© Christian Urban, Uni Kiel
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Mikrobiom-Forschung: dem Metaorganismus auf der Spur
Forschungsteam aus Kiel analysiert am Beispiel von Fadenwürmern, wie Mikroorganismen elementare Funktionen ihrer Wirte beeinflussen.
Sämtliche Lebewesen – von den einfachsten tierischen und pflanzlichen Organismen bis hin zum menschlichen Körper – werden von einer Vielzahl an Mikroorganismen besiedelt. Sie stehen somit in funktionaler Beziehung zu diesen Mikroben und bilden gemeinsam einen sogenannten Metaorganismus. Die Erforschung dieser symbiotischen Zusammenarbeit von Wirtsorganismus und Kleinstlebewesen ist eine zentrale Herausforderung für die moderne lebenswissenschaftliche Forschung. Die Zusammensetzung des Mikrobioms, also die Gesamtheit der Mikroorganismen, die einen Körper besiedeln, ist bei zahlreichen Lebewesen gut untersucht. Wie diese Mikroben mit dem Körper zusammenarbeiten und welche Rolle sie dabei für dessen biologische Funktionen spielen, ist allerdings noch weitgehend unbekannt.
Der Kieler Sonderforschungsbereich (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) verfolgt daher das Ziel, Stück für Stück die Kommunikation und damit auch die funktionalen Konsequenzen der Wirt-Mikroben-Beziehungen zu verstehen. Forschende des SFB 1182 haben nun erstmals das funktionelle Repertoire des Mikrobioms des Fadenwurms Caenorhabditis elegans untersucht, um zu verstehen welchen Zusammenhang es zwischen bakteriellen Eigenschaften und Stoffwechselfunktionen des Wirtes gibt. Ihre Ergebnisse, die als Modell für die Analyse von Mikrobiomfunktionen auch in anderen Lebewesen dienen können, veröffentlichten die Kieler Wissenschaftler kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift The ISME Journal.
Der Fadenwurm C. elegans ist wegen seiner einfachen Organisation und kurzen Generationszeiten ein klassischer Modellorganismus in der biologischen und medizinischen Forschung. Allerdings wurde die Rolle seiner mikrobiellen Symbionten bisher kaum untersucht. Erst vor wenigen Jahren charakterisierte ein Forschungsteam aus der CAU-Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik erstmals die natürliche Bakterienbesiedlung dieses Wurms. Ebenso entdeckten die Kieler Forschenden erste Hinweise auf einen funktionalen Einfluss von Mikroorganismen zum Beispiel auf die Stressresistenz des Wurms gegenüber Umweltfaktoren oder seine Fähigkeit, Krankheitserreger abzuwehren. „Auf dieser Grundlage wollten wir nun einen Überblick über das Funktionsrepertoire des natürlichen Wurm-Mikrobioms gewinnen“, betont Nancy Obeng, Doktorandin in der AG Evolutionsökologie und Genetik und SFB 1182-Mitglied. „Dazu haben wir zunächst die metabolischen Netzwerke des Fadenwurm-Mikrobioms anhand von genetischen Informationen abgeleitet und vorhergesagt“, so Obeng weiter.
Dazu analysierten die SFB 1182-Forschenden die Erbinformationen von insgesamt 77 wichtigen Bakterienarten aus dem Verdauungstrakt des Wurms und erstellten mathematische Modelle der Stoffwechselnetzwerke dieser Mikroorganismen. So konnten sie anhand der genetischen Informationen vorhersagen, welche Metabolite als Endprodukte bestimmter verfügbarer Nährstoffe entstehen können. „Das Fazit unserer Modellierung ist, dass das Mikrobiom des Wurms in der Lage ist, so gut wie alle für den Wirt essentiellen Nährstoffe zu produzieren“, betont Johannes Zimmermann, Doktorand in der CAU-Arbeitsgruppe Medizinische Systembiologie und ebenfalls Mitglied im Sonderforschungsbereich. Anschließend konnten diese Ergebnisse experimentell im Labor bestätigt werden. „Es sind vor allem die häufigen mikrobiellen Mitbewohner, die dem Fadenwurm helfen, an die für ihn notwendigen Nahrungsbestandteile zu kommen“, ergänzt Obeng.
Am Beispiel des Fadenwurms C. elegans haben die SFB 1182-Forschenden also ein Modell entwickelt, um metabolische Netzwerke anhand genetischer Informationen theoretisch und experimentell ableiten zu können. Ähnlich wie der Fadenwurm als Modellsystem für diverse Lebensprozesse wie etwa die Individualentwicklung oder die Alterung dient, könnte die an seinem Beispiel entwickelte Methodik künftig dabei helfen, den Funktionsumfang des Mikrobioms auch bei anderen Lebewesen – einschließlich des Menschen – zu entschlüsseln.
„Mit unserem neuen Ansatz zur funktionalen Analyse des Mikrobioms stoßen wir die Tür auf zu einem besseren Verständnis des elementaren Zusammenwirkens von Lebewesen und ihren mikrobiellen Symbionten“, betont CAU-Professor Hinrich Schulenburg, Leiter der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik und Vize-Sprecher des SFB 1182. „In Zukunft wollen wir in Kiel vergleichbare funktionale Analysen im gesamten Spektrum der in unserem Sonderforschungsbereich untersuchten Modellorganismen in Angriff nehmen“, ergänzt CAU-Professor Christoph Kaleta, Leiter der medizinischen Systembiologie in Kiel. Aktuell bewerben sich die Wissenschaftler des Kieler Metaorganismus-Sonderforschungsbereichs um eine erneute Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), um die Erforschung des Zusammenspiels von Organismen mit ihren mikrobiellen Partnern auch künftig weiter voranzutreiben.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
25.10.2019