongressen und Symposien und berät präventiv im Bereich Risk-Management.

28.01.2015

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